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Battle
in Heaven
Labor im Himmel
„Battle in Heaven“ mischt formale Bravourstücke,
kalkulierte Provokation und existentiellen Männerweltschmerz zu einer zwiespältigen
Kinoerfahrung.
Egal was Marcos tut, er wirkt immer deplatziert.
Der massige Bauch, die schlaff herunterhängenden Arme und der trübe
Dackelblick, festgenagelt in frontalen Einstellungen, geben seiner Erscheinung
etwa Ungelenkes: So, als wäre dem bulligen Privatchauffeur seine bloße
Anwesenheit unangenehm. Das kann man ihm nicht verdenken, bei dem Film, in dem
er sich befindet: Carlos Reygadas’ „Battala en el Cielo“ (auf gut englisch:
„Battle in Heaven“) ist eine demonstrativ tabu- und gelegentlich trostlose Fleisch-
und Seelenbeschau des aktuellen Mexico City, getaucht in ostentativ kaltes Laborlicht
und umhüllt vom Nimbus des Existentiellen. Hört sich prätentiös
an, und die Ergebnisse sind auf perverse Weise zugleich noch nerviger und erstaunlich
ansehnlich.
Erzählte Reygadas in seinem Langfilmdebüt
„Japón“ (2002) von der spirituellen Genesung eines zum Selbstmord Entschlossenen
im mexikanischen Hinterland, so wird die Suche einer einsamen Männerseele
nach Erlösung hier von der Einöde in die Megacity transponiert: Marcos
(Marcos Hernández), Chauffeur eines Generals, hat mit dem Tod eines Kindes
Schuld auf sich geladen und schleppt nun seine Gewissenslast waidwund durch
die Straßen von Mexico City. Einzig in der Zuneigung zu Ana (Anapola Mushkadiz),
der gedreadlockten Generalstochter mit Halbtagsjob im Bordell, erhofft er vage
einen Ausweg.
Diesen dünnen Handlungsfaden überwuchert
Reygadas mit einer regelrechten tour
de force an formalen Kunststückchen,
die zugleich die Wahrnehmung freisetzen und manisch auf sich selbst verweisen:
Endlos gleitende Kamerafahrten und raumgreifende 360-Grad-Schwenks wechseln
ab mit statischem Starren aus einer Windschutzscheibe. Die genau choreographierte
Geräuschkulisse bricht jäh in aufwühlende Musikeinspielungen
aus. Sogar jeder einzelne Statist ist hier penibel platziert und mit symbolischem
Mehrwert versehen, vom Geschäftsmann mit groteskem Toupet in der Unterführung
bis zum Jungen mit Teufelsmaske im U-Bahn-Wagen.
Wie in Filmen von Claire Denis oder Wong Kar-wai
stiftet in „Battle in Heaven“ nicht der manifeste Inhalt Zusammenhang, sondern
der ständig wippende Rhythmus von Bild und Ton, die vorübergehende
Wirkung einer Melodie, einer Lichtstimmung, einer Kamerageste. Doch im Gegensatz
zu diesen lyrischen Filmprojekten bekommt das aggressive Virtuosentum von Reygadas
schnell etwas Bedrückendes, weil er jeden Moment auf Teufel komm raus mit
Bedeutung überfrachtet. Ohne sich auf irgendetwas wirklich einzulassen,
deutet „Battle in Heaven“ sehr fachmännisch alles an, was das Arthouse-Publikum
so brauchen könnte: eine schicke Provokation, eine „universale“ Parabel
über die metaphysische Verlorenheit des Menschen, ein relevantes Statement
über den politisch-ökonomisch-soziokulturellen Zustand Mexikos.
Wie dürftig Reygadas’ Kino der Kalkulation dabei
in der Sache bleibt, lässt sich an den Reaktionen auf die berüchtigte
Eröffnungsszene erahnen, die Ana und Marcos beim Fellatio zeigt: „Skandal!“,
murrten artig die einen, während Reygadas in einem Interview erklärte,
die beiden würden hier „das Menschsein an sich repräsentieren“ und
seine Bewunderer betonten, wie subversiv das doch sei, dass eine weiße
Frau aus der Oberschicht dem Latino-Untergebenen ihres Vaters einen bläst.
Aufschlussreich an dieser (selbstredend mit erstaunlicher Kameraartistik eingefangenen)
Szene ist vielleicht eher das Setting: ein grau-weißer Raum, der den Himmel
darstellen soll, aber wieder vor allem an die sterile Leere eines Labors erinnert.
Joachim Schätz
Dieser Text ist zuerst erschienen in www.falter.at
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Battle in Heaven
Mexiko / Belgien / Frankreich / Deutschland 2005 - Originaltitel: Batalla en el cielo - Regie: Carlos Reygadas - Darsteller: Marcos Hernández, Anapola Mushkadiz, Bertha Ruiz, David Bornstien - FSK: keine Jugendfreigabe - Länge: 98 min. - Start: 20.7.2006
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