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Aftermath
"Aftermath" - Nachwirkung. Ja,
dieser Film wird nachhaltig wirken. Nicht auf die leichte, verträumte Tour,
nein. So wie er schon den Zuschauer während des Betrachtens wie ein Hammer
trifft, so intensiv sind auch die Erinnerungen an den Film - nach "Aftermath".
Gewarnt sei jeder, der sich bisher nur in Mainstream-Kategorien aufgehalten
hat: "Aftermath" ist nur für jene, die einen starken Magen und
ein gutes Nervenkostüm haben. Denn - kurz und einfach verständlich
für den Filmerfahrenen - "Aftermath" ist die Arthaus-Variante
von "Guinea Pig II - Flowers of Flesh and Blood".
Der Film, auf hochwertigem, klarem 35mm-Film
gedreht, und somit konträr zu vergleichbaren Produkten á la "Guinea
Pig" oder "Nekromantik", die auf viel billigerem Material
abgedreht worden sind, handelt von einer Autopsie. Eigentlich handelt sie von
drei Autopsien, jedoch sind die ersten Routine für die beiden schneidenden
Ärzte: Brustkorb aufschneiden, Schädeldecke aufsägen, Gehirn
entnehmen, Gehirn wiegen, Herz entfernen. Einer der beiden Mediziner jedoch
scheint nicht, wie es in des Menschen Naturell liegen sollte, angewidert von
den schrecklichen Vorgängen zu sein, sondern schaut voyeuristisch zu, wenn
sein Kollege die Leichen deformiert.
Es ist jener Arzt, der die Tür hinter
sich abschließt, nachdem sein Kollege Feierabend gemacht hat. Es ist genau
jener Arzt, der sich unter seinem Mundschutz die Zunge leckt, als er sieht,
was für ein hübsches Mädchen die Leiche auf dem Seziertisch doch
war. Marta Arnau Martí ist ihr Name, und er wird zumindest nicht für
den Zuschauer in Vergessenheit geraten. Der namenlose Weißkittel entblößt
die Leiche, schneidet sie genussvoll auf, und gibt sich seiner nekrophilien
Perversion hin. Leichenschändung. So simpel, so ekelerregend. Der Film
endet ebenfalls simpel. Der Arzt nimmt das Herz des Mädchens mit nach Hause,
püriert es in seinem Mixer und gibt es seinem Hund zu fressen. Für
den Ausklang des Abends sorgt ein geruhsamer Abend vor dem Fernseher.
Nacho Cerdá ist mit Sicherheit
kein Perverser. Nacho Cerdá ist eher ein extremer Filmemacher, der seine
Geschichte über das Leben und den Tod bis zum Maximum hinauf katapultiert
und den Zuschauer mit nach oben, zu einer Intensität, die ihresgleichen
sucht. In seiner klinischen, distanzierten, regungslosen Optik reduziert er
das Lebendige (den Arzt) auf kalte Mechanismen, während er das Tote (die
verstorbene Prostituierte) so inszeniert, als würde sie leben. Bei jeder
Schandtat, die der Arzt an der jungen Frau verrichtet, schreien wir auf, halten
wir uns die Hand vor dem Mund - fühlen wir mit einer Person mit, die längst
nicht mehr im Stande wäre zu fühlen. Dazu spielt befremdliche Klassikmusik,
während keiner der lebendigen Hauptfiguren nur ein Wort spricht.
"Aftermath" hat brillante Effekte,
einen düsteren, aber stilvollen Score (unter anderem Mozarts Requiem),
und erschreckende Schauspieler. Ein Film, nicht für Jedermann, da gerade
der Gore, die brutalen Effekte, die schlichtweg ekelhafte Stimmung, einen Großteil
des normalen Kinopublikums ausradiert. Dennoch ist "Aftermath" mehr
als gekonnte Provokation, mehr als nur ein simpler Schock. Viel zu gut produziert
ist das Werk und viel zu gut funktioniert das Drehbuch (falls es eines gegeben
hat) auf der Metaebene. Hier verstecken sich grauenhaft pessimistische Ansichten
über das Leben und über die direkte Verbindung, den Tod.
"Aftermath" sei jedem, der meint,
einen Magen stark genug dafür zu haben, empfohlen. Alle anderen schauen
sich besser nicht mal das Videocover an.
Björn Last
Dieser Text ist zuerst erschienen in: mitternachtskino
Zu diesem Film gibt’s im
archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Aftermath
Originaltitel:
Aftermath. Spanien, 1993. Regie: Nacho Cerdà. Drehbuch: Nacho Cerdà.
Produktion: Joseph Maar. Kamera: Christopher Baffa. Darsteller: Ángel
Tarris, Xevi Collellmir, Jordi Tarrida, Pep Tosar. Farbe. 30 Min.
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