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Amores
Perros
Pain is so close to pleasure
"Amores
Perros" ist ein Film aus Mexico, genauer Mexico City, also aus der Vorhölle
der zivilisierten Welt. Daß das so ist, macht der Film mit seinem fulminanten
Auftakt, der ersten von drei Episoden, mehr als deutlich. Diese hat nicht nur
einen satanisch schnellen Erzählrhythmus, sie spielt auch im Milieu der
sogenannten Kleinkriminalität. Hundekämpfe, Drugstore-Überfälle
und eine kaputte Familiensituation dominieren das erste Drittel. Es geht um
ein hohes Gewaltpotential.
Außerdem
geht es um Neid, Bruderkonflikt und durch den ganzen Film hindurch darum, wie
man sich in das verliebt, womit man ständig umgeben ist, was man ständig
sieht (wie das schon Hannibal
Lecter
wußte). Und vor allem um die daraus resultierenden Konflikte, ja nahezu
fatalistisch um die Unmöglichkeit einer solchen Liebe. Was wohl der Titel
andeuten soll, dessen englische Entsprechung und dessen internationaler Plakattitel
"Love's A Bitch" lautet.
Auch
sonst geht es in diesem Film lustig zu. Wenn El Chivo, der sein Leben als Auftragskiller
in der Maske eines Penners fristet, auf seinen stotternden Auftraggeber trifft,
dann ist das wohl Humor. Zentral geht es aber weiter um die Unmöglichkeit
von Liebe. Die zweite Episode spielt abwechslungshalber im Upperclass-Werbemilieu.
Sie zeigt die zermürbende Variante der Liebe, was durch die Langsamkeit
ihrer Erzählung versinnbildlicht wird. Die dritte schließlich führt
die Milieus und die Erzählgeschwindigkeiten zusammen.
Regisseur
Inárritu hat alle Ingredienzien sorgfältig abgestimmt und daraus
ein feines Süppchen gekocht, das jetzt allerlei euphorische Namen bekommen
hat - von "A New Mexican" (New York Times) bis zu "Filmkunstperle"
(Blickpunkt Film). Doch die Frage, die sich stellt, und auf die J. Hoberman
von der Village Voice (leider nicht mehr online) kürzlich treffend verwies,
ist: Was heißt hier Filmkunst?
Der
Film besticht vor allem formal, insbesondere Kamera und Schnitt greifen wie
ein Uhrwerk ineinander. Ganz zu schweigen von der Homogenität der Verquickung
der drei Episoden, die sich mit der von Tarantinos "Pulp
Fiction"
vergleichen lässt. Altman an dieser Stelle zu zitieren, wäre Hysterie.
Denn weder reichen Altmans Bildideen, noch die Qualität seiner szenischen
Übergänge dafür aus. Inárritus Inszenierung ist dabei
deutlich emotionaler dramatisiert, und vor allem weniger offensichtlich zynisch
als "Pulp Fiction". Was ihm den Geruch von Realismus einbringt, aber
nicht im Geringsten am Status "Fiktion" rüttelt.
"Amores
Perros" ist Filmkunst. Wenn Filmkunst heißt, zu konstruieren, wenn
innovativer Schnitt, unkonventionelle Kamera und dramaturgisch ausgefeilte Inszenierung
Prüfsteine von Filmkunst sind. Dann sind "The
Limey",
"Natural
Born Killers"
und letztlich sogar "Lola
Rennt"
auch Filmkunst. Die Fragen müssen vielleicht neu gestellt, die Kategorien
vermutlich verworfen werden: Zum Beispiel, ob ein Film ein Anliegen hat, was
er über den Plot hinaus zu erzählen hat, ob er Momente des real existierenden
Wahnsinns, von Besessenheit vermittelt.
Ein
paar Momente des Wahnsinns, von Besessenheit, Verzweiflung und Liebe vermittelt
"Amores Perros". Zum Beispiel, wenn Octavio zurückgeht zum Kampfplatz,
wo sein Kontrahent auf seinen Hund geschossen hat, um ihm ein Messer ins Herz
zu stechen. Oder wenn El Chivo seinen Auftraggeber und das Opfer, das er beseitigen
sollte, zusammensperrt, und so die beiden Brüder mit sich und ihrem Haß
konfrontiert. Das Problem, das bestehen bleibt, ist das Problem aller Episodenfilme:
ihre Konstruktion drängt sich zwangsläufig in den Vordergrund und
erweckt so den Eindruck von inszenatorischer Kälte. Und anders als etwa
in "Pulp Fiction", wo Konstruktion und Form zum Inhalt erhoben werden,
erscheint hier der Vorwurf latenten Zynismus' naheliegender: Um so mehr Ernsthaftigkeit
bei der Behandlung ernster Themen vermittelt wird, desto größer ist
die Gefahr der Verwechslung von Humor mit Zynismus.
Achim
Wiegand
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Amores
Perros
(Amores perros), Mexiko 2000, 147 Min. R, P & S: Alejandro González
Inárritu, S: Luis Carballar, Fernando Pérez Unda, Martha Sosa
Elizondo, B: Guillermo Arriaga Jordan, K: Rodrigo Prieto, M: Gustavo Santaolalla,
D: Gael García Bernal, Emilio Echevarría, Goya Toledo, Alvaro
Guerrero, Vanessa Bauche, u.a.
X-Verleih,
1. November 2001
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