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A
History of Violence
Das Recht des Stärkeren
Kathartisch oder sadistisch, rechtschaffen oder
grotesk? "A History of Violence", der neue, wunderbar intelligente
Film von David Cronenberg, spielt die unterschiedlichen Wirkungsweisen von Gewalt
durch. Niemand kommt hier mit heiler Haut davon
Die dialektischen Verschränkungen im Kino des
David Cronenberg haben in den vergangenen 20 Jahren eines der komplexesten und
spannendsten Gesamtwerke hervorgebracht. Wie kein anderer Regisseur versteht
sich Cronenberg darauf, den menschlichen Körper in eine symbolische Ordnung
zu überführen, ohne die obszöne Lust am Fleischlichen kalter
Zeichenhaftigkeit zu unterwerfen. Cronenbergs filmisches Oeuvre hat nicht nur
in seiner thematischen Geschlossenheit etwas Organisches; im besten Cronenberg'schen
Sinne fungiert es selbst wie ein parasitärer Organismus, der nach Belieben
an formalästhetische Konstruktionen anschließen kann. Mainstream,
Arthouse-Kino, psychotronischer Film - Cronenbergs Filme bedienen den und bedienen
sich am postmodernen Bilderfundus mit einer physischen Unmittelbarkeit, die
noch die Bilder selbst durchdringt.
Sein neuer Film, "A History of Violence",
fügt sich in diese Reihe nahtlos ein. Der Film basiert auf der gleichnamigen
graphic novel
von John Wagner und Vince Locke, doch nichts ist der Ästhetik der kleinen
Bildkader geschuldet. Es dauert auch eine ganze Weile, bis die Handschrift des
Regisseurs erkenntlich wird, denn "A History of Violence" gibt sich
den Anschein eines konventionellen Thrillers, der klaren Genremustern folgt.
Cronenberg nimmt sich Zeit, den Zuschauer auf eine falsche Fährte zu locken,
doch sein Spiel mit Klischees und Stereotypen erfüllt eine ganz bestimmte
Funktion: Die Vertrautheit der Bilder unterstreicht die behagliche Normalität,
die hier als Lebenskonzeption behauptet wird.
Die Stalls sind eine amerikanische
Bilderbuch-Familie in einer amerikanischen Bilderbuch-Kleinstadt. Tom (Viggo
Mortensen) betreibt ein kleines Diner, Edie (Maria Bello) arbeitet als Anwältin,
ihre Kinder Jack und Sarah sind hübsch und wohlgeraten. Die Ehe der Stalls
ist glücklich und etwas langweilig, genauso wie die Gespräche am Esstisch
über Schulnoten und Kuchenrezepte. Die Routine im Ehebett wird mit einem
kleinen Rollenspiel unterbrochen, und wenn das Nesthäkchen Albträume
hat, versammelt sich die ganze Familie um das Bett der Kleinen.
Cronenberg etabliert diese Familienkonstellation
in wenigen Szenen mit der erzählerischen Ökonomie eines Exploitation-Films,
nachdem er als Kontrapunkt eine bestialische Ouvertüre gesetzt hat. Den
Gewaltbegriff, um den "A History of Violence" sich drehen wird, hat
Cronenberg mit der Eröffnungssequenz etabliert. Zwei Männer checken
aus einem Motel aus, verstauen ihr Gepäck im Wagen, der Ältere der
beiden geht zum Büro, um die Rechnung zu begleichen. Die Bewegungen sind
langsam und schleppend, jedes Wort wird von einem ohrenbetäubenden Zikadenorchester
übertönt. Die Hitze setzt den Männern zu, sie sind müde
und gereizt, und als der jüngere schließlich ins Büro zurückkehrt,
um Wasser zu besorgen, streift sein Blick kurz über das Massaker, das sein
Partner wenige Minuten zuvor angerichtet hat. Die kleine Tochter der Besitzer,
die sich im Nebenzimmer versteckt hält, erschießt er, ohne eine Miene
zu verziehen.
Die Szene, als Präludium vom Rest des Films
abgekoppelt, gibt den Ton vor für eine profunde Reflexion über Gewalt
- Gewalt nicht als abstraktes Konzept, sondern als physische Erfahrung, als
denkbar direkteste Kommunikation zwischen zwei Körpern. Dabei geht Cronenberg
pragmatisch an sein Thema heran: Kurz und beiläufig sind die Schnitte auf
die geschundenen Körper; allerdings lang genug, um dem Zuschauer die Destruktivität
vor Augen zu führen. Einmal wird ein Unterkiefer weggeschossen, ein anderes
Mal eine Nase zu Matsch geprügelt.
Cronenbergs Faszination für die fragile Verfasstheit
des menschlichen Körpers war in den vorangegangenen Filmen in erster Linie
klinisch bedingt; Versehrungen waren stets eine Folge mentaler Defekte. Darum
muss "A History of Violence" auf den ersten Eindruck irritieren. Cronenbergs
multiple Körperpolitik scheint hier zurückgeworfen auf prosaische
Naturkräfte. Nicht mehr evolutionäre Adaptionsprozesse bestimmen die
Kräfteverhältnisse der Körper, sondern das Recht des Stärkeren.
Und auch formal hat Cronenberg sein bisheriges Oeuvre weit hinter sich gelassen.
Der director of photography, Peter Suschitzky, der seit "Die Unzertrennlichen"
zu Cronenbergs Stammpersonal gehört, hat "A History of Violence"
in gleißendes Tageslicht getaucht: am Anfang die von der Sonne ausgebleichten
Bilder, später die kräftigen Herbstfarben des amerikanischen Mittelwestens.
Diese "kommerzielle", naturalistische Ausleuchtung bringt den Bildraum
in letzter Konsequenz um seine Tiefe. Aus dieser ostentativen Zweidimensionalität
heraus eskaliert schließlich die Gewalt.
Als die zwei Killer Toms Diner überfallen, reagiert
Tom mit tödlicher Präzision. Einem der beiden schießt er in
Notwehr das halbe Gesicht weg. Die Medien stilisieren ihn nach diesem Zwischenfall
zum Helden des Tages, Fernsehteams tauchen in dem kleinen Städtchen auf,
sein Bild wird überall ausgestrahlt. Niemand wundert sich über Toms
unerkannte Talente.
Doch der nicht abreißende Nachrichtenstrom
führt auch den Mobster Carl Fogarty (Ed Harris) und seine Gefolgsleute
von der Ostküste nach Millbrook, Indiana. Fogarty behauptet, Tom noch aus
seiner Zeit bei der Mafia zu kennen. Die Narbe, die Harris Gesicht verunstaltet,
ist eines dieser hübschen Cronenberg-Fetischobjekte. Tom soll ihm das Auge
mit Stacheldraht ausgerissen haben, damals, als er noch unter dem Namen "Crazy
Joe" für seinen Bruder Richie (William Hurt) den Ausputzer gespielt
hat. Tom tut die Geschichte als Hirngespinst ab, doch angesichts der äußeren
Bedrohung entwickelt die Gewalt im Familiennukleus bereits eine Eigendynamik.
Der ständigen Erniedrigungen überdrüssig, schlägt Toms Sohn
einen seiner Peiniger in der Schule krankenhausreif.
"A History of Violence" klinkt sich in
einen filmischen Diskurs ein, der einen weiten Bogen von Sam Peckinpahs "
… wer Gewalt sät" über Oliver Stones "Natural
Born Killers" bis zu Michael
Hanekes "Funny
Games" schlägt. Eine Genealogie
von Kino/Gewalt-Bildern. Als Apologet der Vielheit untersucht Cronenberg die
Qualität dieser Gewalt in all ihren Facetten: kathartisch, destruktiv,
sadistisch, spekulativ, rechtschaffen, grotesk etc. Nicht die moralischen Standpunkte
interessieren ihn, sondern die Affekte, die sie hervorrufen - die Reaktion des
Zuschauers, dieses ewigen Voyeurs. So hat er einige Testbojen ins Publikum gelassen
und dieses Jahr in Cannes prompt Reaktion geerntet. Einem österreichischen
Kritiker missfiel während der Pressevorführung das unangemessene Lachen
seiner Kollegen; er erbat sich lautstark mehr Ernst vom anwesenden Fachpublikum.
Cronenberg hat solche Reaktionen einkalkuliert. Er
betrachte Lachen nicht per se als unangemessene Reaktion auf seinen Film, hat
er nach der Premiere in Cannes gesagt. Ebenso wenig wie das zustimmende Johlen
des Mobs, wenn Tom in seinem Diner die zwei Psychopathen killt. Im Vergleich
zu den didaktischen Modellen eines Wim Wenders' ("Das Ende der Gewalt")
oder Michael Hanekes funktioniert Cronenbergs Film nach dem Kuleshov-Effekt:
Der Zuschauer nimmt Gewalt anders wahr, je nach dem, in welchem Kontext sie
steht (Lev Kuleshov war der sowjetische Cutter und Regisseur, der Anfang der
20er-Jahre herausfand, dass dieselbe Einstellung auf das Gesicht eines Schauspielers
jeweils anders wahrgenommen wird, wenn sie mit dem Bild eines Tellers Suppe,
dem eines Kindes oder dem eines Toten kombiniert wird. Im ersten Fall sahen
die Zuschauer ein hungriges, im zweiten ein fröhliches und im dritten ein
trauriges Gesicht). Gewalt ruft in "A History of Violence" also die
unterschiedlichsten Reaktionen hervor, und manchmal ertappt man sich beim Lachen
an den falschen Stellen - aber: Was heißt schon "falsch"?
Ausgerechnet zwei Sexszenen bilden eine Klammer um
Cronenbergs Gewaltbegriff und führen so die Ambivalenz normativer Wertvorstellungen
vor. Wohl nicht ganz zufällig weisen sie auch zurück auf die Familie,
diesen idealisiertesten aller Gewalthorte. Beim ersten Mal spielen Edie und
Tom noch harmlos ihre, wie sie es nennen, verpassten Teenagerjahre nach; wenn
Edie ihr altes Cheerleader-Dress anzieht, dann imaginieren sie und Tom eine
Unschuld, die sie längst verloren haben. Als die Fassade der Normalität
bereits bröckelt und die schizoide Doppelung von Tom/Crazy Joe nahezu vollzogen
ist, geht es noch mal richtig zur Sache: auf der Treppe, mit geballten Fäusten.
Es ist ein böser Fick, und es ist ihr bester Fick seit langer Zeit, daran
besteht kein Zweifel. Die Treppenszene liefert in "A History of Violence"
den Kulminationspunkt, an dem äußere (exzessive) und innere (domestizierte)
Gewalt endgültig miteinander verschmelzen. Eine besonders originelle Variante
von Cronenberg'scher Metamorphose.
Die Projektion seines Gewaltbegriffs auf hehre amerikanische
Familienwerte ist das Beste, was Cronenberg in den letzten 20 Jahren an Satire
geleistet hat. Darum darf Tom/Joe am Ende - nach getaner Arbeit - wieder am
Esstisch Platz nehmen. Die Familie hat ihre blutige Geschichte assimiliert,
das Leben geht weiter. Doch dieses Happy-End ist ein Hohn. Mortensens letzter
Blick spricht Bände. Ähnlich dem Ende von Douglas Sirks "Es gibt
immer ein Morgen" ist es ein Blick durch Gitterstäbe. Die Familie
als Gefängnis.
Niemand kommt mit heiler Haut davon.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Kritiken
A
History of Violence
USA
2005 - Regie: David Cronenberg - Darsteller: Viggo Mortensen, Maria Bello, William
Hurt, Ed Harris, Ashton Holmes, Heidi Hayes, Stephen McHattie, Greg Bryk, Peter
MacNeill, Kyle Schmid, Sumela Kay - Prädikat: besonders wertvoll - Länge:
96 min. - Start: 13.10.2005
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