zur startseite
zum archiv
Animals
in Love
Balzen
und gebalzt werden
Ein ätherische Voice Over-Erzählung,
die die ersten (und später auch die letzten) fünf Minuten des Films
beherrscht, zerstreut durch die Erwähnung des Urknalls und der atomaren
Struktur schon mal die vordringlichste Zuschauerfurcht: immerhin kein Kreationisten-Gefasel.
Wenn die emphatische weibliche Welterklärungsstimme dann aber plötzlich
von einem Planeten redet, der angeblich »in Harmonie vereint« ist,
weswegen wir doch bitte alle gemeinsam »frohlocken« mögen,
da senken sich die Mundwinkel gleich wieder: Eso-Gefasel!
Trotz teilweise atemberaubender Naturaufnahmen
und faszinierender Detailstudien scheitert das Grundkonzept des Films an seiner
Naivität: Während in der anfänglichen Absichtserklärung
noch behauptet wird, die hier dargestellten Balzrituale besäßen eine
unabstreitbare Relevanz für die Zuschauer, da sich der Mensch die hier
gezeigten Methoden »seit Jahrtausenden von der Natur abgeschaut«
hätte, zeigt der Film ausschließlich die exotischsten und fremdartigsten
Gattungen, bevorzugt außerhalb der Säugetierklasse. Dass dies jeden
Zuschauer zur Frage führen muss, wann er wohl das letzte Mal an einem Bein
vom Ast herunterbaumelte, seine Gliedmaßen auf doppelte Größe
aufpumpte und Brunftschreie ausstieß, die klingen wie ein abstürzender
C64, ist nur einer der unfreiwillig komischen Nebeneffekte.
Selbst die Musik von Philip Glass, normalerweise
Garant für anspruchsvolle Untermalung, widerstrebt diesem Film: Während
Glass’ Score in anderen Filmen zwar immer erkennbar bleibt, aber üblicherweise
nicht zu Wiederholungen neigt, erinnert seine Musik dieses Mal derart deutlich
an seine Arbeit zu Errol Morris’ brillanter Kriegsreflexion The
Fog of War, dass man
selbst angesichts der idyllischsten Naturaufnahmen von Assoziationen an das
Brandbombardement auf Tokio geplagt wird.
Viel gravierender wirken indes die einseitigen
Regieentscheidungen Charbonniers: Da die ganze Welt in Harmonie versunken ist,
darf natürlich nur Konsenssex gezeigt werden. Von sexueller Gewalt, wie
sie bei vielen Tierarten an der Tagesordnung ist, von postkoitalen Tötungsdelikten
und vom sprichwörtlich gewordenen Rudelbumsen ist natürlich nichts
zu sehen – vermutlich will uns der Filmemacher nicht daran erinnern, dass wir
uns auch all das seit Jahrtausenden aus der Natur abgeschaut haben könnten.
Auch dass praktisch alle der hier balzenden Tiere in Wirklichkeit polygamer
leben als Flavio Briatore in seinen besten Zeiten, scheint dem Film angesichts
ihrer hübschen Tänzchen nicht weiter erwähnenswert. Exemplarisch
werden die rabiaten und durchaus gefährlichen Geweihkämpfe der Elche
bei klassischer Musik zu eleganten Fechtduellen verharmlost. Sogar vor der tatsächlichen
Sexdarstellung schreckt der Film dann zurück: Hier scheint man dem Zuschauern
plötzlich nicht mehr die eher unappetitlichen oder schlicht unmerklichen
Akte der Vögel oder Tintenfische zumuten zu wollen. Statt
dessen gibt es eine kurze Einstellung auf ein paar routiniert fummelnde
und rammelnde Bonobos, und dann kehren wir wieder zu den hübsch bunten
Singvögelchen zurück, wie sie sich ein Nest bauen und eine vermeintliche
Familie gründen. Kurz und gut: Michel Houellebecq beispielsweise hätte
mit dem gleichen Material eine deutlich interessantere Parabel über Sexualität
und Moral montieren können.
»Das wahre Glück ist das Glück
der Tiere«, seufzt das Sexmonster Valmont aus Heiner Müllers »Quartett«.
In seiner unreflektierten Nachäffung genau dieser Idee liegt der schwerste
Denkfehler von Animals
in Love: Denn mit der
titelgebenden »Liebe« hat all das dargestellte Gebalze, mit Verlaub,
nicht das geringste zu tun. Hinter der tierischen
Fortpflanzung steckt keine Psychologie, sondern Instinkthandlung, keine Romantik,
sondern Wettbewerb, keine Boy-meets-Girl-Dramaturgie, wie sie uns der Film vorgaukeln
will, sondern die reine, verzweifelte, animalische Geilheit. Zu all diesen Aspekten
kann man stehen, wie man mag, aber totschweigen sollte man sie auf keinen Fall
– sie sind in Wahrheit das eigentliche Vermächtnis der Natur an den Menschen.
Wie wir damit umgehen, definiert uns als Lebewesen. Der Rest, um nochmals Heiner
Müller zu zitieren, ist Verdauung.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Animals
in Love
Les
animaux amoureux. F 2007. R: Laurent Charbonnier. K: diverse. S: Axelle Malavieille.
M: Philip Glass.
P: MC4 Productions, France 3 Cinéma, TF1 International, JMH.
85
Min. Universum (24 Bilder) ab 31.7.08
zur startseite
zum archiv