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Apocalypto
Das wirklich Frappante an “The
Passion of Christ” war, mit welcher
Konsequenz Mel Gibson einen elementaren Aspekt der christlichen Glaubensgeschichte
aus seinem eigenen Weltbild heraus zu deuten versucht hatte. Ausgerechnet in
der realistischsten Darstellung des Films, der Auspeitschung von Jesus, ließ
Gibson auch unverhohlen durchblicken, dass ihn weniger die wortgetreue Auslegung
des Bibeltextes (den Begriff ‘Authentizität’ hatte Gibson im Zusammenhang
mit “Passion of Christ” immer wieder ins Spiel gebracht; wie ambivalent dieser
Anspruch ist, zeigt sich in dem historisch eklatanten Fehler, den Film größtenteils
auf Aramäisch zu drehen) interessierte, sondern die christliche Leidensgeschichte
als zentrale Glaubenserfahrung. Anders gesagt: “The Passion of Christ” war ein
unverhohlen sadistisches Spektakel, das die Wiederauferstehung nicht von ungefähr
ausklammerte. Es sind jene zwölf Stunden der Folter, des Schmerzes und
des duldsamen Erleidens, die für Gibson die eigentliche spirituelle Erfahrung
darstellen.
Gibsons neuer Film “Apocalypto”
knüpft direkt an diese unversöhnliche Weltsicht an, sucht gleichzeitig
aber nach universalen Antworten über die Ränder der Religion hinaus.
In Interviews hat Gibson wiederholt betont, dass er mit “Apocalypto” zu erklären
versuche, warum sich die hochentwickelte Zivilisation der Mayas vor fünfhundert
Jahren nicht der Kolonialisierung der Spanier widersetzen konnte und schließlich
unterging. Vorangestellt hat er seinem Film das Zitat des Kulturhistorikers
Will Durant, dass jede große Zivilisation sich nur von außen erobern
ließe, wenn sie innerlich schon zersetzt ist. So ist das Motiv der Zerstörung
im Film früh vorgegeben. Doch zunächst schildert “Apocalypto” das
unbeschwerte Leben einer kleinen Dorfgemeinschaft, die sich noch mit der Natur
im Einklang befindet. Dieser soziale Nukleus nimmt in Gibsons Film eine zentrale
Position ein, weil er später als positives Gegenstück für die
gewaltätigen Exzesse herhalten muss, die weitere Gewalt nach sich ziehen
werden (so funktionert im Grunde jeder Law-and-Order-Film). Die Reaktionsgewalt
stellt Gibson als naturverbunden und “organisch” dar – sie ist rein und damit
auch legitimiert.
Mit dem Massaker einer Gruppe Holcane-Krieger an
den Dorfbewohnern beginnt die Passion von Pranke der Jaguar, der Zeuge der Ermordung
seines Vaters wird. Es gelingt ihm noch, Frau und Kind vor den Angreifern zu
verstecken, bevor er mit den Überlebenden von den Holcane zusammengetrieben
und zu einem Gewaltmarsch durch den Dschungel gezwungen wird. Angekommen in
der riesigen Maja-Metropole bietet sich ein Bild des Niedergangs: die Felder
liegen verdorrt brach und die einst mächtigen Bauten, von Gibsons Crew
penibel nachgebaut, sind dem Verfall preisgegeben. Pranke des Jaguars und seine
Gruppe sollen den Hohepriestern als Opfergabe dienen, um die Götter zu
besänftigen.
Authentizität ist das Reizwort, das Gibson auch
im Zusammenhang mit “Apocalypto” immer wieder bemüht. Aber außer
der Tatsache, dass er die Rollen der mexikanischen Ureinwohner mit indigenen
Mesoamerikanern besetzt und “Apocalypto” in Yucatec, einer der wenigen noch
existenten Maya-Sprachen, gedreht hat, zeigt er kein ernsthaftes Interesse an
ihrer Kultur. Die Opferzeremonie in der Maya-Stadt inszeniert Gibson als barbarisches
Spektakel, das kaum von der hochentwickelten Kultur zeugt, die er in Interviews
selbst so ausgiebig preist. Pranke des Jaguars dagegen, ein photogener Bursche
mit hübschen Tribal Tattoos, fügt dem kolonialen Klischee des edlen
Wilden nur wenig hinzu. Die actionreiche Flucht vor den Holcane-Anführern
Leitwolf und Giftige Schlange zurück in den Schoß der Familie offenbart
dann auch den prägendsten Charakterzug seiner Figur: ein nahezu animalischer
Überlebenswille, dank genauester Kenntnisse der Wälder seiner Väter
und der unbändigen Liebe zur Restfamilie. (Animalisch sind auch die Attribute,
mit denen Gibson im Presseheft den Schauspieler Rudy Youngblood beschreibt).
Die Flucht von Pranke des Jaguars nimmt fast eine
Stunde des Filmes ein, so dass “Apocalypto” im letzten Drittel eine Art “Lola rennt im Urwald” ist. Gibsons Kameramann Dean Semler fängt
dieses Gefühl des Getriebenseins mit einer unwahrscheinlichen Dynamik ein,
die man so im Dschungel-Film noch nie gesehen hat. Aber in dieser technischen
Brillianz steckt genau das Problem von Gibsons großen Regie-Arbeiten:
Der intrusive Akt der visuellen Überwältigung verhält sich komplementär
zur extremen Härte seiner Filme. Diese Aggression doppelt sich in der biologistischen
Spiritualität, der “Apocalypto” zu Grunde liegt. Was zählt, ist allein
das Recht des Stärkeren.
Andreas Busche
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: epd Film
Zu diesem Film
gibt’s im archiv der filmzentrale mehr Texte
Apocalypto
USA 2006. R,B: Mel Gibson. B: Farhad Safinia. K: Dean Semler. S: John Wright. M: James Horner.
P: Icon Prod. D. Rudy Youngblood, Dalia Hernandez, Morris Bird u.a. 140 Min. Constantin ab 14.12.06
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