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Allein
Sog
der Konsequenz
Ein
kahler, sandiger Hügel, auf dessen Plateau eine schlichte, wuchtige Stahlskulptur
gen Himmel ragt. "Sieht aus wie ein UFO-Landeplatz", sagt Jan einmal
über diesen Ort, dessen scheinbare Grenzenlosigkeit für Maria ein
Refugium bietet. Mit dem massiven Stahl im Rücken hockt sie dort manchmal
für sich - allein mit der Welt. Aber immerhin nicht allein.
Unten
in der Stadt quält sie die ständige Angst vor dem Alleinsein, sie
betäubt sich mit Schnaps und Pillen und gaukelt ihrer wehen Seele durch
schnellen Sex für die Dauer eines kurzen Moments Nähe und Zuneigung
vor. Ihr Pendel schlägt beständig unkontrolliert aus, erst recht,
als mit Jan ein Mann in ihr Leben tritt, zu dem sich erstmals echte Liebe entwickelt.
Grenzenlosigkeit und Selbstgeißelung hat ihr Selbstbild zur häßlichen
Fratze verzerrt. Immer wieder starrt Maria in den Spiegel - eine Antwort findet
sie nicht.
So
nackt und schutzlos, wie sich Marias Innenleben darbietet, so unverziert und
bar jeder Anbiederung an die Bequemlichkeit visueller Gewohnheiten ist ihre
Geschichte illustriert. Fast analytisch folgt die Kamera Michael Wieswegs den
Szenen und formuliert in ihrer Mischung aus Nähe und Distanz eine einnehmende
Subjektivität. Frei von jeglicher artifiziellen Hüftsteife entwickeln
die überwiegend langen Einstellungen einen faszinierenden Sog, weil sie
- zum Teil auch über die Kadergrenzen hinweg - die Handlung nicht bloß
illustrieren, sondern die Geschichte bis in ihre Tiefe ausloten.
Möglich
ist dies auch dank der in jedem Augenblick glaubhaften Lavinia Wilson, die Marias
Stimmungswechsel in aller Konsequenz zu tragen versteht und die Figur über
die simple Erzählebene hinweg beängstigend präzise kommuniziert.
Das, was der Dialog dankenswerter Weise ausläßt, vermittelt sich
so durch das Spiel der Darsteller, dem insistierenden Blick der Kamera und dem
rhythmischen Feingefühl des Editors.
Thomas
Durchschlags Debüt ist beseelt von dem Mut, die Gestaltung des Films der
Figur und ihrer Geschichte komplett unterzuordnen. In "Allein" gibt
es keinen Moment, der nach faulem Kompromiß riecht, und keine Entscheidung,
die nach bloßer Konvention gefällt scheint. Und das heißt keineswegs,
daß "Allein" etwa schlechter konsumierbar oder irgendwie ästhetisch
durchschlagend innovativ wäre. Der Film ist einfach so radikal wie es seine
Figur vorgibt und so ehrlich wie es die Geschichte vorschreibt. Und das ist
es doch, was Konsequenz im Film bedeutet: das Umsetzen einer Vision ohne Abrieb
am Kompromiß.
Oliver
Baumgarten
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Allein
Deutschland
2004 - Regie: Thomas Durchschlag - Darsteller: Lavinia Wilson, Maximilian Brückner,
Richy Müller, Victoria Mayer, Tobias van Dieken, Holger Kunkel, Peter Fieseler,
Daniel Drewes, Wolfgang Packhäuser - Länge: 88 min. - Start: 28.7.2005
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