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300
Wer ist Xerxes?
Kryptofaschismus in Kupferbraun: Die computerglasierte
Comicverfilmung „300“ zelebriert stählerne Kriegerkörper und lockt
ins Deutungsdelirium.
Die spinnen, die Spartaner: „Genießt euer Frühstück,
denn heute Abend speisen wir in der Hölle!“, brüllt der König
seinen treuen Mannen zu. Euphorisch grölen die Killermaschinen zurück
und marschieren in den ehrenvollen Tod. Freund und Feind werden in „300“ (Regie:
Zack Snyder) nicht müde, die kriegsbesessenen Spartaner für verrückt
zu erklären, aber die fassen das als Kompliment auf. Der Film auch: Der
Männlichkeitsirrsinn um Blut, Boden und Kriegerehre fährt einem in
„300“ so unverblümt und undistanziert mit dem Arsch ins Gesicht, dass jede
spitzfindig argumentierte Ideologiekritik daran abprallt wie die Pfeile der
Perser an den Spartanerschilden.
Die Handlung, frei nach den historischen Ereignissen
der Thermopylenschlacht um 480 vor Christus und minutiös nach Comickünstler
Frank Millers Bearbeitung derselben: Die Perser, ein dekadenter Haufen an abenteuerlich
gepiercten Afrikanern und Asiaten mit Weltherrschaftsfantasien, fallen in Griechenland
ein. Aber Leonidas, König des faschistoiden Militärstaates Sparta,
will sich nicht unterwerfen und stellt gegen den Willen von Priestern und Politikern
eine Kleinarmee von dreihundert Mann auf, um die freie Welt zu verteidigen.
Dieses Handlungsgerüst um Invasion und Kulturenkrieg
bettelt förmlich um eine aktuelle geopolitische Deutung, gerade weil es
so dürftig ist. Und so haben in den letzten Wochen Kritiker und Politiker
von New York bis Teheran allerhand brisante Deutungen vorgelegt, die von US-Invasionskritik
bis zu antiiranischer Propaganda reichen. Aber auch dieses Kramen nach Subtexten
unterlaufen die grobschlächtigen Bubenphantasien von „300“: Nicht nur die
Charaktere, auch ständig strapazierte Begriffe wie „Freiheit“ oder „Herrschaft“
bleiben hier dermaßen konturlos und vage, dass man je nach Belieben George
W. Bush, Mahmud Ahmadinedschad, Osama Bin Laden oder Adolf Hitler im Perserkönig
Xerxes wieder erkennen kann – aber genauso im heroischen Leonidas.
Wirklich konkret ist in diesem Rorschach-Blutfleck
(wie zuletzt in Mel Gibsons ähnlich mehrdeutiger Zivilisationskritik „Apocalypto“)
nur eine reaktionäre Abscheu gegenüber Multikulturalismus und urbaner
Unübersichtlichkeit: Der böse Xerxes ist eine androgyne drag queen
mit dem Gesicht von Grace Jones und dem Bass von James Brown, die demokratischen
Athener sind feinnervige Feiglinge und „boy
lovers“ und die inneren Feinde Spartas
ein Diplomat und ein ausgegrenzter Freak.
Zack Snyders Ehre heißt Werktreue: Um Millers
graphic novel
möglichst genau filmisch zu entsprechen, wurde „300“ beinahe ausschließlich
vor der Blue Box gedreht und dann in einjähriger Computerarbeit nachträglich
zusammengebastelt. Wie schon die letzte Frank Miller-Adaption „Sin City“ ist
dieser Film mit seinen detailgenau nachgestellten Comic-Panels ein Triumph digitaler
Mimesis – und ein Beleg dafür, dass digitale Bildproduktion mindestens
genauso viel mit Malerei zu tun hat wie mit Photographie: Die gelackten computergenerierten
Tableaus in fahlem Kupferbraun und kräftigem Blutrot erinnern eher an psychedelische
Airbrush-Poster von Einhörnern in Fantasielandschaften denn an filmische
Aufzeichnungen im konventionellen Sinn.
Auch von der klassischen Zeit- und Erzähllogik
des Spielfilms hat sich „300“ weitestgehend verabschiedet: Zwischen exzessiven
Zeitlupenaufnahmen vom Perserprügeln und der stur seriellen Aufeinanderfolge
von Schlacht zu Schlacht wird kaum mehr im engeren Sinne gehandelt. Nicht mehr
Comic und noch nicht Videospiel, sieht „300“ aus wie das hybride missing link
einer Verwertungskette.
Joachim Schätz
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.falter.at
Zu diesem Film gibt's im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
300
USA 2007 - Regie: Zack Snyder - Darsteller: Gerard Butler, Lena Headey, David Wenham, Vincent Regan, Dominic West, Michael Fassbender, Rodrigo Santoro, Andrew Tiernan, Andrew Pleavin, Tim Connolly - FSK: ab 16 - Länge: 116 min. - Start: 5.4.2007
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