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Arizona
Junior
Aus dem mythosschwangeren Texas („Blood
Simple“) hinein in den nächsten
Südstaat Arizona führt die Gebrüder Coen ihre Filmographie. Und
die Luft wird merklich angenehmer. Abkehr vom makabren Ernst des Debüts
und zugleich erster Rückzug in den massenkompatiblen Bereich des Schwarzkomischen.
Unter diesem Vorzeichen entstanden leider nicht immer die besten Filme des Duos.
Wie das im schlimmsten Fall aussieht, kann man im „Ladykillers"-Remake besichtigen. In „Arizona Junior"
überstrahlen das Geblödel und der Klamauk fast die Doppelbödigkeit
des Sujets, wenn man so will. Da eiert der diebische Nicholas Cage, hier rundum
zerzaust und wuschelig mit einer Frisur, die schon zum Eierlegen einlädt,
wie ein Kindergarten-Daddy durch das Kinderzimmer des Möbelgurus Nathan
Arizona, dessen Frau Fünflinge gebar; dies scharf an der Grenze zum Slapstick,
da die Säuglinge - zugegeben in wirklich hübschen Babyaufnahmen -
ständig ausbüxen und dem Entführer die Entführung ganz schön
schwer machen. An Stolperwitzen mangelt es hier nicht, man läuft gegen
Kakteen und schießt im Supermarkt zu yodeling folk music die Regale zusammen.
Einmal aber spielt das Banjo auch „Freude schöner
Götterfunken". Das ist eine Melodie, die „Arizona Junior" sagen
lässt: Ich bin mehr. Und dies nicht nur mit handwerklichen Kabinettstückchen
wie einem visionären Alptraum, in dem die Harley der wandelnden Endzeitfilmparodie
Leonard Smalls, der apokalyptische Mann, der Fliegen im Fliegen fängt,
einen großen Satz macht und die musikalische Untermalung bis zum Aufsetzen
die Luft anhält. Auf dem Arm des Kopfgelderjägers scheinbar wieder
eine alberne Tätowierung: Mama didn’t love me. Doch gefehlt, sie weist
auf den Unterbau und dessen Leitmotiv ist die Familie. Das Ehepaar H.I. (Cage)
und Edwina (Holly Hunter) wäre gerne eine, doch die Infertilität lässt
dies auf biologischem Wege nicht zu. Der rechtliche, die Adoption, ist ebenso
versperrt; zu viele kriminelle Streiche beflecken Struwwelpeters Vergangenheit.
Bleibt nur der Babydiebstahl. Kaum ist die Familie komplett, beklagt sich die
soeben gewordene Mutter, die die Geburt übersprang, über die flüchtigen
und vorbeischauenden Knastbrüder H.I.s, denen der Geburtsakt nicht erspart
blieb: Unter kreißendem Geschrei entsteigt der erste sich selbstgebärend
der Erde, es folgt mit nicht weniger brüllendem Pressen des wiederum ersten
aus dem dunklen, feuchten Loch der zweite Ausgebrochene.
Kein Wunder, dass der frischen Mutti das kriminelle
Umfeld nicht schmeckt. Sagen Sozialwissenschaftler doch: Bei der Persönlichkeitsentwicklung,
der Identität des erwachsen Werdenden spielt die Sozialisation im Kleinkindalter
eine bedeutende Rolle. Dass die Flüchtigen so geworden sind, wie sie geworden
sind, das sei beispielsweise auf den Verzicht des Stillens zurückzuführen,
meinte zumindest ihr Gefängnispsychologe. Und was aus Burschen wird, die
Mama nicht liebte, das zeigt uns Kopfgeldjägerkarikatur Leonard Smalls.
Ed und H.I. bemühen sich dieserhalb um eine anständige Erziehung.
Was gar nicht so einfach ist bei dem Spinner Reagan im Weißen Haus. Da
hat H.I. Recht. Die Reagonomics sollten doch auch zum „Trickle-Down" führen,
dem Effekt, der den Wohlstand der oberen Gesellschaftsschichten in die unteren
durchsickern lässt. Das Ehepaar jedoch lebt in einem anspruchslosen Trailer
in der Wüste. Dabei ist Ed Polizeibeamtin. Obwohl das mit der Vermeidung
von Turbulenzen letztlich nicht so ganz klappt und H.I. im Höchstgefühl
der Verantwortung seine Schrotflinte lädt, hofft er in einer Zukunftsvision
doch, dem kleinen Nathan in der kurzen Zeit etwas auf seinem Weg mitgegeben
zu haben. Es ist ein wirklich sehr schöner Traum. Aber eben ein Traum.
Daniel Szczotkowski
Dieser Text ist zuerst erschienen
in www.ofdb.de
Arizona
Junior
RAISING
ARIZONA
USA
- 1986 - 94 min. - Verleih: 20th Century Fox, 20th Century Fox (16 mm), CBS/Fox
(Video) - Erstaufführung: 28.5.1987/Juni 1988 Video - Produktionsfirma:
Circle Films - Produktion: Ethan Coen, Mark Silverman
Regie:
Joel Coen
Buch:
Ethan Coen, Joel Coen
Kamera:
Barry Sonnenfeld
Musik:
Carter Burwell
Schnitt:
Michael R. Miller
Darsteller:
Nicolas Cage
(H. I. McDonnough)
Holly Hunter
(Edwina)
Trey Wilson
(Nathan Arizona Sen.)
John Goodman
(Gale)
William Forsythe
(Evelle)
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