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Alles
ist erleuchtet
Die Erinnerung ist das zentrale Motiv in Liev Schreibers
Regiedebüt “Alles ist erleuchtet”. Es zieht sich durch den Film als eine
objektverhaftete, traumatische, flüchtige und nicht zuletzt zwanghafte
Form der Geschichtsschreibung. Nicht die von Michel Foucault beschriebene “totale
Historie”, sondern der Punkt, an dem sich das individuelle Leben in den großen
Fluss der Geschichte einschreibt. Wie diese singulären, fast verklungenen
Stimmen sich Gehör verschaffen können, ohne vom Raunen der Geschichte
übertönt zu werden, davon erzählt “Alles ist erleuchtet”. Jonathan
Safran Foer ist Autor und Hauptfigur dieser Sinnsuche, und sein gleichnamiger
Roman ist vor einigen Jahren in den Feuilletons als kleiner Geniestreich gefeiert
wurden.
Jonathan, gespielt von Elijah Wood, ist der Zwangs-Charakter
in “Alles ist erleuchtet”. So tadellos wie sein Anzug und seine regungsloser
Seitenscheitel sitzen, so penibel organisiert ist seine Sammlung von Alltagsgegenständen
- als könnte er im Arrangement des Alltäglichen (jedes Objekt ist
in einem kleinen Plastikbeutel an seine Zimmerwand geheftet) der Entropie um
sich herum Herr werden. Ein altes Foto hat ihn in die Ukraine geführt,
der Heimat seiner Familie. Hier, in einem kleinen Städtchen namens Trachimbrod,
hat ein Mädchen einst seinen Großvater vor den Nazis gerettet. Auf
seiner Suche nach der unbekannten Frau wird Jonathan von dem jungen Alex (Eugene
Hutz) und dessen Großvater, einem launischen Antisemiten, begleitet. Durch
diese seltsame Konstellation gewinnt der Film zunächst an Dynamik, ihre
Reise durch das ukrainische Hinterland entlarvt kulturelle Missverständnisse
sowie spezifisch popkulturelle Übersetzungsdefizite, die sich bis in die
grandios verdrehte Sprache des Möchtegern-Homeboys Alex fortschreiben.
Jonathan, oder Jonfen, wie Alex ihn nennt, scheint in dieser Welt völlig
fehl am Platz. Ein Vegetarier in einem Land, das die Kartoffel nicht ohne den
Schweinebraten kennt. (Die Kartoffel landet schließlich in einem Plastikbeutel).
Safran Foers Roman ist eine Art moderne Schelmengeschichte,
doch Woods spielt Jonathan verstockt und anämisch, geradezu passiv. Der
Reiz des Romans, der Sinn der Sinnsuche, bleibt lange Zeit unklar. Doch je weiter
sich die drei von der Zivilisation entfernen, desto ernster wird der Ton des
Films, bis Schreiber schließlich ganz auf die stoischen “Andersonismen”
(eher Wes als Paul Thomas) verzichtet, die von Anfang an nicht überzeugend
wirken. Am, so scheint es, Ende der Welt, umsäumt von einem goldenen Sonnenblumenfeld,
wartet eine alte Frau auf Jonathan, um die Leerstellen in der Geschichte seines
Großvaters endlich zu füllen. Wie Jonathan ist auch sie eine Sammlerin,
doch die Erinnerungen, die sie sorgfältig in Pappkartons aufbewahrt, sind
so unvorstellbar, dass sie einfach aus dem kollektiven Gedächtnis verbannt
wurden.
Die Vergangenheit erleuchtet die Gegenwart, sagt
Alex zu Jonathan. Doch Schreiber lässt in seiner Adaption zuviel im Dunkeln,
vor allem, was die ambivalente Figur des Großvaters betrifft. Das Sentiment,
das im letzten, entscheidenden Drittel des Films Überhand nimmt, verstellt
den Blick auf die Holocaust-Problematik, die sich nicht allein im Generationenkonflikt
erschöpft. Doch vielleicht ist Jonathan, im Film dank gleißender
Überblendungen immer wieder von einem Heiligenschein umgeben, ja auch Benjamins
Engel der Geschichte. Das Gesicht der Vergangenheit zugewandt, wird er von einem
Sturm in die Zukunft getrieben, in der sich Trümmer auf Trümmer häufen.
Es bedarf allerdings noch einiger Generationen, diese Trümmer abzutragen.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film
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diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Alles ist erleuchtet
USA 2005 - Originaltitel: Everything
Is Illuminated - Regie: Liev Schreiber - Darsteller: Elijah Wood,
Eugene Hutz, Boris Leskin, Laryssa Lauret, Tereza Veselková, Bert Schneider,
Jana Hrabetová - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 106 min.
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