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Actrices
Ich werde 40! Wie ist das bloß möglich,
gerade erst wurde ich doch 39!? Der Blues kommt in die Stadt und damit die große
Krise für die begnadete Schauspielerin Marcelline, die mitten in den Proben
für eine konzeptionell sehr körperbetonte Inszenierung von Turgenjews
„Ein Monat auf dem Lande“ steckt. Der junge, wilde Regisseur Denis – Mathieu
Amalric macht noch die beste Figur in diesem Kabinett der Eitelkeiten – schätzt
zwar Marcellines Arbeit, unterschätzt aber die fundamentale Krise, in die
seine Star-Actrice gerät. Sogar die Gynäkologin redet mittlerweile
unverhohlen über Marcellines Alter, da muss die biologische Uhr ja lautstark
zu ticken beginnen. Ein bisschen unverbindlicher Sex am Arbeitsplatz hilft auch
nicht unbedingt weiter, wenn die Frau um die 40 noch einen Kinderwunsch verspürt,
aber wieder einmal keinen festen Partner hat – und dann die Hauptrolle ausgerechnet
in einem Stück übernimmt, das davon handelt, wie sich eine ältere
Frau in einen viel jüngeren Mann verliebt.
Schauspieler, Theaterschauspieler zumal, sind schon
ein ziemlich anstrengender Menschenschlag. Welch titanische Mühen es sie
stets kostet, ihre Rollen zu erarbeiten, wurde schon häufig gezeigt, gerne
erfährt man davon in Dokumentationen wie „Die
Spielwütigen“ (fd 36 511). Was
man nicht so gerne sieht, sind Schauspieler, die Schauspieler spielen, die gerade
fürs Theater mit einer ordentlichen Portion Wahnsinn und erheblichen Anstrengungen
eine komplexe Rolle erarbeiten und auch hinter der Bühne ihre Leidenschaften
ausleben. Da sieht man dann häufig nur gespreizte Eitelkeit und – Turgenjew.
Wenn dabei dann auch noch, wie in Valeria Bruni Tedeschis zweiter Regiearbeit,
kübelweise Midlife-Crisis-Psychologie ausgeschüttet und mit surreal-slapstickhaften
Einfällen aus zweiter oder dritter Hand verrührt wird, wenn plötzlich
Tote zum Dialog bereitstehen oder fiktive Figuren zum Leben erweckt neben ihre
Darstellerin treten, die Katakomben des Theaters durchstreifen und sich solcherart
möglichst viele Konflikte schwerblütig und existenziell spiegeln und
verdoppeln – ja, dann möchte man das eigentlich nicht mehr schauen.
Dass ausgerechnet Valeria Bruni Tedeschi, die man
für ihre uneitlen, eher leisen Schauspiel-Arbeiten mit Blier, Denis oder
Ozon schätzt, hier nun die Keule der von Überzeichnung und Ironie
dröhnenden, mit autobiografischen Anspielungen gespickten Selbstüberschätzung
auspackt, ist so erschütternd, dass man versucht ist, fast schon von einer
Karikatur eines Schauspielerfilms zu sprechen. Kokettierte Woody Allen einst
damit, er könne letztlich problemlos jenseits seiner Komödien eine
Ingmar Bergman-Tiefe „simulieren“, so ist „Actrices“ die angestrengte Simulation
dieser Geste. Marcelline leidet nicht nur an ihrer Einsamkeit, sondern auch
unter ihrer dominanten Mutter, die sich in ihr Leben einmischt, was zu einigen
albern ödipalen Konstellationen führt. Andere
Szenen erinnern an „The
Purple Rose of Cairo“ (fd 25 282) oder an „Buñuel
light“. Der Film wird komplett aus der
Perspektive seiner Protagonistin erzählt, ihr Leben gerät dramatisch
aus den Fugen, Realität und Albträume geraten durcheinander, was auch
ihre Umwelt mitunter recht ratlos zurücklässt. Als ihre Schauspielkollegen
sie schließlich mit einer Feier beglücken, wird ausgelassen „I will
survive“ gesungen. So ist das auf dem Theater: alles irgendwie eine Nummer zu
groß und dafür dann etwas altbacken.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Zu diesem Film gibt es im archiv der
filmzentrale mehrere Texte
Actrices
... oder der Traum aus der Nacht davor
Frankreich 2007 - Originaltitel: Le rêve de la nuit d'avant - Regie: Valeria Bruni Tedeschi - Darsteller: Valeria Bruni Tedeschi, Louis Garrel, Noémie Lvovsky, Valeria Golino, Mathieu Amalric, Maurice Garrel, Marisa Borini - FSK: ab 6 - Länge: 107 min. - Start: 17.4.2008
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