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Bamako
Polemik unter
Quietsch-Sandalen
Afrika ohne André Heller-Rufzeichen: In
seiner überreichen dramatischen Collage „Bamako“ macht der Mauretanier
Abderrahmane Sissako der Weltbank den Prozess.
Chaka, verzweifelter Arbeitsloser in Malis Hauptstadt
Bamako, lernt Hebräisch. Einem Freund erklärt er seinen Plan: Sollte
einmal eine israelische Botschaft in der Stadt gegründet werden, hätte
er dort mit entsprechenden Sprachkenntnissen gute Chancen auf einen Wächterposten.
Es sind nicht zuletzt solche kleinen, versponnenen
Widerhaken, die daran erinnern, wie viel am gelassen „beobachtenden“ Realismus
von Abderrahmane Sissako genauer Komposition und erzählerischem Einfall
geschuldet ist. In „Bamako“ – wie auch in den Arbeiten Mahamat-Saleh Harouns
(„Daratt“), die Sissako produzierte – tarnt sich das formale Raffinement in
scheinbar lapidaren Szenenauflösungen, kommt die streng komponierte Fabel
daher wie ein entropisch auseinanderdriftendes Chaos aus unberechenbaren Randfiguren
und plötzlich gekappten Handlungsfäden. Filme, die ihre Virtuosität
nicht stolz vor sich hertragen wie einen Bauchladen voller kühner Kamerafahrten
und ausgefuchster plot points, sondern ihre ästhetischen Überschüsse
in die komplexe afrikanische Gegenwart investieren – mit beachtlichem Erkenntnisgewinn.
Das sieht dann zum Beispiel so aus: Im ärmlichen
Hinterhof, wo Chaka seine Zeit totschlägt, findet ein Prozess gegen Weltbank
und Internationalen Währungsfonds statt, in aller Förmlichkeit und
begleitet von TV-Kameras. Mitten in einem der ärmsten Staaten der Welt
verhandeln Ankläger und Verteidiger über Nutzen und (vor allem) Schaden
der Weltbank-Kredite: Sind die finanziell unterstützten „Entwicklungsländer“
an ihrer anhaltenden ökonomischen Misere selber schuld, oder führen
die von oben verordneten „Strukturanpassungsprogramme“ koloniale Abhängigkeitsverhältnisse
durch die Hintertür wieder ein? Die polemischen Vorträge reiben sich
am lapidaren Lebensalltag drumherum, werden mal von einem Hochzeits-Umzug unterbrochen,
mal von den quietschenden Plastik-Sandalen eines vorbeistreunenden Mädchens
kontrapunktiert.
In anderen Momenten gerät der Prozess selbst
in den Hintergrund und wird zur seltsam gleichgültigen Kulisse für
das zermürbende Ehe-Endspiel, das sich zwischen Chaka und seiner Frau,
der schönen Sängerin Melé, abzeichnet: Eine persönliche
Tragödie, die Produkt der verhandelten ökonomischen Strukturen und
doch so überhaupt nicht auf ein illustrierendes Fallbeispiel reduzierbar
ist. Der „Fall Weltbank“ und das Einzelschicksal gehen nicht organisch ineinander
auf, sondern bleiben trotz räumlicher Nähe meist in erratische Szenenblöcke
unterteilt.
Mit dieser Trennung zielt Sissako nicht so sehr auf
den (zu) simplen Kontrast zwischen grauer Theorie und konkreter Erfahrung ab,
sondern eher auf einen wunderbaren Realismus der Bruchstücke: In der Konfrontation
von Alltagsszenen (halb-dokumentarisch aufbereitet), Gerichtsverhandlung (quasi-dokumentarisch
mit echten AnwältInnen gedreht) und fiktiver Dramenhandlung entsteht ein
spröder filmischer Raum, dessen Bruchstellen zwar nicht geleugnet werden,
in dem Allianzen aber trotzdem möglich sind: Im Prozess gegen die Weltbank
kommen nicht zuletzt die Einwohner des Viertels als Zeugen zu Wort, und viele
Anrainer verfolgen den in ihrem Namen geführten Prozess gespannt.
Bei jeder sich bietenden Gelegenheit verzweigt sich
„Bamako“ weiter, bricht mittendrin kurz mal in einen allegorischen Western (starring
Danny Glover) aus oder schaut in einer Verhandlungspause einfach dem Tonmann
des anwesenden TV-Teams beim Beten zu. Keine arte
povera über ein armes Afrika,
sondern ein praller Film über einen Kontinent, der – wie eine Zeugin der
Anklage feststellt – eher Opfer seines Reichtums ist.
Joachim Schätz
Dieser Text ist zuerst erschienen
im: falter (Wien), www.falter.at
Bamako
Mali / Frankreich 2006 - Regie: Abderrahmane
Sissako - Darsteller: Aïssa Maïga, Hélène Traoré,
Haméye Mahalmadane, William Bourdon, Danny Glover, Hélène
Diarra, Habib Dembélé - FSK: ab 12 - Fassung: O.m.d.U. - Länge:
115 min. - Start: 1.2.2007
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