L - Der Lautlose
Die strukturanalytische Funktion der Parodie
Die James Bond-Serie kann zweifellos als Phänomen der
Filmgeschichte bezeichnet werden. Kaum zu glauben, daß sich ein
statisches Narrationsschema über 40 Jahre hinweg in nur minimaler
Variation kontinuierlich und mit stetigem Erfolg verkaufen läßt.
Andererseits bestätigt es die These, nach der es sowieso nur eine
Handvoll von Geschichten zu erzählen gebe, die sich nur durch ihre
Verpackung unterschieden, und sich James Bond einzig dadurch
auszeichne, daß selbst die Verpackung zugunsten des
Wiedererkennungswertes aufrechterhalten wird. So überrascht es
kaum, daß die James Bond-Parodie keine Erfindung von Mike Myers ist
und auf eine ebenso lange Serie zurückblicken kann wie die
Originale selbst, wenn auch nicht ganz so kontinuierlich und mit
recht unstetigem Erfolg.
"L- Der Lautlose" ist der erste seiner Art und damit allein schon
aus historischer Sicht von Interesse. Interessant ist aber vor
allem, auf welche Art die Parodie funktioniert, was sie
insbesondere von aktuellen Persiflagen abhebt. Jene haben es sich
zur schlechten Angewohnheit gemacht, bekannte Szenen aus populären,
möglichst nicht zu alten Filmen zu nehmen, mit irgendeiner Art
"Gag" zu versehen und in willkürlicher Reihenfolge zu montieren.
Ein Verfahren, nach dem leicht zu produzieren und zu konsumieren
ist, und eines, das einen steten Bedarf nach mehr weckt .
Anregender sind diejenigen Filme, die bestehende Strukturen
analysieren und deren Inhalte zu neuen Bedeutungszusammenhängen
verknüpfen, die nicht einfach kopieren und lächerlich machen,
sondern zunächst verstehen wollen, um daraus zu konstruieren.
"L - Der Lautlose" versteht. Er versteht Bond in der Reduktion der
filmischen Figur auf Begriffe, man könnte sagen: der analytischen
Disposition von Stereotypen. Diese Stereotypen finden sich durch
die Bank in Bond-Parodien und sind mit "Frauen", "Action",
"exotische Orte" etc. schnell umrissen. Die Kunst liegt noch darin,
diese Attribute in neue Strukturen einzubetten, ein Verfahren, das
man konstruktive Ontologie nennen könnte. "L" konstruiert
ontologisch, indem er einen Agenten, der kein Agent ist, zu einem
macht, der keiner ist, und die Verknüpfung zum filmischen Paradigma
über das Attribut "Frauen" herstellt. Boysie Oakes (Rod Taylor) ist kein Agent, wird aber zu einem
gemacht und zwar dadurch, daß er Gefallen an den vielen Frauen
findet. Das Objekt "Agent" wird dadurch ironisiert, indem es mit
den stereotypen Attributen versehen wird, die ihm nicht zukommen,
aber die konnotativ damit verwachsen sind. Der Film folgt damit
einem Verfahren, das als Reduktionstheorie bekannt ist und die
Überlegenheit der Kunst gegenüber der philosophischen Ontologie zum Ausdruck bringt. Während
Letztere stets den Umweg über die Epistemologie gehen muß und damit
dem Damoklesschwert des Falliblismus ausgeliefert ist, folgt die
Parodie stets einem instrumentalistischen Konstruktivismus, der
selbstreferentiell funktioniert und damit in der Lage ist,
Attribute zu definieren, die nicht einmal existent sein müssen.
Wichtig ist nur, daß ein Beschreibungssystem gefunden wird, das der
platonischen Idee des Objekts gewissermaßen angepaßt werden kann,
wenn nötig mit einem Vorschlaghammer. Daß dies im Falle der Parodie
fast ausschließlich geschieht, macht sie gerade zur solchen, oder
wie Hegel es formulierte: "Das Wesen aus dem Sein herkommend
scheint demselben gegenüberzustehen", und 57 Seiten weiter: "Das
Wesen [aber] bestimmt sich selbst als Grund." Insofern kann gesagt
werden: Ein Film, der nicht parodiert wird, ist gar kein Film.
Worüber reden wir dann aber hier? Letztlich betreten wir einen
Bereich, der sich der klassischen Wissenschaft entzieht, was
bereits der Originaltitel "Liquidator", also der "Verflüssiger",
zum Ausdruck bringt: "Gegenüber der Hydromechanik [also der
Wissenschaft vom Flüssigen] wie auch der Unfähigkeit der
Wissenschaft, mit turbulenter Strömung umzugehen, schreibt sie der
Assoziation von Flüssigkeit mit Weiblichkeit zu." (Luce Irigaray)
Zweierlei Erkenntnis läßt sich aus diesem Satz der feministischen
Theorie ableiten: Der "Liquidator" meint eigentlich etwas anderes,
der "Womanizer" ist unterschwellig der eigentliche Titel des Films
und verweist damit auf das explizit sexistische Sujet der
Bond-Serie. Implizit plädiert er im Zuge der "Unfähigkeit der
Wissenschaft" mit ebendiesen sexistischen Tendenzen zu
konformieren, für eine Aufgabe der modernen Film-Wissenschaft und
für einen Neuanfang, eine Art Film-Parodie, die einem neuen
Codesystem unterworfen ist,. das Niklas Luhmann nicht mehr in
"wahr" und "falsch" aufteilt, sondern das sich in Begriffe des
"komisch" und "nicht-komisch" ausdifferenziert. Bereits hier merkt
der Leser den Fehler in Irigarays Argumentation, denn der Film als
nicht-empirisch Erfassbares beraubt sich seines Gegenstandes, was
zur Folge hat, daß er für niemanden mehr verständlich ist und somit
schwerlich ein Publikum haben wird - ein Grund übrigens, warum
Avantgarde noch nie eines hatte. Viel eher ist die Funktionalität
der Parodie mit den Inhalten der analytischen Philosophie nach der
linguistischen Wende zu vergleichen, die das Induktionsproblem auf
ein Lösen von irrealen Konditionalsätzen reduziert. Die Frage ist
nicht mehr, was gefilmt wird oder warum, sondern: "Wenn es gefilmt
worden wäre, wäre es als Parodie brauchbar gewesen?" Wichtig ist,
daß der Begriff "Film" oder "gefilmt" dem Objekte selbst nicht als
Attribut zugeordnet werden kann, da man ansonsten mit Anselm von
Canterbury den Fehler machen würde, Existenzbedingungen als
Prädikate auszugeben und sich in Tautologien verlieren würde. Die
Reduktion der Stereotypen, die Nelson Goodman gleichermaßen mit
"Tatsache, Fiktion, Voraussage" als dreifache Synonymie selbst
stereotypisiert, ähnelt vielmehr der quantenmechanishen
Wellenfunktion Erwin Schrödingers, welche den binären Code einer
Entität in Permutationen desselben, und damit in einen Katalog
möglicher Bedingungen, transformiert. Das Gleichheitszeichen,
welches die abendländische (Pseudo)-Wissenschaft als
synthetisch-apriorische Selbstverständlichkeit ausmacht, muß
erweitert werden um Freiheit und Brüderlichkeit. Nur die
Trichotomie sichert das, was James Bond schon lange hat: Frauen!
Diese Pluralisierung des Relationsbegriffes kann durchaus mit der
Historifizierung der Programmatik einer relativistischen
Wahrheitstheorie bei Imre Lakatos in Zusammenhang gebracht werden,
was aber nicht bedeutet, daß dabei die metaphysische Bedeutung von
"Bedeutung" ausgespart werden sollte. Affiziert werden kann immer
nur das, was auch darstellbar ist. In diesem Sinne bezieht sich
gerade der deutsche Titel "Der Lautlose" auf eine Ikonisierung des
Gegenständlichen durch den (vorzugsweise männlichen) Blick, da nur,
wer taub (ist) - man könnte prädikatenlogisch sagen: "wer taubt" -,
den Sehsinn vollständig auszubilden vermag. Auf diese Weise
erschließt sich der scheinbaren autopoietischen Geschlossenheit der
filmischen Identität eine Erweiterung um die Extensionalität des
Betrachters, was als metaphorische Integration in die Diegese, ja,
als Aufhebung des Interaktionsbegriffes überhaupt, verstanden
werden kann. Wollen wir am Ende noch festhalten, daß die
dreidimensionale Wellengleichung in karthesischen Koordinaten aus
einem abgeleiteten Paar Differentialgleichungen besteht und sich im
unendlich ausgedehnten Medium auch auf ein ganzes Bündel (!) von
Rohren anwenden läßt, wenn keine Schubspannungen auftreten, und
sich diese durch Überlagerung in harmonische Funktionen des
Phasenkoeffizienten überführen lassen. Das macht nachdenklich.
Matthias Grimm
Dieser Text ist zuerst erschienen im:
L - Der Lautlose
Liquidator. USA 1965. R: Jack
Cardiff. B: John Gardner, Peter
Yeldham. K: Edward Scaife. S:
Ernest Walter. M: Lalo Schifrin. D: Rod Taylor, Trevor Howard, Jill
St. John, Wilfried Hyde-White u.a.
105 Min.