zur startseite
zum archiv
Lagaan
– Once Upon A Time In India
Beinahe
vier Stunden lang dauert der Film. Eine Zeitspanne, die selbst in Zeiten, in
denen auch Blockbuster aus Hollywood sich nicht mehr der Überlänge
scheuen, für einen durchschnittlichen Kinobesuch ungewöhnlich erscheint.
Und doch - keine Minute der Zeit, die man in dem indischen Sport-Revolutions-Liebes-Musical
verbringt, langweilt. Im Gegenteil, die Stunden verfliegen, wenn man Bhuvan
(Aamir Khan) dabei zusieht, wie er eine Gruppe Männer um sich schart, um
seine Provinz in einem Cricketspiel von der Herrschaft des tyrannischen britischen
Kolonialismus zu befreien. Lagaan, das ist eine Steuer, die die Bevölkerung
an den Kolonialherrscher zu zahlen hat, und diese Steuer ist der Einsatz, um
den gespielt wird: drei Jahre kein Lagaan mehr zahlen, oder ein Jahr lang die
dreifache Belastung ertragen, das ist der Einsatz. Meisterlich, wie Regisseur
Ashutosh Gowariker in der Inszenierung dieses Befreiungskampfes zwischen den
Genres springt und es dennoch schafft, die glatt geschliffene, bruchlose Optik
des Bollywoodfilms beizubehalten.
Ein
klassischer Sportfilm ist Lagaan, weil
es die meiste Zeit nur um das Spiel zu gehen scheint, dessen Ausführung
dann auch mehr Zeit in Anspruch nimmt als viele Kinofilme in ihrer Gesamtheit.
Ein Liebesfilm natürlich, wie könnte es im indischen Mainstream anders
sein, in dem es um die Rivalität mehrere Liebender geht. Ein Musical mit
all dem wundervollen Kitsch, der Bollywood auszeichnet, untergehende Sonnen,
an Busby Berkley erinnernde Aufnahmen der ornamentalen Tänzer aus der Luft
und Studiostimmen, die sich den Lippen der Singenden nur beinahe synchron annähern.
Der Zusammenprall dieser künstlich wirkenden Stilmittel mit den überwältigenden
Außenaufnahmen der Kamera (Anil Mehta) entfaltet eine kraftvolle Feier
der Bilder, wie man sie auf westlichen Leinwänden nur selten sehen kann.
Lagaan ist ein Beweis dafür, dass Fritz Lang irrte, als er - in Godards
Le
Mepris
(Die
Verachtung) - sagte,
die breite Leinwand tauge nur zur Darstellung von Schlangen und Begräbnissen.
Sie taugt für viel mehr: Wenn das gesamte innere Feld des Cricketmatches
die Bildfläche füllt, wenn die Antagonisten sich gegenüberstehen
und die Musik das Pathos ins Erhabene zu steigern versucht, dann entfalten die
beiden Enden des Bildes die Kraft von zwei sich abstoßenden und doch aneinander
gefesselten Magnetpolen, zwischen denen der Ball geworfen und geschlagen wird,
zwischen denen die Körper der Schauspieler taumeln und all ihre Kraft aufwenden müssen, um der Choreografie der
Leiber zu gehorchen.
Die
Geschichte des Films ist ein Drama von Leidenschaft und Unterdrückung,
von Befreiung und Verzicht. Seine Moral mag einem gelegentlich fremd scheinen,
dennoch aber bleiben die so dick wie möglich aufgetragenen Botschaften
nicht ohne Wirkung: Wer könnte ungerührt verharren, wenn Bhuvan den
"Unberührbaren" der niederen Kaste ins Team holt, weil dieser
trotz - oder gerade wegen - seiner körperlichen Behinderung zum Sieg und
damit zur Befreiung beitragen kann? Wer, wenn die tapferen Spieler auch weiter
kämpfen, wenn ihre Körper von den englischen Gegnern mit dem Spielball
wie mit einer Gewehrkugel malträtiert werden? Überhaupt, die Körper:
Die Faszination des Regisseurs für den männlichen, muskelbepackten
Körper scheint unübersehbar und so entsteht zwischen den beiden männlichen
Antagonisten eine genauso starke erotische Spannung wie zwischen den das Genre
bedienenden heterosexuellen Paaren. Die heterosexuelle Liebe löst sich
im Lied und im Tanz, die gleichgeschlechtliche Faszination füreinander
im Ballett der sich bekämpfenden Körper im Spiel.
All
dieser Kampfesgeist wirkt vor allem deshalb nicht unangenehm, weil Lagaan es
versteht, die Zuschauer immer zu genau dem richtigen Zeitpunkt mit Humor zu
distanzieren, bevor sie dem Pathos zu nahe kommen. Wenn die Briten aus vollem
Herzen als "Tea-Drinkers" beschimpft werden oder wie sich Bhuvat zu
Beginn des Filmes mit den skurrilsten Gestalten seines Dorfes als einzigen Teammitgliedern
herumschlagen muss, ruft dies im Publikum eine genauso starke emotionale Reaktion
hervor wie das Spiel selbst, das - welch anderer Film kann das von sich behaupten
- spontane Jubelstürme im Kinosaal evoziert. Lagaan ist
ein großartiger Film, der verständlicherweise nicht nur im heimatlichen
Indien mit großem Erfolg belohnt wurde.
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu
diesem Film gibt es im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
OT:
Lagaan
Regie: Ashutosh Gowariker
Premiere:
15. Juni 2001 (Indien)
Drehbuch:
Ashutosh Gowariker, Kumar Dave, Sanjay Dayma & K.P. Saxena
Dt.
Start: 20. Juni 2002
FSK:
ab 6
Land:
Indien
Länge:
224 min
Cast:
Aamir
Khan (Bhuvan), Gracy Singh (Gauri), Rachel Shelley (Elizabeth Russell), Paul
Blackthorne (Captain Andrew Russell), Suhasini Mulay (Yashodamai), Kulbhushan
Kharbanda (Rajah Puran Singh), Raghuvir Yadav (Bhura), Rajendra Gupta (Mukhiya),
Rajesh Vivek (Guran), Shri Vallabh Vyas (Ishwar), Javed Khan (Ram Singh), Raj
Zutshi (Ismail), Akhilendra Mishra (Arjan), Pradeep Rawat (Deva), Daya Shankar
Pandey (Goli)
zur startseite
zum archiv