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Es
lebe die Freiheit
Natürlich
ist das Gefängnis die zentrale Metapher des Films und die Tatsache, dass
seine Helden darin gelandet sind, bevor sie in eine Freiheit gelangen, die nichts
weiter ist als ein weiteres Gefängnis, diese Tatsache ist fast schon zu
viel des Deutlichen. Clair unterlässt nichts, die Metapher über die
Grenze von Drinnen und Draußen souverän wegmarschieren zu lassen.
Die Kamera zeigt arbeitsteilige Schufterei im Knast und in der Fabrik als ein-
und dasselbe: die Kamera fährt ungefähr mit der Geschwindigkeit eines
Laufbands von rechts nach links und zeigt die Insassen, wie sie Holzpferdchen
zusammenbauen. Später wird dann das Laufband laufen und die Menschen werden
nicht mehr hinterherkommen. So wie hier geht es dabei in erster Linie um den
Nachweis dieser Ein- und Selbigkeit der totalen Institution Gefängnis und
der totalen Institution Gesellschaft.
Die
Restromantik, die dabei unterläuft, ist dann das, was entschärfend
"poetischer Realismus" heißen wird. Die Liebe vor allem, wenngleich
für die Gesellschaftsinsassen ein Ding der Unmöglichkeit: Einer wird
daneben stehen, an den die Bekundungen der Zuneigung adressiert sind. Niemals
geht es um dich. Der Geliebte aber bleibt ganz unindividuiert, über ihn
gibt es nichts zu sagen. Auch über die Geliebte nicht, sie bleibt reine
Projektion, Blumenabwurfstelle, eine Figur, auf die eine blinde Hoffnung sich
richtet. Blind, weil: Worauf wird gehofft außer die schiere Hoffnung,
die als Liebe auftritt. Wo in der Gesellschaft, die der Film zeigt, ein Ort
für diese Hoffnung sein sollte, bleibt ganz ungeklärt, vielmehr: Es
wird sehr klar, dass es ihn nicht gibt. Es muss dann an Vorschein der privaten
Utopie schon genügen, dass die Liebe sich nicht kaufen lässt, dem
zuhälterischen Onkel zum Trotz.
Die
grandiose Utopie des Films hat ihren Platz nicht im Privaten, sondern im Traum
von der Überwindung der Arbeit. Nicht weniger als das verspricht die Eröffnung
der neuen Fabrik, in der Maschinen Maschinen zusammenbauen, die Arbeiter gehen
Angeln und spielen Karten: Nichts mehr zu tun, Müßiggang, der Entwurf
von Arbeit als Freizeit, Ausbruch aus dem Gefängnis, aber nur für
drei, vier Einstellungen, und eigentlich der Stand der Träume von ca. 1845.
Der Umschlag vom eisernen Gehäuse von Gefängnis/Gesellschaft/Fabrik
in die Freisetzung aus allen Zusammenhängen im Ende der Arbeitsgesellschaft:
besser als nichts und solche Träume musste man 1931 ja auch erst mal haben
können. Und natürlich werden sie gründlich verhagelt. Geld und
Gier kommen dazwischen und der große Fabrikbesitzer-Humanist, vom Geld
allerdings längst ankorrumpiert und in der besseren Gesellschaft angekommen,
erlebt einen Rückfall ins Solidarisch-Anarchische und den in der eigentlichen
Hauptfigur verkörperten Sozialtypus des kleinen Mannes.
Der
sich die Freiheit auch mal im verunglückten Suizid zurückerobert:
das Fenstergitter, an dem er sich aufhängen will, bricht heraus, bevor
der Tod eintritt. An den Ort der Freiheit, vor dem Gefängnis, wird er wiederkehren,
zum verunglückten Liebes-Stelldichein. Die Lebenslogik dieses kleinen Mannes
ist dabei immer wieder die der Verfehlungen, bzw. des Zusammentreffens von Missverständnissen,
aus dem sich ein Schicksalsmoment ergibt, aus dem, per Missverständnis
und Verfehlung, das Stolpern zum nächsten Schicksalsmoment möglich
wird. Der kleine Mann als Insasse des Gesellschaftsgefängnisses weiß
nicht, wie ihm geschieht. In der Gesellschaft der hohen Mauern und modernen
Bauten, der Laufbänder und Straßenverkehrsordnungen ist er das Moment
purer Anarchie - nicht aber aus eigenem Willen. Der eigene Wille träumt
hilflos von Liebe, während hinter dem Rücken des Wollens Sand ins
Getriebe gerät. Es steckt der sehr dialektische Gedanke dahinter, dass
in einer Ordnung, die alle Aktivitäten genau durchgeregelt hat, nur in
der ganz unschuldigen Passivität so etwas wie Agency noch einmal zu gewinnen
wäre: ungerichtet, ahnungslos und der Beseitigung aufgegeben.
Hinaus
läuft es, mit der als falsch freilich gerade durchschaubar gemachten Freundlichkeit,
die diesen französischen Filmen der Dreißiger an ihrer Oberfläche
eigen ist, auf den Freiheits-Gesang und die Wanderschaft, den Auszug aus der
Gesellschaft, weiß der Teufel wohin, eine Freiheit, die heißt: sich
ganz dem Schicksal überlassen, eine Freiheit von Zwängen, eine Freiheit
zum Nichtstun. Eine Freiheit der Restmomente, von Freundschaft und Solidarität
im Männer-Zweierbund, eine Freiheit vom ausdrücklichen Zwang, der
Ordnung, erkauft natürlich, aber davon schweigt in sein bitteres Happy
End hinein der Film, durch die schiere Not. "A nous la liberté"
gibt sich zuletzt als Unschuld vom Lande, nichts als die Flucht vor der Schärfe
und Hoffnungslosigkeit, mit der der Film zuvor die Stadt als Gefängnis
beschrieben hat.
Ekkehard
Knörer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Es
lebe die Freiheit
A
NOUS LA LIBERTE
Frankreich
- 1931 - 82 min. - schwarzweiß
Komödie
FSK:
ab 12; feiertagsfrei
Prädikat:
besonders wertvoll
Verleih:
Neue Filmkunst
Dt.
Erstaufführung: 31.10.1958/15.8.1962 ARD
Fd-Nummer:
7493
Produktionsfirma:
Films sonores Tobis
Regie:
René Clair
Buch:
René Clair
Kamera:
Georges Périnal
Musik:
Georges Auric
Darsteller:
Raymond
Cordy (Louis)
Henry
Marchand (Emile)
Rolla
France (Jeanne)
Germaine
Aussey (Maud)
Paul
Olivier (Onkel)
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