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Antares
– Studien der Liebe
Austro-Depro-Triptychon
Depression
in der Vorstadt: Der Episodenfilm "Antares" des österreichischen
Regisseurs Götz Spielmann überzeugt mit präzis kadrierten Entfremdungsbildern
vom grauen Stadtrand
Siedlung
am Stadtrand: An der Eröffnungstotale von Götz Spielmanns bemerkenswertem
Episodendrama "Antares" manifestiert sich bereits das Rezeptionsproblem,
das diesen Film umgibt, seit er 2004 das österreichische Filmfestival Diagonale
eröffnete. Der Ort der Uraufführung scheint passend, wenn nicht sogar
paradigmatisch: Tatsächlich manifestierte sich in den meisten negativen
Reaktionen auf "Antares" nicht ein Problem mit dem Film, sondern eines
mit Österreichs Gegenwartskino an sich. Die Euphorie um das Ende der Neunziger
heftig proklamierte "Österreichische Filmwunder" mit den international
renommierten Namen Michael Haneke und Ulrich Seidl als Speerspitzen und den
Debüts einer ganzen Reihe junger Regisseurinnen wie Barbara Albert und
Jessica Hausner als Zukunftsversprechen ist einer Katerstimmung gewichen.
So
unterschiedlich die Ansätze bei näherer Betrachtung sind - Hanekes
bourgeoise Zivilisationskritik hat etwa ein Nahverhältnis zur Frankfurter
Schule, die irritierenden, bewusst zwiespältigen, barocken Dokufiktionen
von Seidl schließen eher an die altösterreichisch-katholische Tradition
der Bußpredigt an (kein Wunder, dass er zuletzt den Beichtfilm "Jesus,
du weißt"
gedreht hat) -, so einfach lassen sie sich über einen Kamm scheren. Das
erscheint dieser Tage oft nötig, um im Festivalzirkus den Durchbruch als
Nation zu schaffen und in einschlägigen Publikationen Artikel über
die entsprechende "Neue Welle" im Lande Sowieso nach sich zu ziehen.
Das
Klischee zum österreichischen Kino, gern aufs griffige Schlagwort "Austro-Depro"
verkürzt, lautet in etwa: Unglück und Entfremdung, Sex und Gewalt
zwischen Vorstadtsiedlung und Bürgerwohnung, zwischen Swingerclub und Dorfdisco.
Vorwürfe von Sozialpessimismus sind schnell - und oft zu Recht - zur Hand.
Aber während die einheimische Kritik noch die Determinismuskeule schwingt,
wird schon die nächste Dosis "Austro-Depro" international herumgereicht:
Es ist wohl kein Zufall, dass Ruth Maders radikal reduziertes Sozialdrama "Struggle",
das fast wie die parodistische Verdichtung dieser Kino-Tendenzen anmutet, zuletzt
die erfolgreichste Festivalkarriere eines österreichischen Spielfilms hinlegte.
Spielmanns
dreiteiliges Ensembledrama hat jetzt das Pech, nur zu gut in die Schublade zu
passen: Das Projekt, schon vor Jahren entwickelt, ist vielleicht auch deswegen
endlich finanziert worden. Die Klischees sind auf den ersten Blick alle versammelt:
"Antares" handelt von unglücklichen Menschen in der Vorstadtsiedlung,
deren Lebenswege sich episodisch kreuzen (wie in Seidls "Hundstage"
und in Barbara Alberts Filmen), es gibt im ersten Teil vom virtuosen Kameramann
Martin Gschlacht hochpräzis kadrierte Entfremdungsbilder, in denen der
erstarrte Kleinbürger Schubert hört (was unweigerlich an Hanekes Frühwerk
erinnert), es gibt im zweiten Teil den Ausflug in die Jugo-Disco, und den dritten
beherrscht ein gewalttätiger Chauvinist.
Aber
Spielmann, dessen Karriere in den Achtzigern begann und der seither, zwischen
Fernsehen und Kino pendelnd, eine klare eigenständige Handschrift perfektioniert
hat, arbeitet an einem ästhetischen Projekt, das dem von der Krisenerfahrung
der Moderne geprägten, fragenden Gegenwartskino seiner Nation eigentlich
entgegengesetzt ist: eine Austro-Ausformung des gern als altmodisch abgekanzelten
cinéma qualité, ein Beharren auf den Werten eines genau durchgearbeiteten
Drehbuchs, sorgfältiger Schauspielerführung und technischer Finesse.
Schon
der rein mythologisch motivierte Titel - der Doppelstern "Antares"
ist mit heftigen Gefühlen konnotiert - kündet von dieser literarischen
Konzeption. Dazu passt, dass Spielmanns genaue, von faszinierter Distanz geprägte
Inszenierung im Rahmen der ersten, im bürgerlichen Milieu angesiedelten
Episode einer an Routine erkrankten Ehe am überzeugendsten ausfällt,
und dazu passt auch deren frankophiles Element: Die offenherzigen Sexszenen
der Protagonistin Eva (Petra Morzé) mit einem Liebhaber erinnern von
fern an Patrice Chéreaus "Intimacy".
Die folgenden Eifersuchtsdramen im Arbeitermilieu verdanken emotionale Authentizität
eher dem durchgängig starken Ensemble und der (gelegentlich: fast zu) prosaischen
Verwebung der Geschichten. Vor allem überzeugt aber die ausgewogene Gestaltung
der Charaktere: Die einzige unbelehrbare Figur führt unbedacht den eigenen
Untergang herbei, die Schuldigkeiten der anderen balancieren sich sorgfältig
aus, und am Ende steht jeweils die Hoffnung auf einen Neubeginn. Trotz typisch
trister Atmosphäre ist "Antares" letztlich ein unösterreichisch
utopischer Film über die Liebe: Im Schlussbild legt sich das graue Licht
des neuen Morgens über die Siedlung am Stadtrand.
Christoph
Huber
Diese Kritik ist zuerst erschienen in der taz
Antares
- Studien der Liebe
Österreich
2004 - Originaltitel: Antares - Regie: Götz Spielmann - Darsteller: Petra
Morzé, Andreas Patton, Hary Prinz, Susanne Wuest, Dennis Cubic, Martina
Zinner, Andreas Kiendl, Xenia Ferchner, Reinhard Nowak, Gisella Salcher - Länge:
119 min. - Start: 14.7.2005
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