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Aguirre,
der Zorn Gottes
Die Vorführung um 19:30 Uhr von „Aguirre,
der Zorn Gottes“ war, wie zu erwarten, schwach besucht. Es ist Feiertag, man
hat Besseres zu tun, man kennt Herzog nicht, interessiert sich nicht für
Kinski, kann mit solchen Kunstfilmen nichts anfangen. Von den etwa zehn Anwesenden
haben ca. drei sich während der Vorführung köstlich amüsiert.
An kultverdächtigen Stellen, in denen Kinski entweder wütend wird,
wie man es von ihm auf youtube gewöhnt ist, oder ungewollt komische Situationen
spielt, wurde geprustet. An den zwei absichtlich lustigen Stellen war kein Kult
zu entdecken, eher ein beschämtes „Alter... “. Alter, hat der das ernst
gemeint? Was für unglaublich schlechte Witze. Entsprechend krumm vor Lachen
und mit rotem Kopf kamen die drei studentischen Zuschauer dann aus dem Saal.
„So ein schlechter Film...“ Unglaublich.
„Aguirre“ balanciert nicht wirklich auf
dem schmalen Grat zwischen Groteske und Klamauk, er geht mitten durch, so, als
wäre er auf ein völlig anderes Ziel hin ausgerichtet gewesen. Der
gesamte Film ist eine Collage: Herzog scheint nur nach grober Vorlage gedreht,
viel improvisiert zu haben. Details, die sich angeboten haben, wie ein Schmetterling,
der einem Schauspieler zufällig auf dem Finger landet, wird beobachtet,
abgefilmt, ebenso wie die Landschaft abgefilmt wird, das tosende Wasser, der
unwirkliche Dschungel. Ein Käfig voller Affen, die beim Flug geklaut wurden,
werden in Szene gesetzt, geworfen, bevor sie
sich aus dem Staub machen. Die Schauspieler sind teilweise Laien, ihr Spiel
wirkt spätestens durch die Synchronisation völlig aufgesetzt. Aus
alledem hat Herzog dann einen Film zusammengeschnitten, der mich seit dem ersten
Sehen fasziniert. Die Musik von Popol Vuh tut dabei ihr Übriges.
Natürlich ist man beim ersten Sehen
verunsichert. Wenn einem Abtrünnigen aus dem Gefolge Aguirres der Kopf
abgeschlagen wird, während er noch beim Zählen ist, und der abgeschlagene
Kopf schließlich „Zehn“ sagt, wenn einem anderen Conquistador ein Speer
in den Brustkorb geworfen wird und er, bevor er ins Wasser fällt, anmerkt:
„Die langen Pfeile kommen in Mode“, fragt man sich unweigerlich, ob Herzog dem
Film tatsächlich auf solch ungeschickte Weise mehr Humor geben wollte,
oder vielleicht nach einem Monate langen, strapazierenden Dreh jede Idee für
gut befand und abfilmte. Viel Geschichte erzählt der Film tatsächlich
nicht, da wäre wohl jede Szene brauchbar gewesen, um dem Ganzen irgendeine
Form zu geben.
Aber der Film funktioniert auf einer Ebene,
die sich erschließt, wenn man das Gesamtwerk akzeptiert und sich ihm hingibt.
Man muss mit den Peruanern und Spaniern das Gebirge herabsteigen, gleich am
Anfang, und seine Sehgewohnheiten schon hier über den Wolken lassen. Diese
Reise führt eben doch weiter, in das „Herz der Finsternis“, nach dessen
Vorlage das Drehbuch entstand. In die Seele und den Wahn Aguirres. Sie offenbart
die Gier der spanischen Eroberer auf schonungslose Weise, ohne dabei irgendwie
anzuklagen.
Der Film ist schließlich völlig
gewissenlos. Welches Gewissen könnte es geben? Der König ist tausende
Meilen entfernt, in Spanien. Der Leiter der Expedition, Pizarro? „Scheiß
doch auf Pizarro!“ Und Ursua ist schon ein toter Mann. Aguirre ist ein zorniger
Gott, der ein Pferd anschreit und es zu Boden wirft. Auf einem gottverlassenen
Flussarm treibt der klägliche Rest der Mannschaft dahin, ohne Aussicht
auf irgendwas. So sinnlos wie dieses Treiben ins Nichts an sich ist, so sinnlos
ist jedes Handeln in dieser Situation. Wozu essen, wozu ums Überleben kämpfen?
Wozu sich wehren gegen indianische Pfeile, die von unsichtbaren Gegnern kommen?
Tief im Urwald, in der Dunkelheit, im Wahn wirken die vermeintlich witzigen
Szenen wie ein surrealer Galgenhumor, surrealer als Galgenhumor zwangsläufig
schon ist.
Wenn dann alle im Sterben liegen, Aguirre
Affen die Treue schwören lassen will, seine Tochter heiraten und mit ihr
die reinste Dynastie seit Menschengedenken gründen will, den größten
Verrat aller Zeiten plant, ist man, trotz des vielleicht sonnigsten Drehtags,
in der tiefsten Dunkelheit angelangt, in der sich ringsumher nur noch mehr Dunkelheit
in Form von menschenfeindlichem Dschungel und gottlosen Indianern bietet. Man
ist an einen Punkt gelangt, an den man nicht hätte kommen sollen, weil
es nur eine Stromrichtung und damit kein Zurück mehr gibt. Und Herzog erschafft
tatsächlich Bilder, die noch nie zuvor gesehen wurden. Das Ende des Wahns,
die Frage nach dem Sinn allen Strebens, und hier richtet sich Aguirres Blick
endlich direkt in die Kamera und fragt: „Wer sonst ist mit mir?“ Wahnsinn.
Patrick Wolf
Zu diesem Film gibt’s im archiv der Filmzentrale mehrere Texte
Aguirre, der Zorn Gottes
Deutschland, 1972
Regie und Drehbuch: Werner Herzog
Kamera: Thomas Mauch
Schnitt: Beate Mainka-Jellinghaus
Musik: Popol Vuh
Darsteller: Klaus Kinski, Alejandro Repulles, Cecilia Rivera, Helena
Rojo, u.a.
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