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Angst
essen Seele auf
Der
Filmtitel ist mittlerweile zum geflügelten Wort geworden, selbst der Duden
„Zitate und Ausprüche“ listet den Satz als stehende Redewendung. Entstanden
ist der Titel zufällig durch eine Äußerung El Hedi Ben Salems,
damaliger (Lebensabschnitts-) Gefährte Fassbinders und Hauptdarsteller
des Films.
Inhalt
Die
60 jährige deutschen Putzfrau Emmi (Brigitte Mira) lernt den 29 Jahre jüngeren
marokkanischen Gastarbeiter Salem (El Hedi ben Salem) in einem Lokal kennen.
Die Einsamkeit beider führt sie zusammen; Emmi lebt das vereinsamte Leben
einer in die Jahre gekommenen Witwe, Salem leidet unter der Isolation der Ausländer.
Gegen die Widerstände ihrer Umwelt beschließen beide zu heiraten,
doch der soziale Druck wird immer größer: Emmi wird von Nachbarn
geschnitten, von den Kolleginnen als Hure beschimpft, von ihrer Familie verstossen,
erhält vom Kolonialwarenhändler Ladenverbot. Und auch Salem erntet
Unverständnis für die Heirat mit einer älteren Frau.
Beide
beschließen in den Urlaub zu fahren. Als sie wiederkommen, scheint sich
die Umwelt mit den Beiden arrangiert zu haben: die Nachbarn sind froh über
einen „starken Mann im Haus“, die Kolleginnen der Putzkolonne nehmen Emmi wieder
in ihren Kreis auf, und auch Emmis Sohn entschuldigt sich.
Doch
was so oberflächlich als Fortschritt erscheint, ist nur eine neue Stufe
der Diskriminierung: Emmis Kolleginnen der Putzkolonne haben in ihrer neuen
jugoslawischen Vorarbeiterin ein neues Objekt der Diskriminierung entdeckt.
Emmi wird nicht mehr als Sündenbock gebraucht. Jetzt da der äußere
soziale Druck auf Emmi und Salem schwindet und beide wieder in ihre angestammten
Kreise zurückkehren, bröckelt auch die innere Solidarität zwischen
beiden.
Salem
ist für Emmi jetzt nicht mehr emotionales Subjekt, sondern ein Objekt,
das gegenüber den „eigenen“ Leuten eingesetzt wird: als Arbeitskraft im
Haus, als das faszinierende Fremde und sexuelle Attraktion bei Kolleginnen und
Familie. Salem reagiert und geht fremd. Die Konflikte zwischen alt und jung,
zwischen Inländer und Äusländer sind in die Beziehung der Beiden
vollends hineingekrochen. Das Gelingen eines letzten Versöhnungsversuchs
in der Kneipe, da wo alles begann, wird offengelassen.
Inszenierung
Fassbinder
drehte den Film in seiner frühen Hauptschaffensperiode, in der er – nach
seinen erfolgreichen Debuts in Theater und Film (Katzelmacher,
Händler
der vier Jahreszeiten,
Der
amerikanische Soldat)
– Sozialdrama/Kritisches Volksstück und hollywoodsches Melodram zu verbinden
suchte. Neues Vorbild waren Douglas Sirks Filme wie All
That Heaven Allows
(1955), ein Melodram, das eine ähnliche, ja parallele Konstellation wie
Angst
essen Seele
auf aufweist. Fassbinder zitiert sogar Sirks Film in einigen Sequenzen.
Neu
für Fassbinder, das deutsche Autorenkino und auch für fast das gesamte
deutsche Kino der 70er Jahre war, dass hier zum ersten Mal ein sozialdramatischer
Stoff gezielt dramaturgischen Wirkungsstrategien unterworfen wurde. Das, was
später auch als Fassbinders „Wendung zum Publikum“ bezeichnet wurde, war
nichts anderes als der Versuch, das Publikum über Psychologisierungen,
Personenbindungen, bewusste Wirkungsschnitte und Kameraeinstellungen emotional
zu führen.
Das
mag heute selbstverständlich sein, war es doch seinerzeit keineswegs: der
Autorenfilm sah sich im Wesentlichen dem sachlich-distanzierten Erzählstil
verpflichtet, der formell dem Brechtschen epischen Verfremdungstheater entsprang
und – im speziellen Falle Fassbinders - inhaltlich auf das Kritische Volksstück
einer Marie Luise Fleißer Bezug nahm. Katzelmacher
stand prototypisch für diesen alten Stil: lange Plansequenzen, kaum Schnitte,
karge Dialoge, kaum Beleuchtung, keine psychologische Wärme - ein kalter
und distanzierter Blick auf Welt und Subjekt.
In
Angst
essen Seele
auf hält Sirks Prinzip „Motion makes emotion“ langsam Einzug in Fassbinders
Filme. Später sollte Fassbinder diese Vorstellung noch erweitern: „Was
ich möchte, ist ein Hollywood-Kino, also ein Kino, das so wunderbar und
allgemeinverständlich ist wie Hollywood, aber gleichzeitig nicht so verlogen“
(RWF, Werkschau Programm, Berlin 1992, S. 204). Kino sollte also formal wirkungsorientiert
sein ohne die Verlogenheit einer konfliktfreien Welt.
Nach
vielerorts geäußerter Kritik (die Filmbewertungsstelle in Wiesbaden
zögerte 1973, Angst
essen Seele auf
das Prädikat „Wertvoll“ zu verleihen), der Film sei lediglich ein „modernes
Sozialmärchen“ oder „naives Sozialdrama“, welches der Komplexität
der sozialen Realität nicht gerecht werde, verteidigte sich Fassbinder
mit einem Kompromiss von Brecht und Hollywood. Der Zuschauer solle die Beziehungen
der Personen selbst mit seiner eigenen Realität auffüllen, um selbst
eine konkrete Veränderung herbeiführen zu können.
Angst
essen Seele auf
soll demnach keinesfalls als eine Art wahres Rührstück verstanden
werden (das wäre verlogenes Hollywood), sondern als eine Art Konkrete Utopie,
die jedoch auch nicht lehrstückhaft unmittelbare Lehrinhalte feilbietet,
sondern den Zuschauer zum Vergleich vom verfremdeter, typisierter Filmwelt und
eigener Lebenswelt zwingt. So klagt der Film zwar an und versteht sich als „moralische
Anstalt“, versteht es jedoch geschickt, die Vorwürfe nicht an Personen/Charakteren
oder an nebulösen Verhältnissen kleben zu lassen, sondern an dem,
was zwischen den Personen an Aktion und Dialog stattfindet.
Angst
essen Seele auf
ist nach wie vor ein hochaktueller Film, da die Konfliktlinien zwischen jung
und alt, vertraut und fremd immer wieder aufs Neue anstehen.
Wolfgang
Melchior
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu
diesem Film gibt es im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Angst
essen Seele auf
Deutschland
1973
Regie
u. Buch: Rainer Werner Fassbinder
Produktion:
Rainer Werner Fassbinder, Tango-Film
93
Min. - 16 mm - farbig
Darsteller:
Brigitte Mira
El Hedi Ben Salem
Barbara Valentin
Irm
Hermann
Peter
Gauhe
Karl
Scheydt
Rainer
Werner Fassbinder
Marquard
Bohm
Walter
Sedlmayer
Doris
Mattes
Liselotte
Eder
Gusti Kreissl
Margit Symo
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