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Ali
Prügelnder
Feingeist
Michael
Manns Film "Ali" ist ein Boxerbilderbogen
Ein
Medley - das ist meist eine trübe Routine in den Konzerten alternder Entertainer.
Ein Strauß von nur kurz angespielten beliebten Melodien, eigenen Erfolgen
und obendrein Yesterday
und My
Way.
Doch Medleys waren auch schon etwas anderes: verführerische Metatexte,
in denen der Entertainer über alte Songs und aktuelle Welt in der Form
eines neuen, übergeordneten, moderierenden Songs reden konnte. Mit seinem
Publikum teilt er die Erfahrung der anderen, alten angedeuteten Lieder, für
beide sind sie etwas Objektives, das doch zugleich in zahllose individuelle
Erinnerungen zerfällt. Große Soulsänger wie Marvin Gaye oder
James Brown konnten in Live-Medleys hin- und herschalten - zwischen dem Reden
über geronnene, Geschichte gewordene Gefühle und dem Erzeugen von
präsenten Empfindungen. Mit so einem Medley, gesungen von Sam Cooke, beginnt
Michael Manns biografischer Film Ali.
Die
Kamera schaut dem Cooke-Darsteller von hinten über die Schulter in ein
großes, begeistertes Publikum. Einzelne Mädchen sind erkennbar, die
ihm die Hände reichen wollen. Das Medley hangelt sich nun mit Geduld durch
die Skala der Gefühle, von intimen zu distanzierten Momenten, und wechselt
virtuos die Ebenen, ohne sich zu verfranzen, während wir Bilder aus Alis
Vorleben zu sehen kriegen. Prägungen wie die Fahrt im streng nach Hautfarbe
aufgeteilten Bus, bei der ein kleiner Junge das Bild des von Rassisten zu Tode
gefolterten Emmet Till auf einer Zeitungsseite sehen muss und nicht wegschauen
kann. Das Joggen des heranwachsenden Boxtalentes, schon von Will Smith dargestellt,
unter den Augen misstrauischer Polizeipatrouillen. Bilder des segregierten Lebens
unter der Equal,
but different-Doktrin.
Bilder, die so lange vergangen sind, dass man sie als objektive Daten, als prägende
Momente eines Lebens abhaken möchte,wie zu historischen Hits abstrahierte
Gefühle.
Und
doch sind diese Eindrücke noch so präsent, dass sie immer wieder umkippen,
von erledigten Fakten in aktuelle Erschütterungen, wie jetzt, wenn sich
Sam Cooke unmittelbar zu einem afroamerikanischen Mädchen herunterbeugt.
Anders als ihre Beatles-begeisterten Zeit- und Altersgenossinnen des Jahres
1963 verliert sie nicht einfach die Fassung, Aug' in Aug' mit ihrem Star. Sie
hält ganz still, gibt Cooke strahlend ihre Hand. Dann zittert sie kurz,
schüttelt sich vor Freude und Gänsehaut und klatscht heftig begeistert
in die Hände. Das Medley geht zu Ende. Ein bis ins Detail meisterhaft musikalisierter
Bilderbogen, dessen Aufnahmen sich an berühmten Presse- und Dokumentarfotografien
orientieren und doch nie wie die sattsam bekannten Zeichen der Zeit wirken.
Doch
statt nach dieser Exposition den Modus zu wechseln und in die Gegenwart des
nun anstehenden Kampfes gegen Sonny Liston zu springen, hängt Michael Mann
einfach eine weitere musikalisierte Sequenz aus emblematischen Bildern an. Und
dann noch eine. Große Männer tauchen aus der Schönheit wohlkomponierter
Bilder hervor - wieder halb nach historischen Vorbildern, halb weiterentwickelt,
erfolgreich ästhetisiert. Brother Malcolm X wird von dem Regisseur Mario
Van Peebles gespielt, der ihm nicht die Spur ähnlich sieht, ja nicht einmal
die gleiche ikonisch gewordene Ray-Ban-Brille trägt, sondern ein späteres
Modell, und dennoch sofort als Malcolm X erkennbar ist. Jedes Bild, jede Fahrt
durch die mit speckiger Patina verklebten Katakomben der Boxarenen atmet Historie
- ein Schwarzer mit Brille kann hier nur Malcolm X sein.
Ali
ist eine Reihe von in sich stimmigen, aber zusehends beliebiger werdenden Bildstrecken,
denen nach und nach der Widerstand einer historischen Realität verloren
geht. Dieser Film erzählt nichts, sondern er bebildert mit großem
Ehrgeiz und musikalischem Gespür ein erwartetes Vorwissen, als wolle Michael
Mann einem gelangweilten Publikum zuvorkommen, das im Leben genug über
die Sechziger nachgedacht hat und nun nur noch Bilder, am liebsten andere Bilder
sehen will. Leider bleibt dabei aber nicht nur sattsam Bekanntes, sondern auch
das bis heute wenig Verstandene außen vor - insbesondere der Konflikt
zwischen Alis wichtigsten spirituellen Freunden und Vaterfiguren.
Die
Auseinandersetzungen zwischen Malcolm X und Elijah Muhammad, dem Gründer
und Führer der separatistischen afroamerikanischen Sekte Nation Of Islam
(vulgo: Black Muslims), bleiben im Dunkel eines vage angedeuteten Loyalitätskonfliktes.
Doch ging es beim Streit um die Nation of Islam, die in Alis Leben so wichtig
werden sollte, um nichts weniger als die politische Zukunft dieser wichtigsten
Konkurrenz zur Bürgerrechtsbewegung unter Martin Luther King. Malcolm,
der ehemalige Starprediger der Muslims, wandte sich unter dem Eindruck einer
Mekka-Pilgerreise und nach dem Treffen mit afrikanischen Politikern von der
separatistischen Verbohrtheit der Nation Of Islam ab und näherte sich den
globaleren Begrifflichkeiten des Antiimperialismus. Daraufhin wurde er exkommuniziert
und wenig später von Mitgliedern der Sekte ermordet. Ali blieb ihr in dieser
Situation dennoch treu und brach mit Malcolm. Warum?
Michael
Mann spart sich jede Stellungnahme. Einmal erweckt er sogar den Eindruck, Elijah
Muhammad sei der realpolitische Führer gewesen und Malcolm der Radikale.
Tatsächlich aber vertrat Muhammad bis zu seinem Tod die bizarre Theologie,
nach der alle Weißen als Teufel gezüchtet worden waren. Malcolm X
hingegen trieb die Politisierung der radikaleren schwarzen Kräfte voran
und ermöglichte den Anschluss an die internationalen Protestbewegungen
der sechziger Jahre.
Nicht
nur in der Geschichte der afroamerikanischen Befreiungsbewegungen muss man sich
auskennen, wenn man Manns Bilderbogen folgen will, auch mit der Boxhistorie.
Der Film konzentriert die Geschichte des Boxers Ali auf seinen frühen Ruhm
und den spektakulären Fight in Zaire, den "rumble in the jungle"
gegen George Foreman im Jahre 1974. Alles andere wird allenfalls aufgeblättert,
erwähnt und vorausgesetzt. Ein Aufbau, der genau dem eindrucksvollen dokumentarischen
Material entspricht, das der Modefotograf William Klein jeweils 1964 und 1974
gedreht und später zu einem Film zusammengeschnitten hat. Für das,
was Michael Mann dann dennoch über die von Klein verbürgten Situationen
hinaus erzählt und mit erfinderischer Pracht bebildert, orientiert er sich
am Nimbus und an den spezifischen Fähigkeiten seines Hauptdarstellers.
Auch wenn Will Smith sich den einen oder anderen Muskel antrainiert haben mag
- er ist kein schwerer Schläger. Alis besonderes Charisma bestand aber
gerade darin, dass hier einer durchaus schwer, kräftig, ja wenn nötig
plump, aber zugleich elegant, schnell, schlagfertig und intelligent sein konnte.
Ali war als Boxer ein brillanter Redner, nicht einfach ein brillanter Redner.
Er war als Schwergewichtler ein leichtfüßiger Tänzer, nicht
einfach ein Tänzer. In fast zwei Jahrzehnten als Rapper, Fresh
Prince Of Bel Air
und Man
in Black
vorbereitet, tendiert Smith naturgemäß zu einer gewissen Einseitigkeit.
Folglich
wird Ali der charmante Talkshow-Provokateur, der Journalistenamüsierer
und vor allem der Lady's Man weit wichtiger als der Boxästhet, der Künstler
im Ring. Quasi zum Ausgleich versucht Manns Film, die Kampfzenen akustisch mit
mehr Gewalt auszustatten - jeder Treffer ein Granateneinschlag. Dabei kommt
allerdings die ambivalente, ja paradoxe Dimension Alis als prügelnder Feingeist,
subtiler Brutaler zu kurz. Nur über diese Spannung wäre denn auch
sein politisches Naturell zu verstehen, das beharrend und radikal zugleich war,
einmal eingegangene Loyalitätsverpflichtungen mit südstaatenhafter
Sturheit durchhielt und sich andererseits flink und furchtlos in gefährliche
Abenteuer stürzen konnte: zum Beispiel die Verweigerung des Kriegsdienstes
in Vietnam, die fast das Ende seiner Karriere bedeutet hätte.
Während
also der Boxer Ali eher austauschbar erscheint und auch der Lady's Man relativ
blass bleibt, wird auf der handlungsfreien Bilderbogenebene ein anderes Anliegen
des Filmes deutlich. Ali repräsentierte wie kein Zweiter die Soul-Ära.
Er steht für die Jahre, als die politischen Bewegungen der Afroamerikaner
zusammen mit einer neuen, selbstbewussten schwarzen Kultur noch Hoffnungen auch
für ihre radikaleren Ziele hegen durften. Für Alis Verkörperung
von Soul dienen die beiden Gegner als Negativfolie, die ihm während seiner
Verweigerungspause zuwuchsen, als ihm alle Titel aberkannt wurden. George Foreman
ist Pre-Soul, die Verkörperung der schwarzen Überlebensstrategien
des alten Südens. Joe Frazier ist Post-Soul, ein illusionslos smarter,
aber prolliger Zuhältertypus, kurz: ein pimp, der populärkulturelle
Typus, der die politischen Helden der Sechziger beerben sollte.
So
vom historischen Vorgänger wie zugleich vom Nachfolger herausgefordert,
zwischen zwei Frauen stehend und von der Nation Of Islam enttäuscht, mithin
rundum verunsichert, gerät Ali 1974 in die postkolonialen Wirren von Mobutos
Zaire. Hier veranstalten der Boxpromotor Don King als Vertreter opportunistischer
afroamerikanischer Realpolitik und der eitle Diktator gemeinsam ein Festival
des kommerzialisierten Panafrikanismus - das passte gut zum postradikalen "back
to Africa" in den USA.
Im
Ring zeigt der Film Ali
als eigentlich unterlegenen, physisch gefährdeten Boxer, der im Kampf gegen
Foreman für den Triumph der Integrität stehen soll, ihrer intelligenten
ebenso wie ihrer stumpf beharrenden Dimensionen. Es ist eine Integrität,
die als Ergebnis dieses Bilderbogens allerdings völlig entpolitisiert,
nur noch als persönliche Charakterstärke auftritt. Ein sehr amerikanisches
Ende für eine Geschichte, die mal als etwas anfing, vor dem das weiße
Amerika gezittert hat.
Diedrich
Diederichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Ali
USA 2001 - Regie:
Michael Mann - Darsteller: Will Smith, Jamie Foxx, Jon
Voight, Mario Van Peebles, Ron Silver, Jeffrey Wright, Mykelti Williamson, Jada
Pinkett Smith, Nona Gaye - Prädikat: besonders
wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
159 min. - Start: 15.8.2002
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