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Es ist
sehr dunkel in Island, und sehr, sehr kalt. Daran läßt Fiasko, der
Debütfilm des Isländers Ragnar Bragason keinen Zweifel. Bereits während
die Credits anlaufen, schwebt die Kamera über eine kaum beleuchtete, schneebedeckte
Straße. Und auch im Verlauf des Filmes ist beinahe niemals die Sonne zu
sehen. Die Dunkelheit freilich nutzt der Regisseur, um die leuchtenden Farben
seines Filmes besser zur Geltung zu bringen. Das Licht der Straßenlaternen
ist nicht weiß, sondern dunkelblau, die Wände sind rosa und die Perücken
wirken eher gelb als blond. Es scheint beinahe, als würden die Protagonisten
sich mit ihren strahlend bunten Kostümen und Wohnungseinrichtungen zur
Wehr setzen gegen die von Drehbuch und nördlicher Lage auferlegte Finsternis.
Bragason
erzählt in Episoden, die er mit den Namen der drei Menschen überschreibt,
die in einem Haus zusammenwohnen: Von Großvater Karl (Róbert Arnfinnsson),
Mutter Steingerdur (Margrét Ákadóttir) und Tochter Júlia
(Silja Hauksdóttir) wird erzählt, und wie es in Filmen jener Machart
zum guten Ton gehört, überkreuzen sich die Episoden an zahlreichen
Stellen. Bragasons Film sieht aus, als sei er dabei eindeutig von Jarmusch und
Kaurismäki inspiriert, Jarmuschs skurriler Episodenfilm Mystery
Train stand
wohl Pate für die langsame Art, verschrobene Geschichten zu erzählen,
während die Ästhetik starker Farb- und Helligkeitskontraste direkt
aus Der
Mann ohne Vergangenheit
stammen könnte. Mit den beiden Autorenfilmern hat sich Bragason starke
Vorbilder gesucht, deren Meisterschaft er allerdings nicht ganz zu erreichen
vermag: zu gekünstelt und bewusst auf Skurrilität getrimmt wirken
einige der Episoden. Da ist etwa jene Geschichte vom Fernsehpfarrer, den Steingerdur
auf dem Bildschirm wie im Leben götzenhaft verehrt. Man ahnt schon bald,
dass sich der Geistliche, dessen Predigen zum Großteil aus den Worten
"Hallelujah" und "Amen" bestehen, als Wolf im Schafspelz
entpuppen wird, aber die Verstrickungen, denen er und Steingerdur sich schon
bald ausgesetzt sehen, strapazieren den durchaus an absonderliche Geschichten
gewöhnten Zuschauer doch arg: Nicht nur, dass der Pfarrer hinter den Kulissen
regelmäßig dem Alkohol frönt, er muss auch noch in ein signalrotes
Teufelskostüm aus Gummi gezwängt sich mit einer Prostituierten vergnügen,
sie nach einem Unfall im Whirlpool für tot halten und schließlich
mit Steingerdur gemeinsam die Leiche entsorgen - was selbstverständlich
nicht klappt, weil des Pfarrers Auto samt Leiche gestohlen wird. All diese Zeit
über freilich bleibt der Pfarrer kontinuierlich in sein Teufelskostüm
gezwängt, um den Kontrast zu den zuvor ausgiebig inszenierten "Halleluja"-
Fernsehshows auch gar deutlich werden zu lassen. Es ist zu viel des Guten in
jener Episode, zu viel der aufgehäuften Absonderlichkeiten, die man anfangs
noch mit einem Lächeln quittiert, mit der Zeit nur noch reizüberflutet
hinnimmt.
Dass
er es auch besser kann, zeigt Bragason in der am besten gelungenen ersten Episode
um Karl, der sich in die gescheiterte Schauspielerin Helga (Kristbjörk
Kjeld) verliebt. Wenn jene ihm gegenüber beim Cocktail sitzt und erzählt,
sie trage die Bluse, welche schon "Ingrid" in Notorious
getragen
habe, gelingt es Fiasko durchaus,
einem die Charaktere emotional nahe zu bringen. Es ist rührend, dabei zuzusehen,
wie Helga sich jeden Tag aufs neue in Karl verliebt, und ihn jede Nacht erneut
vergisst. Karl ist in seiner Mischung aus Hilflosigkeit und Selbstüberschätzung
treffend gezeichnet, wenn er zwar einerseits mit seiner Lippe am Autoschloss
festfriert, aber andererseits kurz danach versucht, eine Bank auszurauben. Sein
Bemühen um Helga ist der ehrliche Versuch, sein tristes Pensionärsleben
mit einer neuen Liebe zu füllen, und die Art und Weise, in der ihm dies
schließlich gelingt, ist überzeugend und einfühlsam geschildert.
Allein die Liebesgeschichte zwischen Karl und Helga reicht aus, um Fiasko zu
einem sehenswerten Film zu machen, zu hoffen bleibt, dass der Regisseur sich
in folgenden Filmen auf seine Stärken besinnt, ohne sich in künstlichen
Verästelungen zu verlieren, die in diesem Fall nur davon ablenken, dass
Bragason durchaus jene Tugend mitbringt, die einem zu wahrer Größe
im Filmgeschäft verhelfen kann: Er versteht es, Geschichten zu erzählen.
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Ragnar
Bragason
Island/Deutschland/Dänemark,
2000
Kinostart:
20. November 2003
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