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Der
Barbier von Sibirien
Nikita
Michalkov beschwört das „Mysterium Russland"
Eine
Filmkritik zu Nikita Michalkovs Der
Barbier von Sibirien
ist eine seltsame Angelegenheit. Denn Der
Barbier von Sibirien
ist überhaupt kein Film. Womit wir es hier stattdessen zu tun haben, erklären
die bisherigen Reaktionen: dies sei eine „Explikation der 'russischen Idee'",
das „Russland, das wir verloren haben", „ein visualisiertes ideologisches
Machwerk", eine Lehrstunde, „Russland zu lieben" oder schlicht „russischer
Geist", „der Ehre des russischen Offizierstums gewidmet".
Niemand
geringerer konnte diese „Idee" in die Welt bringen als der „russische Regiemeister"
und „Filmzar" Michalkov, dessen Name spätestens seit Urga
(1991) und dem Oscar für Die
Sonne, die uns täuscht
(1994) für „bildgewaltige Epen" steht. Ein einflussreicher Mann, der
1995 mit seinen Plädoyers für die Wiedereinführung der Monarchie
sogar ein Duma-Mandat gewinnen konnte. Eine Institution wie diese dreht nicht
einfach einen Film – seine Arbeit an Der
Barbier von Sibirien
kann Michalkov selbst nur mit der Besteigung des Mount Everest vergleichen.
So
ein Werk hatte darum auch nicht in irgendeinem Kino Premiere, sondern im Moskauer
Kreml vor geladenen Gästen der politischen und wirtschaftlichen Elite,
für die der Preis einer Eintrittskarte von bis zu 500 $ ein nachgerade
lächerlicher Betrag ist. Nicht irgendein Tag war gut genug für dieses
Ereignis. Es musste schon der Ehrentag der „Verteidiger des Vaterlandes"
sein. Staatskunst: 45 Millionen $ hat Der
Barbier von Sibirien
gekostet, und wenn man ihn schon einen Film nennen will, dann eben Russlands
„teuersten und ehrgeizigsten Film". Als solcher hat er mal eben das Jahresbudget
der Russischen Föderation für die gesamte russische Filmproduktion
verschlungen und außerdem Unterstützung aus Frankreich, Italien und
Tschechien erhalten. Daraus musste mehr werden als ein Film. Vielleicht der
Film.
In
den Vereinigten Staaten des Jahres 1905 erzählt ein Brief die Geschichte
einer unglücklichen Liebe im Rußland von 1885. Die Rückblenden
setzen natürlich dort ein, wo sich der russische Offiziersanwärter
Andrej Tolstoi (Oleg Menschikov) und die Amerikanerin Jane Callahan (Julia Ormond)
zum ersten Mal begegnen. Liebe auf den ersten Blick. Weil Jane jedoch in Moskau
ist, um dem ehrgeizigen Erfinder McCracken (Richard Harris) dabei zu helfen,
Geld für seine Ideen beim Zarenhof aufzutreiben, naht das Unheil. Jane
muss Andrejs Vorgesetzten, dem einflussreichen General Radlov (Alexej Petrenko),
schöne Augen machen, Andrej wird eifersüchtig und attackiert am Ende
seinen General. Er wird nach Sibirien verbannt – vorbei ist das kurze Liebesglück.
Bei
insgesamt drei Stunden Laufzeit gibt es da natürlich noch ein paar Verwicklungen
und Nebenfiguren. Die industrielle Revolution sowie Mozart (Andrej singt die
Hauptrolle in „Die Hochzeit des Figaro) spielen z.B. eine Rolle und geben dem
Film seinen Titel. Eigentlich aber braucht Der
Barbier von Sibirien
seine ganze Zeit, um ein Porträt auszumalen. „Russland" will das heißen.
Was uns in diesem Bild begegnet, ist vielleicht am ehesten als reaktionärer
Romantizismus zu fassen.
Eine
Bildbeschreibung: Russland ist das Land der tiefen Gefühle, der großen,
stolzen Herzen, die beim Militär in ihrer reinsten Form anzutreffen sind.
„Ach, diese Kadetten!" Trotz aller Zackigkeit – „Es war mir eine Ehre!"
– ist da immer noch Platz für Rührung, Empathie und auch etwas Jux.
Schlechte Menschen sind hier nicht zugelassen – (höchstens ein paar skurrile
Oberste, damit es wie in jeder Militär-Burleske auch was zum Schenkelklopfen
gibt) –, und töten will man schon gar nicht. „Schießt nur, wenn es
nötig ist!" Andrej Tolstois Militärakademie ist wirklich so ungefähr
der sauberste, friedvollste Platz der Welt. Uniformen und Frisuren sitzen tadellos,
Stiefel glänzen, Seelen sind rein. Dem Land geht es prächtig.
Wenn
diese Soldaten – das Extrakt eines ganzen sichtlich glücklichen Volkes
– lieben, dann richtig. Und wenn sie saufen, dann natürlich Wodka aus Wassergläsern.
Gefühle bewegen dieses Land, nichts anderes, und darum ist auch der Zar
Alexander III. (natürlich gespielt von Nikita Michalkow), ein geliebter
Gefühlsmensch, zu dem aufzuschauen geradezu ein Naturgesetz ist. „Er muss
eine angeborene Ruhe besitzen und eine Kraft, die seine Kadetten inspiriert."
Dieser Fürst befiehlt seinen Offizieren nicht Gehorsam, sondern Liebe zu
den Untergebenen.
Es
würde wohl die ganzen drei Filmstunden dauern, alle zaristischen Mythen
aufzuzählen, die Der
Barbier von Sibirien
zu Mütterchen Russland auftischt. Nichts wird ausgespart, so dass die Erzählung
immer stärker einer Bild-Strichliste gleicht, auf der systematisch jedes
Klischee abgehakt und mit dem nächsten verbunden wird. Malen nach Zahlen.
Von Liebe oder von Andrej und Jane weiß Der
Barbier von Sibirien
jedenfalls so gut wie nichts zu erzählen; letztlich ist Jane allein dazu
da, das „Mysterium Rußland" zu beschwören. „Dieses Land bleibt
mir ein Rätsel", erklärt sie zum Schluss, wenn wir schon längst
zur gegenteiligen Überzeugung gelangt sind, dass es einfach aus allen vertrauten,
abrufbaren Stereotypen zusammengesetzt ist.
So
gesehen ist Der
Barbier von Sibirien
tatsächlich kein Film, sondern eher ein Bild und ein nationales Projekt
(sowohl im ökonomischen als auch im ideologischen Sinne). Vielleicht kann
eine Filmkritik zu Der
Barbier von Sibirien
darum gar nichts anderes als eine Bild- und Projekt-Kritik sein. Als Bild will
Der
Barbier von Sibirien
wie ein verkitschter El Greco alle Ereignisse in einem Rahmen zu einem geschlossenen,
kohärenten Ganzen organisieren: Russland, ein klischiertes Gegenbild gegen
die Revolution von 1917. Als Projekt geht es ebenfalls um die Verdrängung
von Geschichte – um die mythische Begründung eines reaktionären Patriotismus,
mit dem sich Staat machen lässt.
Jan
Distelmeyer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Der
Barbier von Sibirien
THE
BARBER OF SIBERIA
Frankreich/Russland/Italien/Tschechien
1999. R: Nikita Michalkov. B: Nikita Michalkov, Rustam Ibragimebekov. P: Michel
Seydoux. K:
Pavel Lebeshev. Sch:
Enzo Meniconi. M: Edward Nicolaj Artemyev. T: Jean Umansky, Andre Rigaut. A:
Vladimir Aronin, V. Murzin. Ko: Natascha Ivanova, Sergej Struchev. Pg:
Camera One/Three T Prods/France 2 Cinéma/Medusa/Barrandov Biografia.
V: Arthaus. L: 177 Min. FSK: 12, ffr. Da: Julia Ormond (Jane), Oleg Menshikov
(Tolstoi), Richard Harris (McCracken), Alexej Petrenko (Radlov), Vladimir Ilyin
(Mokin), Alexander Yakovlev (Maximich), Nikita Michalkow (Alexander III.). Start:
21.12.2000 (D).
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