zur startseite
zum archiv
zu den essays
Amistad
Rückblende. Vor genau vier Jahren hatte Steven Spielberg mit
Schindlers Liste seine künstlerische Volljährigkeit erworben. "Steven
Spielberg ist erwachsen geworden!", hieß es damals nicht selten im
deutschen Feuilleton, und die darin mitschwingende Freude hatte mindestens zwei
Ursachen. Zum einen war sie Ausdruck des allgemeinen Miß- bzw. Wunschverständnisses,
mit Schindlers Liste endlich das langerwartete Epos vom guten Deutschen geliefert zu bekommen.
Eine Geschichte, die - zumal von dem Juden Spielberg inszeniert - endlich eine
andere Erinnerung an "Hitler-Deutschland" möglich machte. Ganz
in der von Hannah Arendt beschriebenen Tradition der Bewältigungs/Verdrängungs-Technik
wurde damit die Komplexität des Films auf die Feier eines deutschen Helden
im Kampf gegen die "Monster der Geschichte" herunterignoriert.
Zum anderen speiste sich die Freude aus dem dankbaren Umstand, sich
hier mal wieder als letzte Autorität der "U"- und "E"-Klassifizierung
beweisen zu können, indem man den kindlichen Unterhaltungskünstler
Spielberg aus gegebenem Anlaß großzügig und kraft der eigenen
Definitionsmacht in die "E"-Klasse versetzte. Entscheidend dafür
war freilich, daß Spielberg in den deutschen Kinos erst ein halbes Jahr
zuvor mit Jurassic Park seinem alten Image alle Ehre gemacht hatte. Der Kontrast konnte gar
nicht größer und die allgemeine Bewunderung der Vielseitigkeit des
Regisseurs gar nicht besser provoziert werden. Vorausgesetzt, man blieb blind
für die dramaturgischen Parallelen, die sich gleichsam durch alle Filme
Spielbergs ziehen. Schnitt.
Amistad ist Spielbergs erste Regie-Arbeit für die von ihm selbst, Geffen
und Katzenberg gegründeten "Dream Works Production" und handelt
von dem Freiheitskampf versklavter Afrikaner Mitte des 19. Jahrhunderts. Nach
der obigen Unterteilung also etwas für die "E"-Freunde. Gerade
dazu aber ist bemerkenswert, daß (sowohl in Deutschland als auch in den
USA) der zeitliche Abstand zwischen den Kinostarts von Lost World - Jurassic Park II und Amistad fast exakt dem zwischen Jurassic Park und Schindlers Liste entspricht. Denn eingedenk der nahezu alle Spielberg-Filme verbindenden
Qualität, die mit einer fast rhetorisch zu nennenden Überzeugungsarbeit
zu tun hat, scheint in dieser zeitlichen Abfolge ein der Spielberg-Dramaturgie
verwandtes System sichtbar zu werden. Eine Systematik, die einmal mehr deutlich
macht, daß wir es bei Amistad mit einem Produkt zu tun haben, das den Gesetzen einer machtvollen
Kulturindustrie folgt und die eindimensionale Rückführung auf ein
autarkes Filmemacher-Genie fragwürdig macht. Der vor vier Jahren so erfolgreiche
Zeitrahmen, der Spielbergs Renommee und Glaubwürdigkeit so nachhaltig sicherte,
wird hier schlicht kopiert. War 1994 Jurassic Park eine Art Prolog zu Schindlers Liste, so nimmt Lost World und eben die Erinnerung an '94 eine ähnliche Funktion für
Amistad ein.
Wie schon Schindlers Liste basiert auch Amistad auf historischen Hintergründen. "La Amistad" ist der
Name eines spanischen Sklavenschiffs, auf dem im Jahre 1839 53 verschleppte
Schwarzafrikaner ihre Peiniger ermorden und schließlich vor der Küste
von Connecticut aufgebracht werden. Der Prozeß gegen die wegen Mordes
angeklagten Freiheitskämpfer gerät zunächst zu einem Streit über
die Besitzrechte. Dank der Abolotionisten Joadson (Morgan Freeman) und Tappan
(Stellan Skarsgård) und vor allem durch den jungen Anwalt Baldwin (Matthew McConaughey)
wird aus dem Verfahren über die Verfügung von "menschlicher Ware"
jedoch bald die Überprüfung der Gültigkeit der Amerikanischen
Unabhängigkeitserklärung.
Nach zwei spektakulären Freisprüchen, die die Entführten
als in Freiheit geborene Afrikaner anerkennen, legt schließlich der um
seine Wiederwahl bangende US-Präsident Van Buren (Nigel Hawthorne) Protest
ein. Der Fall kommt vor das oberste Bundesgericht. Der überwiegende Teil
der Richter in dieser höchsten Instanz hält selbst Sklaven - und so
wird der Ex-Präsident und puritanische Moralist John Quincy Adams (Anthony
Hopkins) zur letzten Chance der Angeklagten.
Es ist ein leichtes, Amistad entweder als engagiertes und differenziertes Courtroom-Drama zum
Thema Menschenrechte zu feiern oder als ideologisches Machwerk abzukanzeln.
Leicht, nicht zuletzt wegen seiner Funktion als Massenereignis und der besonderen
Dramaturgie der Spielberg-Filme, die an alle heranwill. Leicht auch, weil für
jede Position Gründe angeführt werden können und Autorität
hierzulande stets mit einem immer schon abgeschlossenen und eindeutigen Richterspruch
identifiziert wird. Amistad jedoch funktioniert gerade über die Bewegung, die zwischen diesen
beiden zugeschriebenen Extremen passiert, und wird dadurch (wie schon Schindlers Liste) zu einem der wirksamen Beispiele für den Wunsch nach und die
Schwierigkeiten von Eindeutigkeit im Kino.
Zweifellos läßt sich Amistad als eine geschickt austarierte Feier und rückblickende Reinstallation
des Mythos Amerika mit seinem Freiheits- und Gerechtigkeitsanspruch verstehen.
Anthony Hopkins aufgeladene und in ihrem kämpferischen Pathos erfolgreiche
Rede als Ex-Präsident Adams vor dem obersten Bundesgericht bildet den finalen
Höhepunkt des Films. Sie bringt das amerikanische Ideal auf den Punkt und
zur Welt zurück, das bis zum Ende dann auch keine Trübung mehr erfährt.
Da paßt es ganz gut, daß es im Film selbstverständlich amerikanische
Befürworter der Sklaverei gibt, alle Sklavenhändler und -schinder
aber (historisch abgesichert natürlich) spanisch sprechen. Die erzählerische
Gewichtsverlagerung schreibt sich fort: Mit zunehmender Filmdauer setzt eine
Instrumentalisierung der verschleppten Schwarzafrikaner ein, die zusehends auf
ihren Anführer Cinque (Djimon Hounsou) reduziert werden.
Noch einiges mehr ließe sich in dieser Richtung anmerken, die
insgesamt mit der ideologisch aufgeladenen Erzählweise von Amistad zu tun hat und die man prinzipiell ablehnen kann. Wer sich ihr aber
stellt, kann ebenso eine Reihe von Momenten bemerken, die sich gegen eben das
bewegen, was da auf den ersten Blick so eindeutig erscheint.
Wichtig ist dabei vor allem, auf welche Weise Amistad die Frage von Identität, die Distinktion "das Eigene"
vs. "das Andere", verhandelt. Hier nämlich verweigert Amistad über weite Strecken durchaus eilfertige Zuschreibungen, indem
er die Gruppe der Schwarzen als eine heterogene Zwangsgemeinschaft präsentiert,
die in sich kulturelle und geschichtliche Differenzen trägt und sich keineswegs
als exotische Variable für "das Fremde" anbietet. In diesem Sinne
spielt die Eröffnungsszene von Amistad mit der rassistisch-dämonisierenden Inszenierung des Körpers
des "schwarzen Mannes": Im Gewitterblitzlicht wird die extreme Nahaufnahme
von Djimon Hounsous Gesicht erst nach einiger Zeit als das Porträt eines
Menschen erkennbar. Zitathaft und nachträglich mehrfach gebrochen bekommt
hier "das Fremde" einen an Jurassic Park erinnernden Auftritt, um bald darauf eben zur Identifikationsfigur
- auf eine Weise zum "Eigenen" - zu werden, das trotzdem eine eigene
Geschichte und vor allem Sprache behält.
Auf ähnliche Weise untergräbt Amistad die Bedeutung des Heldenmythos mit Hilfe der Geschichte des Anführers
Cinque. Der nämlich lehnt seine Rolle als "Chief" ab. Mit Glück
habe er vielmehr ein als Heldentat gefeiertes Ereignis überlebt. Genau
nach diesem Bekenntnis, nach dem eigentlich jede Heldenkonstruktion in Amistad fragwürdig erscheinen muß, kommt jedoch ironischerweise
endgültig eine Heroisierungsmaschine in Hochform, deren Objekte der wahre
Ur-Amerikaner John Quincy Adams und eben Cinque sind. Dieser Logik folgend wird
Cinque schließlich doch immer deutlicher zu dem von ihm geleugneten Platzhalter
"der Afrikaner". Wenige Minuten zuvor waren die Angeklagten noch als
uneinheitliche, konfliktbeladene Gruppe eingeführt worden; eben dieses
Hin und Her prägt die Geschichte von Anfang bis Ende.
Was Amistad auf diese Weise betreibt, ist Geschichtsschreibung. Und die Frage,
inwiefern Geschichte hier wem zuhanden gemacht wird, gilt es zu diskutieren.
Gerade deswegen aber könnten die inhärenten Widersprüchlichkeiten
auch als eine Aufforderung zur Überprüfung unserer Sehgewohnheiten
verstanden und benutzt werden. Anders gesagt: Vielleicht ist es trotz der Parallelen
zu Schindlers Liste und der Überzeugungs-Strategie der Spielberg-Industrie angebracht,
in bezug auf Amistad weniger von Spielberg als vielmehr über uns selbst zu sprechen.
Es gibt keine Notwendigkeit (außer jener der Gesetze des Marktes und der
damit verbundene Autoritätsdefinition) Amistad in die Eindeutigkeitszwangsjacke zu sperren - das macht Spielbergs
Film in fast demselben Maße schon selbst, wie er auch den Ausbruch daraus
beinhaltet.
Jan Distelmeyer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd film 3/98
zur startseite
zum archiv
zu den essays