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Alpha
Dog
Der Film kommt gerade recht, passt er doch wunderbar
in die aktuelle Familiendebatte: Es geht um gutsituierte Vorstadt-Mittelklasse-Jugendliche,
die aus dem Ruder laufen, weil ihre (vielfach berufstätigen) Eltern mit
ihrem eigenen Leben vollauf beschäftigt sind und die Kinder so weitgehend
unkontrolliert ihren jeweiligen „Geschäften“ nachgehen und ihren Medien-Vorbildern
nacheifern können. Sie sind darauf versessen, „Gangsta“ zu spielen. Wenn
sie ihre kleinen Drogendeals abwickeln, Party machen, gemeinsam abhängen
oder auch Videospiele spielen, laufen im Hintergrund immer großspurig-protzige
HipHop-Videoclips, und an den Wänden der Zimmer, die irgendwie noch immer
Kinderzimmer sind, hängen Poster von einschlägigen Filmen wie „Scarface“.
Johnny Truelove ist in seiner Clique das titelgebende
Alpha-Tier, tatsächlich aber ein Angeber, der spürbar unsicher wird,
wenn er auf einen ernstzunehmenden Gegenspieler trifft. Im Vergleich dazu ist
mit dem aggressiven Speed-Freak und Dealer Jake Mazursky wirklich nicht zu spaßen,
wie Johnny erkennen muss, als er von ihm die Begleichung von Schulden einfordert,
was sofort zu einer wilden Prügelei führt. Als Mazursky kurz darauf
mit einigen Kumpanen nächtens Johnnys Haus verwüstet, sieht sich der
gezwungen, seine Machtposition symbolisch zu behaupten. Der Zufall kommt ihm
zu Hilfe, als ihm Mazurskys jüngerer Bruder Zack über den Weg läuft.
Ohne eine konkreten Plan zu haben, nimmt man Zack kurzerhand als Geisel. Nach
einem kurzen Schrecken findet sich Zack allerdings vorzüglich in seine
neue Situation hinein, solidarisiert sich mit seinen Entführern gegen seinen
Bruder und wittert die Chance, ein paar Tage mit der in seinen Augen höchst
coolen Clique umherzuziehen. Da auch die Jugendlichen um Johnny nichts Persönliches
gegen Zack haben, wird die Entführung fast zu einer Spritztour. Doch während
sich die Clique in Palm Springs vergnügt, gerät die Situation in Los
Angeles allmählich außer Kontrolle. Nicht nur, dass Jake Mazursky
Rache schwört, auch schalten Zacks besorgte Eltern die Polizei ein. Johnnys
Vater Sonny wiederum, ein abgebrühter Macho, versucht nachdrücklich,
seinen Sohn zur Räson zu bringen. Fast schon panisch muss Johnny entdecken,
dass er sich auf eine Sache eingelassen hat, die einige Nummern zu groß
für ihn ist.
In den USA sorgte Nick Cassavetes’ „Alpha Dog“, die
filmische Rekonstruktion eines wahren Falles, für einigen Wirbel, weil
der Film in ein schwebendes Verfahren eingriff: die Mordanklage gegen den Kleindealer
Jesse James Hollywood, der 2005 in Brasilien gefasst werden konnte. Regisseur
und Drehbuchautor Cassavetes hatte Zugriff auf die Ermittlungsakten des FBI,
das seinerseits darauf hoffte, dass die Kunde von der Filmproduktion den untergetauchten
Kriminellen aufschrecken würde. Was funktionierte. Jetzt zeichnet Cassavetes
in einer Mischung aus epischem Drama (die einzelnen Figuren werden als durchnummerierte
„Zeugen“ eingeführt) und Reality-TV (Figuren geben ihre Einschätzung
bestimmter Entwicklungen und Situationen direkt in die Kamera zu Protokoll)
die Geschichte eines Mordes nach, die zwischenzeitlich immer wieder ins Groteske
umzuschlagen droht: Die Entführung gipfelt in Zacks Ermordung in der Wüste,
was umso fürchterlicher scheint, weil zwischen Tätern und Opfer in
den Tagen zuvor so etwas wie eine freundschaftliche Beziehung entstanden zu
sein schien. Obschon man schon früh um Zacks blutiges Ende weiß,
ist die nachgereichte Entwicklung dorthin alles andere als zwangsläufig.
Immer wieder scheint eine spielerische Auflösung des Falls möglich,
doch scheitert dies an Protagonisten, die sich in einer ungesunden Mischung
aus Macho-Gehabe, Versagensängsten, intellektueller Überforderung
und der Abwesenheit internalisierter moralischer Normen verstricken. Im gesamten
Film gibt es keine Figur, die sich zur Identifikation anböte; auch die
von Sharon Stone gespielte trauernde Mutter von Zack unterschlägt ihren
persönlichen Teil an Schuld und zerfließt in Selbstmitleid und Rachedurst.
Im Gegensatz zu Larry Clark, mit dessen „Bully –
Diese Kids schockten Amerika“ (2001) „Alpha Dog“ untergründig kommuniziert,
hält Cassavetes mit einer Bewertung des Geschehens nicht hinterm Berg;
vor allem die Eltern, die schlicht abwesend, selbst kriminell oder überbesorgt
sind, werden in die Verantwortung genommen. Immer wieder halten sich die Jugendlichen
in ordentlich gepflegten Räumen auf, in denen sie mit sich selbst allein
sind. Hierin greift „Alpha Dog“ auf einige Beobachtungen zurück, die bereits
Gus Van Sant in „Elephant“ (fd 36 420) registrierte. Interessant ist, dass
der eigentliche Hauptdarsteller Emile Hirsch von seinen Kollegen Ben Foster
und Anton Yelchin glatt an die Wand gespielt wird, wobei Foster das Kunststück
gelingt, seine physische Präsenz auch dann noch zu behaupten, wenn er sich
aus dem Film längst verabschiedet hat. So bleibt er als imaginäres
Movens der Handlung so in Erinnerung, wie er wohl auch Johnnys Handeln prägt.
Auch Popstar Justin Timberlake gelingt eine überraschend subtile Darstellung
der moralisch ambivalenten Figur des Frankie Ballenbacher, des Jungen, der sich
als sein „Aufseher“ mit Zack anfreundet und trotzdem nicht eingreift, als der
Junge ermordet wird. Nicht nur in seiner Musik, auch in seiner darstellerischen
Prägnanz zeigt sich Timberlake vergleichbaren Popstars wie Britney Spears,
Beyoncé oder Jennifer Lopez deutlich überlegen.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-dienst
Alpha
Dog
USA
2006 - Regie: Nick Cassavetes - Darsteller: Emile Hirsch, Justin Timberlake,
Bruce Willis, Sharon Stone, Ben Foster, Anton Yelchin, Dominique Swain, Charity
Shea, Heather Wahlquist - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 16 - Länge:
117 min. - Start: 22.3.2007
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