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Regisseur
Ulrich Köhler, der so politische Filme wie „Bungalow“ und „Montag kommen die Fenster“ gemacht hat, erklärte im April 2007 in new
filmkritik, warum diese aber nicht „politisch“ seien. Dankend darf und
will die filmzentrale seinen Artikel übernehmen und gleichzeitig die Filmkritik
aber auch die Film-„Macher“ - und alle anderen - anregen, doch gerne auf diesen
Text zu diesem nimmer alten Thema zu antworten... Wie wär’s mit einem kleinen Diskurs?
Warum ich keine „politischen“ Filme mache
Ken Loachs „Family Life“ handelt
nicht nur von einer schizophrenen jungen Frau, der Film selbst ist schizophren.
Grandios inszeniert zerreißt es den Film zwischen dem naturalistischen
Genie seines Regisseurs und dem Diktat eines politisch motivierten Drehbuchs.
Viele Szenen sind an psychologischer
Tiefe und Vielschichtigkeit kaum zu überbieten – in den Beratungsgesprächen
zwischen dem Therapeuten und der Familie etwa entstehen aus der Freiheit und
Spielfreude, die Loach seinen Darstellern lässt, extrem glaubwürdige
Szenen. Doch leider zerstört das Drehbuch mit seiner politischen Zielsetzung
alle innerszenische Schönheit wieder. Für Offenheit, Ambivalenz und
Komplexität lässt es keinen Raum. Gut und Böse müssen am
Ende eindeutig verteilt werden. Auf das Ganze betrachtet, interessiert sich
der Film nicht für das individuelle Schicksal seiner Figur. Sie ist für
den
Autoren ein typischer Fall, ein Platzhalter der Dramaturgie. Der gute Gesprächstherapeut
verliert seinen Job und die Gerätemediziner mit ihren Elektroschocks zerstören
die zarten Erfolge einer fortschrittlichen Therapie, die nach den sozialen Ursachen
der Krankheit fragt. Das Mädchen wird nach einem Ausbruchsversuch eingefangen
und unter Zwang in eine geschlossene Anstalt eingewiesen. Das letzte Bild zeigt
uns einen gebrochenen, willenlosen Menschen, der zwar seinen Eltern keine Schwierigkeiten
mehr bereiten wird, der aber alles verloren hat, was wir als seine Würde
ansehen.
Das Problem des Films ist nicht
die Glaubwürdigkeit der Geschichte - so etwas könnte sich zugetragen
haben -, es ist das schale Gefühl, einzig deshalb auf diese emotionale
Butterfahrt geschickt worden zu sein, um eine Botschaft zu kaufen: Psychosen
sind das Produkt repressiver Familienstrukturen und einer technokratischen Psychiatrie.
Hinter dem Naturalismus des Spiels
versteckt sich vor allem diese These. Ich als Zuschauer spüre die politische
Dramaturgie und fühle mich betrogen. Gerade Loachs Naturalismus verstärkt
dieses Gefühl noch. Wäre der Film offen didaktisch wie ein Brechtsches
Drama oder würde er wie Bresson in „L’Argent“ seine dramaturgische Kausalkette
nicht verstecken, hätte ich dieses Gefühl nicht. „L’Argent“ ist sicher nicht Bressons bester
Film. Die soziale Mechanik, mit der hier das kapitalistische System einen Mensch
erst in die Armut und dann schrittweise von der Kleinkriminalität zum Mord
treibt, ist mir zu einfach. Aber der Film versteckt seine monokausale Argumentationskette
nicht hinter einer quasi dokumentarischen Fassade und täuscht mich nie
über seine Absichten. Die Form ist eben auch politisch. Sie verrät
viel über die Haltung des Filmemachers gegenüber Figuren und Zuschauern.
Bei Loach bin ich viel mehr mit
der Frage nach der „Wahrscheinlichkeit“, nach dem Realitätsgehalt des Dargestellten
beschäftigt als mit der Frage, wie psychische Krankheiten mit sozialen
Verhältnissen zusammen hängen und was wir tun können, um sie
zu ändern. Damit ist der Film nicht nur künstlerisch sondern auch
politisch gescheitert. Traurig zu sehen, wie der grandiose Schauspielregisseur
Loach die Komplexität der Welt immer wieder einem politischen Programm
opfert. Es sind die eigenen moralischen Ansprüche, die ihn in diese Falle
treiben. Das Schlussbild dieses Films soll die Zustände des Systems anprangern,
es prangert aber vor allem den Film selbst an: die Hauptfigur ist nicht Opfer
der Psychiatrie, sie ist Opfer der Instrumentalisierung durch den Film.
In meinen Augen schadet diesem
Film die Vermischung politischer und künstlerischer Motive sehr, sie schadet
ihm künstlerisch und politisch. Das traurigste Konzert meines Lebens war
ein Auftritt von Stefan Remmler im Cafe „schöne Aussichten“ in Hamburgs
„Planten und Blomen“. 15 Jahre nachdem er mit Trio und „Dadada“ den deutschen
Schlager revolutioniert hatte, singt er „Mein Freund ist Neger“ vor ein paar
älteren Damen.
Alles ist politisch. Das stimmt
vielleicht. Aber die Unterscheidung zwischen künstlerischer und politischer
Praxis ist sinnvoll. Politik gestaltet das Zusammenleben der Menschen. Politisches
Handeln will die Gesellschaft verändern oder vor Veränderungen bewahren.
Kunst hat keine allgemeingültig definierbare gesellschaftliche Funktion.
Jeder Künstler muss die Frage für sich selbst beantworten können.
Politisches Handeln ist funktional.
Ich verteile Handzettel, damit Menschen Müll trennen oder ich schmeiße
Bomben, um die Machtverhältnisse umzuwerfen. Instrumente politischen Handelns
haben keinen Wert an sich, sie haben ihren Wert in Hinblick auf ihr Ziel. Ich
kann Menschen mit Argumenten oder mit Faustschlägen davon überzeugen,
den Joghurtbecher in die gelbe Tonne zu werfen. Beides sind politische Instrumente.
In der Funktionalität liegt
der entscheidende Unterschied zwischen politischer und künstlerischer Praxis.
Kunstwerke sind nicht Mittel zum Zweck. Kunst taugt nicht zur Beruhigung des
politischen Gewissens.
Ein Gegenbeispiel zu „Family Life“
ist „Titicut Follies“ von Frederick Wiseman: ein Dokumentarfilm über eine forensische
Anstalt in den USA Ende der 60er Jahre. Wiseman schaut hin, verzichtet auf Offkommentare
und eine Dramaturgie, die am Schicksal einer Figur aufgehängt ist. Sein
Portrait einer Institution braucht keine identifikatorische Erzählung mit
Protagonisten und Antagonisten. Psychiater und Pfleger in seinem Film verhalten
sich vielfach brutaler und unmenschlicher als das Personal der Anstalt in Loachs
Film, und doch bleibt jeder der Protagonisten ein komplexer Mensch. Der Regisseur
ist nicht mit einem vorgefertigten Erzählziel an die Arbeit gegangen -
auch wenn er sicher eine Ahnung davon hatte, was ihn in dieser Anstalt erwarten
würde. Er untersucht seinen Gegenstand. Ich habe das Gefühl, diesen
Ort zusammen mit dem Regisseur kennen zu lernen und nicht eine vorverdaute Lektion
erteilt zu bekommen. Wiseman vertraut meiner Urteilsfähigkeit. Natürlich
ist auch dieser Film ein subjektiv gestaltetes Werk, in dem der Autor auswählt,
was er mir zeigt und was nicht. Aber er hat sich von dem leiten lassen, was
er gefunden hat und nicht von dem, was er von vornherein beweisen
wollte. Das ist die künstlerische Logik und politische Ethik von Wisemans
Film.
Bei ihm macht die Unterscheidung
zwischen politischer und künstlerischer Praxis vielleicht keinen Sinn mehr.
Vielleicht aber doch: Aus der Konsequenz und Kompromisslosigkeit, mit der Wiseman
gesellschaftliche Zustände dokumentiert, entsteht auch ein künstlerischer
Film. Seine Arbeit ist aber vor allem politisch motiviert. Sie gewährt
der Gesellschaft Einblicke in Institutionen, die sie geschaffen hat und gibt
ihr so die Möglichkeit, über sich selbst nachzudenken und sich zu
verändern. Wenn es ein politisches Kino geben soll, dann muss es so aussehen.
Wisemans Film hat seine Wirkung nicht verfehlt. Das beweist allein schon der
gerichtlich erzwungene Hinweis im Abspann, dass sich die Zustände in dieser
Institution seitdem geändert haben.
Beim Vergleich beider Filme stelle
ich mir die Frage, ob bestimmte Themen überhaupt mit der dramaturgischen
Logik des Spielfilms vereinbar sind. Die Schwemme unsäglicher Filme zur
deutschen Geschichte in den letzten Jahren verstärkt diese Zweifel. [War
der reale Hitler nicht schlimm genug? Wofür brauchen wir seine fiktiven
Doppelgänger? Sein Regime hat Millionen Opfer gefordert, und trotzdem setzen
sich Drehbuchautoren hin und denken sich neue aus. Jeder Autor ist dramaturgischer
Folterknecht, das stimmt. Aber angesichts realen Schreckens dieses Ausmaßes
kommt es mir komisch vor, am Schreibtisch zu sitzen und mir neues Leid für
meine fiktiven oder (schlimmer noch) semi-historischen Figuren auszudenken.
Um mit Godard zu argumentieren: Können wir zulassen, dass Spielberg Auschwitz
neu aufbaut? Ein dokumentarischer Ansatz überzeugt mich da mehr. Wie immer
Ausnahmen: Sokurov, Pasolini, Lubitsch…]
Die staatliche Kulturförderung
liebt Filme, die politische Aufklärung in Geschichten „verpacken“. Der
Bürger soll schließlich nicht überfordert werden. Auf der Verpackung
steht dann zum Beispiel: die bewegende Liebesgeschichte zwischen einem türkischen
Mädchen und einem Skinhead. Filmemachen als Verpackungskunst. Das ist das
ästhetische Programm sozialdemokratisierter Kulturpolitik.
Kulturproduzenten wissen, dass
sie Geld nachgeworfen kriegen für Projekte gegen Rassismus, Nationalsozialismus,
die Unterdrückung von Minderheiten oder die Armut in fernen Ländern.
Politische Bildung und Kultur aus einem Topf. Ich muss mir nur die Liste geförderter
deutscher Filme anschauen oder Hakenkreuze im zeitgenössischen Kino und
Fernsehen zählen. Diese Politik überfordert die Kunst und unterfordert
die Intelligenz ihrer Bürger. Sie macht den Künstler unfrei und den
Zuschauer unmündig.
Sie produziert einen Berg künstlerisch
wertloser, klischeebeladener Filme, die politisch wirkungslos sind. Schlimmer
noch: abgesehen davon, dass einige dieser Werke revanchistisch sind, fördern
sie gesellschaftlichen Stillstand, indem sie den sowieso schon einverstandenen
Bürgern das Gefühl geben Gutes zu tun, wenn er „politische“ Filme
oder Theaterstücke konsumiert.
Marlen Haushofer schreibt über
de Sicas „Fahrraddiebe“: „Die Träne in Frau Müllers Auge bringt keinem armen
Teufel sein Fahrrad zurück und verschafft nur Frau Müller die Illusion,
ein guter Mensch zu sein. Diese Illusion ist abzulehnen.“
Die gesellschaftlichen Ressourcen,
die in so genannten politischen Filmen stecken, lassen sich effizienter einsetzen.
Meistens sind die Trailer politischer als die Filme selbst. Warum machen wir
dann noch die Filme? Ein gezielter Farbbeutelwurf oder ein „Bild“-Schlagzeile
richtet sowieso mehr aus. Die Qualität eines Films wird nicht an seiner
politischen Wirkung gemessen, aber ein so genannter politischer Film müsste
sich daran messen lassen. Das vordergründige Thematisieren politischer
Inhalte beruhigt vielleicht das Gewissen, politisches Handeln ist das noch lange
nicht. Was ist das Politische an einem Film, der die Welt nicht verändern
kann und will? Was ist das Politische an „politischer“ Kunst?
Neben den Zweifeln an der Wirksamkeit
darf in vielen Fällen auch an der Integrität des Anliegens gezweifelt
werden: „Politische“ Werke führen häufig ein Nischendasein und erreichen
so wenige Menschen, dass sie wirkungslos bleiben müssen. Nur der Kunstmarkt
hält sie am Leben. Die politischen Ziele des Künstlers geraten schnell
in Widerspruch zu den Mechanismen des Marktes.
Werke, die ein größeres
Publikum erreichen, fördern ein anderes Dilemma zu Tage: Sie vermarkten
sich als politisch und subversiv, aber Erfolg und Rezeptionskonsens beweisen
eher das Gegenteil und sind ein ziemlich gutes Indiz für ihren affirmativen
Charakter. Ist die Akzeptanz so groß, darf am subversiven Potential gezweifelt
werden. Kunst, die nur Kunst sein will, ist häufig subversiver.
Welche Sammlungen schmücken
sich mit Werken politischer Künstler wie Hans Haacke? Wie provozierend
ist ein „Provokationskünstler“ (Selbstbeschreibung auf seiner Website),
der Wagner in Bayreuth inszenieren darf? Wie beißend kann die Kapitalismuskritik
eines „politischen Feelgoodmovies“ (Pressezitat aus der Filmwerbung) sein, wenn
es den bayerischen Staatspreis, die Konsens-Lola und das Wohlwollen des gesamten
politischen Spektrums gewinnt? Sind wir Oscar?
Die Logik des Politischen ist
verschieden von der Logik des Künstlerischen. Politik verlangt verantwortungsvolle
Kompromisse, Kunst darf kompromisslos und amoralisch sein. Wer dies nicht sieht,
schafft in der Regel weder künstlerisch noch politisch Interessantes. Kunst
ist kein Mittel zum Zweck. Sie ist nicht ergebnisorientiert. Das ist ein wichtiger
Unterschied.
Die Kunst, die in meinem Leben
eine Rolle gespielt hat, zeichnet sich durch ihre Offenheit, durch ihre Mehrdeutigkeit,
durch ihre Amoralität und ihre Weigerung aus, sich instrumentalisieren
und funktionalisieren zu lassen. Wenn Kunst politisch ist, dann ist sie genau
darin politisch: Sie wehrt sich dagegen (tages)politisch und gesellschaftlich
verwertbar zu sein. Ihre Stärke liegt in ihrer Autonomie. Auch wenn diese
eine Illusion sein mag - jedes Kunstwerk ist auch Produkt eines Marktes - so
ist sie doch eine notwendige Utopie für den Künstler.
Es geht mir nicht darum ideologische
Trennlinien zu ziehen: Hoch- vs. Trivialkultur, Kommerz vs. Kunst, U vs. E,
politische Aufklärung vs. Filmkunst, Reportage vs. Literatur. Es gibt viele
Beispiele im Pop, im Design, in der Architektur, im Film usw., die sich nicht
am Ideal eines autonomen Kunstwerks orientieren und die dennoch wichtige Kulturgüter
sind. Politische Aufklärung ist wichtig, aber die Unterscheidung verschiedener
Formen kultureller Praxis ist es auch. Ein künstlerischer Filmemacher ist
kein Sozialpädagoge oder Historiker (und ein kommerzieller Regisseur übrigens
auch nicht). Der Aufklärer muss sich fragen, ob Spielfilme, Romane und
Theaterstücke wirklich geeignete Instrumente seiner Arbeit sind. Wählt
er diese Instrumente, ist die Politik der Formen entscheidend.
Also ja, alles kann Kunst sein:
politische Aufklärung kann Kunst sein, Funktionales kann Kunst sein, Pop
kann Kunst und politisch sein und Kunst kann politisch sein - aber Kunst, die
politisch sein will, ist meistens weder das eine noch das andere.
Derjenige, der einer bestimmten
Praxis nachgeht, sollte den Zielen seines Handelns treu bleiben. Ist er darin
konsequent und erfinderisch, schafft er etwas Neues, macht es vielleicht wieder
Sinn von Kunst zu reden. So ist zumindest der Sprachgebrauch. Aber wer einen
Stuhl entwirft, will zunächst einmal eine Sitzgelegenheit schaffen und
wer die Gesellschaft verändern will, muss politisch handeln.
[Eine so persönliche Filmemacherin wie Angela Schanelec zu fragen, warum
sie keinen Film über den Fall der Mauer macht, ist ähnlich ignorant,
wie Frieda Grafe zu fragen, warum sie nicht Gerichtsreportagen statt Filmkritiken
schreibt.]
Noch ein Beispiel aus der Filmgeschichte:
Mit „Shoah“
wollte Lanzmann ein Kapitel der Geschichte vor dem Vergessen bewahren. Sein
Motiv ist politisch, seine Arbeit journalistische und historische Recherche.
Die Konsequenz dieser Arbeit, sein Vertrauen in die Kraft der Zeugnisse, der
Verzicht auf Pädagogik, die Tatsache, dass er sich als Autor nicht versteckt,
haben aus dieser politischen Dokumentation über das größte Verbrechen
der Menschheitsgeschichte ein Kunstwerk gemacht, das das Bild des Menschen für
immer prägen wird.
Steven Spielberg hingegen hatte
zu viele sich widerstreitende Absichten: künstlerische, politpädagogische
und kommerzielle. Das Ergebnis ist ein Geschichtsporno, der politisch das Gegenteil von dem
bewirkt, was er bewirken will. Anstatt aufzurütteln, schläfert er
ein, anstatt Rassismus zu bekämpfen, verfestigt er Vorurteile (das Casting!).
Spielberg verharmlost die Geschichte und hat wohl eine der widerwärtigsten
Szenen der Filmgeschichte geschaffen: eine Gaskammerszene, die gleichzeitig
Porno und Betroffenheitsdokument sein will.
Künstler sind Teil der Gesellschaft,
in der sie leben. Kunst ist nicht politisch unschuldig. Künstler, die das
ignorieren, sind entweder naiv oder reaktionär. Aber es ist etwas anderes,
von Künstlern politisches Bewusstsein zu erwarten, als zu fordern, dass
sie “politische” Kunst machen. Wer sich seine künstlerische Arbeit als
eine politische schönredet, gerät leicht in unauflösbare Widersprüche.
Er belügt sich und andere.
Das zeitgenössische Kino
beutet die deutsche Geschichte aus und ist dabei bestenfalls unpolitisch, häufig
reaktionär. Exportweltmeister dank Hitler und der Stasi. Filbinger und
Söhne feiern unterstützt von revisionistischen Eventmovies ein Revival.
Und mit dem Oscar sind jetzt auch die ostdeutschen Volksmassen rehabilitiert.
Der kleine Mann (der klein genug ist, den Konflikt mit seiner todkranken Exfrau
für die Promotion seines Films auszuschlachten) ist von aller Schuld rein
gewaschen. Das vereinte Deutschland kann jetzt brüllen: Wir waren es nicht,
Hitler und Mielke sind es gewesen.
Ein Kino, das sich an der Ausschlachtung
der Geschichte nicht beteiligen will, ist noch lange nicht politisch ignorant.
[Vielleicht hilft der Blick auf die politischen Biografien von
„unpolitischen“ Minimal-Künstlern wie Richard Serra oder einer Autorin
von bürgerlichen Familienromanen wie Natalia Ginzburg.] Ich frage mich, warum eine Filmkritik,
die sich ein politischeres Kino wünscht, nicht politischere Texte schreibt.
Würde sie genauer hinschauen, würde sie vielleicht sehen, dass auch
Filme, die sich nicht als Instrument politischer Bildung verstehen, politisch
sein können.
Sind Andreas Dresens lustige
Kleinbürger
politischer als Angela Schanelecs verunsicherte und verlorene Bildungsbürger,
oder beschäftigt sich der Bildungsbürger lieber mit „den Anderen“, als sich zu fragen, was er
selbst eigentlich auf dieser Welt verloren hat? Bevor die Filmkritik grüne
Punkte an politische Filme verteilt, sollte sie ihre ästhetischen Kriterien
überprüfen. Es ist schon eine Menge Arbeit, die innere Kohärenz
von Filmen zu untersuchen. Ich vermute, dass dadurch mehr über die „Politik“
eines Films zu erfahren ist, als durch das vordergründige Abscannen nach
politischen Inhalten.
Vielleicht steckt ja hinter der
Kritik an uns „unpolitischen“ Filmemachern der Vorwurf, wir entwickeln uns künstlerisch
nicht weiter, weil wir uns nicht genug in Frage stellen. Dafür hätte
ich mehr Verständnis. Aber das ist eine Kritik, die konkrete Auseinandersetzung
mit einzelnen Filmen verlangt. Sie ist sicher interessanter als das pauschale
Reden über Schulen, die es so nicht gibt.
Die „Demoiselles d’Avignon“ waren
subversiv, „Guernica“ ist ein schlechtes Bild.
„Starship Troopers“ ist ein Antikriegsfilm, „Saving Private Ryan“ reaktionärer Dreck.
Madonna ist Feministin und Alice
Schwarzer die Mutter der Nation.
Ein Fußballstadion voller
Skins, die „Go West“ singen, ist schwuler als Rosa von Praunheim.
Das Victoryzeichen von Josef Ackermann
ist demokratiefeindlicher als die Grußbotschaft von Christian Klar an
die Rosa-Luxemburg-Konferenz.
Claus Peymann ist eine arme Sau.
Die gelbe Tonne ist Kunst.
Ulrich Köhler
Dieser Text ist zuerst erschienen am Montag, den 23.4.2007 in: new filmkritik
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