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Akte
X - Jenseits der Wahrheit
Glaubst
du noch oder weißt du schon?
Junge Frauen verschwinden, überall
liegt Schnee, und die Figuren hüllen sich in warme Mäntel. "Akte
X - Jenseits der Wahrheit", überzeugt, solange er die Dinge in der
Schwebe hält.
Am besten lässt sich das Genre "Mystery"
über einen Umweg definieren: Auf keinem anderen Gebiet ruft man so viel
Ärger oder gar Verbitterung bei den Fans hervor, wenn man allzu freizügig
einen zentralen Plot Twist verrät, einen verdrehten Hinweis auf des Rätsels
Lösung gibt oder gar, Gott bewahre, eine subtile Andeutung über die
Überraschung am Ende macht! Das erschwert die Arbeit des Filmkritikers
natürlich erheblich - solange man ohne "Spoiler Alerts" oder
gar Weißschrift auskommen will. Wie wär's also damit: In "Akte
X - Jenseits der Wahrheit" gibt es gar keinen zentralen Wendepunkt, es
gibt auch kein besonders mysteriöses Rätsel zu lösen und keine
überraschende Wende zum Schluss. Ist das schon zu viel verraten?
Die Überraschung ist vielleicht die:
Es ist trotzdem ein ziemlich spannender Film. Denn schließlich ist "Mystery"
das Gegenteil von Gewissheit, und das bedeutet auch, dass es gar nicht so sehr
auf das Ende ankommt, sondern auf das Davor, auf die Fähigkeit, die Dinge
kunstvoll in der Schwebe zwischen Glauben und Wissen zu halten, zwischen der
Möglichkeit, dass Außerirdische an der Entführungsserie junger
Frauen beteiligt sein könnten und der Klarheit, dass es zwischen dem Priester,
der in seinen Visionen das Leid der Opfer erfühlen kann, und dem gelbzahnigen
Hauptverdächtigen eine Verbindung gibt. Vielleicht ist "Mystery"
im Grunde am Schönsten, solange noch gar nichts Determinierendes passiert
ist. Am Schlechtesten ist das Genre auf jeden Fall dann, wenn Ufos Gestalt annehmen,
wenn interplanetarische Raumschiffe sich aus dem ewigen Eis befreien und mit
Sphärenklang die Erde verlassen. Das ist in der ersten Kinoversion der
"Akte X"-Serie passiert und hat selbst eingefleischte Fans von der
Serie abgebracht.
In "Akte X - Jenseits der Wahrheit"
schlugen die Macher den umgekehrten Weg ein: Das Übersinnliche bleibt unbewiesen.
Oder doch nicht? Wie immer ist Fox Mulder (David Duchovny) sich seiner Sache
sehr sicher, während Dana Scully (Gillian Anderson) gerne glauben wollte,
wenn sie nur könnte.
Die Handlung setzt ein paar Jahre nach
Serienende ein. Mulder und Scully haben sich einige Zeit nicht gesehen. Scully
arbeitet als Ärztin in einer konfessionell geführten Klinik, wo sie
sich mit ihrem schönen und ernsten Gesicht um einen unheilbar hirnkranken
Jungen kümmert. Gerade als es für sie besonders ernst wird, bekommt
sie Besuch vom FBI, der nach Mulder fragt. Eine Kollegin ist verschwunden, der
bereits erwähnte Priester hat Visionen, und nun soll Mulder dessen Glaubwürdigkeit
prüfen. Also fährt Scully zu einer Hütte in der winterlichen
Einöde, in der ein vollbärtiger Mulder, wie es sich für das Klischee
des amerikanischen Verschwörungstheoretikers gehört, Artikel über
seltsame Begebenheiten aus Zeitungen ausschneidet und sie an die Wand pinnt.
Alle wissen, er wird in den Fall einsteigen, aber der Film lässt es sich
nicht nehmen, den Moment hinauszuzögern. Wer dabei ungeduldig wird, sollte
wahrscheinlich gleich das Kino verlassen, das Zögern nämlich wird
sich als das Hauptthema des Films erweisen. Zögernd erzählt der Priester,
ein verurteilter Pädophiler, von seinen Visionen, zögernd greift Scully
zum Skalpell, zögernd berichtet Mulder von seinen Erkenntnissen. Es kommt
darauf an, die Dinge in der Schwebe zu halten.
Der Film, so viel kann man guten Gewissens
verraten, ist zweifellos nicht jedermanns Sache. Sowieso bietet kaum ein anderes
Genre dem Hohn und Spott der Besserwisser eine bessere Angriffsfläche:
Angefangen von all den Handys, die exakt im richtigen Moment verloren werden,
über die hanebüchene Konstruktion von Zufällen bis zu den Parallelmontagen,
die auf jenen Überraschungseffekt hinzielen, den "Das
Schweigen der Lämmer"
vor mittlerweile 18 Jahren zum letzten Mal als wirklichen Schockmoment einsetzen
konnte. Hinzu kommen all die Lächerlichkeiten, die am Fernsehschirm kaum
ins Gewicht fallen, auf der großen Leinwand aber sehr albern wirken. Etwa
wenn Scully für ihren Patienten eine Stammzellentherapie erwägt und
zu Hause am Computer bei Google tatsächlich "Stammzellentherapie"
eingibt. Nur Gillian Andersons ernster Schönheit ist es zu verdanken, dass
hier nicht laut gegrölt wird.
Wer durch solche Dinge unirritierbar bleibt,
kann Gefallen finden an "Akte X - Jenseits der Wahrheit". Sehr schön
und absolut konsistent ist zum Beispiel die Wetterdarstellung: Es ist Winter,
in jeder Szene schneit es oder kommt Schneeregen vom Himmel, meistens ist es
dunkel, alle tragen Wintersachen und sehen tatsächlich so aus, als ob sie
frieren, sehr glaubhaft.
Barbara Schweizerhof
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz vom 22.7.2008
Akte
X - Jenseits der Wahrheit
USA
/ Kanada 2008 - Originaltitel: The X-Files: I want to Believe - Regie: Chris
Carter - Darsteller: David Duchovny, Gillian Anderson, Amanda Peet, Billy Connolly,
Xzibit, Mitch Pileggi, Adam Godley, Callum Keith Rennie - Länge: 105 min.
- Start: 24.7.2008
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