zur
startseite
zum
archiv
Absolute
Giganten
LETZTE
NACHT IN HAMBURG
Ein
kleiner Film aus Deutschland, der eine kleine Geschichte erzählt, vom Weggehen-Müssen
und vom Dableiben, vom Normalen und von der Sehnsucht. Schon unterm Vorspann
hören wir das Tuckern eines Dampfers und ein Hornsignal. Ein kleines Versprechen.
Aber nicht den erwarteten Blick auf den Hafen bekommen wir als erstes, sondern
den in ein knallgelbes, aufgemotztes Automobil. So beginnt ein Spiel mit dem
Großen und dem Kleinen. Genauer gesagt: ein Film, der davon handelt, wie
man dagegen rebelliert, daß das Leben klein, lang und beschissen ist.
Drei
Freunden gehört dieser Film, und die Kamera wird sie nur für ganz
wenige Augenblicke aus den Augen lassen, etwa dafür, einen verkaterten
und zugleich verzauberten Blick über die Stadt zu werfen. Sie lassen sich
auf eine kleine Wettfahrt mit einem Schnösel aus Pirmasens ein, bis der
Wagen verreckt und der Alltag die drei wiederhat: Richard, genannt Ricco, der
flippige Rapper, der in einer Hamburger-Kneipe arbeitet und, wie sein Chef feststellt,
gerade das Kunststück fertiggebracht hat, zweimal an einem Tag zu spät
zu kommen, der eher verschlossene Johannes, alias Floyd, dessen Bewährung
für seine Jugendstrafe und damit die Zeit seiner Arbeit im Krankenhaus
abgelaufen ist, und der rundliche Walter, der mit seinem Auto verwachsen ist.
Jeder wird auf seine Weise heruntergezogen, und jeder träumt sich auf seine
Weise über sich hinaus. Zwischen Frank Giering, Florian Lukas und Antoine
Monot jr. ist das ein bewundernswertes Ensemble-Spiel. Man merkt, daß
der Regisseur von der Schauspielerei kommt und etwas davon versteht.
Floyd
wird morgen die Stadt verlassen, auf See gehen, auf ein Containerschiff nach
Kapstadt, dann weiter nach Singapur. »Wahrscheinlich komm’ ich nicht wieder.«
Die anderen sind wütend und entsetzt. Es wird die letzte Nacht der drei.
Dramatischer Höhepunkt ist ein Kicker-Match um so ziemlich alles oder nichts,
genauer gesagt um Walters Auto: Ford Granada, Baujahr 1974, erweitert um ein
australisches V-8 Motor-Aggregat.
Nichts
Besonderes also, und schon gar nichts besonders Neues. Aber so genau gespielt
und nahe inszeniert, daß man für die Zeit, die es dauert, das Gefühl
haben kann, etwas zu teilen. Etwas von den Geschwindigkeitsräuschen, von
den Träumen, über das öde Leben hinauszukommen, von der unterdrückten
Wut, davon wie Flaschenbier am Spätnachmittag und wie Pommes Frittes in
der zweiten Nachthälfte schmecken. Die letzten Worte des Films sind übrigens:
»Wie spät ist es eigentlich?« Und daß der Film nach diesen
Worten seine Geschichte noch in Bildern weiter und zu Ende erzählt, ist
eine grandiose Geste. Ein deutscher Film, der so viel von Sprache versteht wie
davon, zur richtigen Zeit den Mund zu halten.
Freilich:
die Stärke des Trios ist zugleich auch die Schwäche des Films. Seine
Nebenfiguren haben kein Eigenleben. Es sind nur amüsante und liebenswerte
Karikaturen. Es macht zum Beispiel ungeheuren Spaß, diese dramatischen
Gangster-Gesten und die Steigerung des Suspense zu sehen, bis hin zum Einsatz
der subjektiven Kamera auf dem Spielfeld, konzentriert auf das kleine Areal
des Tischfußball-Automaten. Es ist ein höchst krauser, zärtlicher
Humor, den Sebastian Schipper in seinem Film entwickelt, der wahrscheinlich
wirklich nur in Hamburg funktioniert, wo das Große und das Kleine, das
Enge und das Weite so nahe beieinander sind.
Daß
jemand sein Auto »schwarz« gemacht haben will und es dann statt
»ohne Rechnung« schwarz lackiert erhält, ist eine Pointe, die
man auch bei »Werner« finden könnte. Daß sie in diesem
Film anders funktioniert, ist eine Sache des Timing. Und wenn Ricco, während
er sein Juve-T-Shirt für den Abend sucht, mit der Frage konfrontiert wird,
wer gefährlicher ist, Godzilla oder Hitler, hängt einem das ein entscheidendes
bißchen länger nach als ein gewohnter Kino-Gag. Überhaupt ist
das, was an Gesprächsfetzen und autistischen Grummeleien in diesem Film
so an uns vorüberweht, eine Drehbuch-Qualität für sich. Immer
weiß man, warum man hier entweder verrückt wird oder wegmuß.
Aber
wie gesagt: Die Nebenfiguren erscheinen nicht als Menschen in ihrem eigenen
Recht, sondern als Projektionen der drei. So als würden wir sie mit ihren
übermüdeten, angestrengten, benebelten Blicken sehen, als ein Verschwinden
der grotesken Gestalten einer Kindheit, die wohl in dieser Nacht unwiderruflich
zu Ende geht. Das klappt manchmal, wie in den surrealen Auftritten der Kiez-Typen.
An anderen Stellen mag man ein wenig traurig darüber sein. Die Enttäuschung
kommt paradoxerweise gerade aus den Qualitäten des Films: Schipper versteht
es nämlich, an diesen Charakteren Interesse zu wecken, und verläßt
sie dann so schnell, wie es eben in so einer Nacht zugeht.
Wahrscheinlich
gehört das aber zu dem Blick der Helden und ist deswegen eben doch die
richtige künstlerische Entscheidung. Denn unter anderem handelt dieser
Film davon, daß die Welt noch voller großartiger Dinge ist. Daß
man das Große im Kleinen entdeckt, wenn man nur richtig sieht. Irgendwann,
prophezeit einer der Gäste in der Kneipe den dreien, stehen sie alle da,
die mit den größten Träumen erst recht, reden Scheiße
und machen sich zu. Mag sein, sagt der Film. Es gibt überall Anzeichen
dafür, daß das Kleine immer siegt. Aber heute noch nicht.
Und
während er dies sagt und seine Helden so blicken läßt, daß
ein Kickerspiel so wichtig ist wie Bogarts letzte Worte auf dem Flughafen von
Casablanca,
sagt »Absolute Giganten« auch etwas über das Kino. Wenn es
gut ist, protestiert es gegen alles, was das Leben klein und beschissen macht.
Ohne es zu verleugnen. »Absolute Giganten« ist schon ziemlich gut.
Note:
2
Georg
Seeßlen
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
mehrere Kritiken.
ABSOLUTE
GIGANTEN
von
Sebastian Schipper, D 1999, 90 Min. mit Frank Giering, Florian Lukas, Antoine
Monot Jr., Julia Hummer
Drama
Start:
30.09.99
zur
startseite
zum
archiv