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Arsen und Spitzenhäubchen
Nach einer (Theater-)Vorlage von Joseph Kesselring (1902-1967) aus dem Jahr 1939 drehte Frank Capra (*1897-
†1991; u.a. »Mister Deeds geht in die Stadt«, 1936, mit Gary Cooper; »Die unteren Zehntausend«, 1961, mit Bette
Davis und Glenn Ford) 1944 nach einem Drehbuch von Julius und Philipp Epstein diese Komödie, die für mich
neben »Leoparden küsst man nicht« (1938 mit Katherine Hepburn, Regie: Howard Hawks) und »Ich war eine
männliche Kriegsbraut« (1949 mit Ann Sheridan, Regie: ebenfalls Howard Hawks) zu den drei überragenden
Komödien mit Cary Grant gehört. Das Stück ist übrigens auch noch heute auf vielen größeren und kleineren
Bühnen ein begehrter Stoff.
Kesselring hatte das Stück übrigens selbst als sozialkritisches, düsteres Drama verfasst und bekam gar
Depressionen, weil Capra den Stoff als schwarze Komödie verarbeitete. Ursprünglich war James Stewart für die
Hauptrolle vorgesehen; doch der war als Pilot im Krieg gegen Deutschland beschäftigt.
Alles scheint perfekt zu laufen im Leben des Theaterkritikers Mortimer Brewster (Cary Grant). Er ist mit der
reizenden Elaine (Priscilla Lane) verlobt, beide wollen heiraten, und auch seine beiden alten Tanten Martha (Jean
Adair) und Abby (Josephine Hull) sind ihm zwei angenehme Menschen. Als er jedoch kurz vor den Flitterwochen
bei den Tantchen vorbeischaut, muss er eine schreckliche Entdeckung machen: In einer Truhe findet er eine
Leiche. Kein Problem, meinen Tante und Tante. Denn das war nicht ihr erstes Mordopfer, das sie aus lauter purem
Mitleid ins paradiesische Jenseits befördert haben. Der Keller der beiden ist ein einziger Friedhof für ältere
Herren, denen die Tanten ein unschönes Alter ersparen wollten. Ist das nicht rührend? Und was haben die Tanten
ihrem Mortimer dazu zu sagen? Nichts weiter als: »Es ist ja auch ganz einfach, lieber Junge. Auf einen Viertel Liter
Holunderbeerwein nehme ich einen Teelöffel Arsenik, einen halben Teelöffel Strychnin und ein paar Körnchen
Zyankali.« Fertig ist die nächste Leiche.
Doch Mortimer ist natürlich entsetzt und versucht mit allen Mitteln, weitere Mordopfer zu verhindern. Das
allerdings erweist sich als äußerst schwierig, nicht zuletzt wegen Mortimers absonderlichem Bruder Teddy (John
Alexander), der sich für Präsident Theodore Roosevelt hält und die Leichen im Keller verscharrt hat; jedes neue
Grab ist für ihn nichts anderes als eine neue Schleuse des Panamakanals. Aber nicht allein Teddy muss Mortimer
Sorgen machen. Zu allem Überfluss taucht auch noch sein anderer, von der Polizei gesuchter Bruder Jonathan
(Raymond Massey) mit seinem verrückten Freund und »Arzt« Dr. Einstein (Peter Lorre) auf, der aus Jonathan eine
Art Frankenstein kreieren will.
Jonathan entwickelt eine ausgeprägten Neid auf seine Tanten angesichts deren Zahl von Leichen im Keller und
hat nichts besseres im Sinn als zu versuchen, seinen Bruder Mortimer ins Jenseits zu befördern. Die Situation wird
immer verworrener – und dann tauchen auch noch ab und an nichtsahnende nette Polizisten bei Tantchen und
Tantchen zum Nachmittags-Tee auf ...
Frank Capra legte mit dieser klassischen Komödie ein Meisterwerk des skurrilen Humors hin. Es stimmt einfach
alles und man amüsiert sich köstlich von Anfang bis zum (natürlich beruhigenden) Ende. Cary Grant kann sein
ganzes steif-humoriges, hilflos-bemühendes Talent in exzellenter Weise ausspielen. Peter Lorre, der leider viel zu
früh verstorbene Meister der schwarzen Magie und des absurd-Bösen, sowie die beiden
Broadway-Schauspielerinnen Priscilla Laine und Josephine Hull, die in New York dieselben Rollen auf der Bühne
gespielt hatten, tun ihr Bestes, um in diesem Streifen die Verrückten als normal und die Normalen als Exzentriker
erscheinen zu lassen. Dem Zuschauer erscheint es irgendwann fast schon als selbstverständlich, alten Männern
die Gnade des frühen Todes zuteil werden zu lassen.
Cary Grant als Mortimer ist bemüht, die kleinbürgerliche Idylle wiederherzustellen, und genau dies gerät in dem
Film zu einem derartig absurden Vorhaben, dass letztlich »nur« Lachen angesagt ist.
Auch wenn die Normalität am Schluss des Films wiederhergestellt wird, erscheint sie doch in einem ganz anderen
Licht als zuvor. So manche gegenwärtigen Hollywood-Regisseure der Komödie könnten sich an einem solchen
Film wie »Arsenic And Old Lace« nicht nur eine Scheibe abschneiden. Der Film hat nicht nur Schwung, ja
geradezu Turbulenzen en masse; Capra treibt die Vorlage in der filmischen Umsetzung bis zum Exzess auf alle
Höhen (schwarzen) komödiantischen Könnens. Bravo, bravissimo! Mein Fazit lautet also schlicht: Ansehen, sobald
der Film mal wieder im Fernsehen gezeigt wird.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen bei CIAO.de
Arsen und Spitzenhäubchen
[Arsenic And Old Lace] USA 1944
Laufzeit: 110
Regie: Frank Capra
Darsteller: Cary Grant, Priscilla Lane, Raymond Massey , Josephine Hull, Jean Adair, Jack Carson, Peter Lorre, Edward
Everett Horton, John Alexander, James Gleason
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