The Beach
Danny Boyle, quo vadis?
Inhalt: Aussteiger sind baumliebende Drecks-Hippies!
Kritik: Zwar habe ich auch die Einleitung zu American Beauty mit
einer Marlboro-Werbung begonnen, aber weil's so schön war (man hielt mich
sogar, hohoho, für einen Raucher)... Golden taucht die Sonne das weite
Land in warmes Licht. Mittendrin eine Farm, nein, eine Ranch. Cowboys.
Harte Männer, eins mit ihren Pferden und der Natur. Ein wildes Pferd
bockt, läßt sich nicht zähmen, schlägt aus. Die Männer versuchen, den
Wildfang mit ihren Lassos zu beugen, ihn zu fesseln; aber die Seile sind
zu trocken, das Pferd ist zu stark - die Stricke reißen. Ein weiser,
alter Cowboy, wettergegerbt sein Gesicht und milde sein Blick, erkennt,
daß hier die alten Methoden nicht weiterhelfen und holt Hilfe heran: ein
Mann mit einem kernig-narbigen Gesicht und sicherem Auftreten erscheint,
und die Musik kommt zu einem Crescendo; es ist der Marlboro-Mann, der
Held aller verhinderten Stadtindianer - gleich fühlt man sich im
Kinosessel sicherer. Diesen Mann kann nichts erschüttern. Rasch erfaßt er
die Lage und begibt sich dann festen Schrittes zum wilden Tier.
Er tanzt. Der Marlboro-Mann tanzt mit dem Pferd. Er fuchtelt mit den
Armen, macht komische Grimassen, einen Schritt vor und wieder zurück,
und, o Wunder, das Tier beruhigt sich, wird handzahm, zum besten Freund
des Mannes. Zufrieden nickt der knorrige alte Cowboy. Wieder hat der
grandiose Pferdeflüsterer ein Wunder vollbracht. Das ist Marlboro
Country, und, es ist erstaunlich, wie sehr die Werbung mich schon
verdreht hat, sie schafft es, daß ich tatsächlich emotional berührt bin:
man glaubt es kaum, mir läuft wirklich ein Schauer den Rücken hinunter.
Wenn selbst die Zigarettenwerbung von den althergebrachten Lasso-und
Machobildern wegkommen kann, dann gibt es noch Hoffnung für die Welt,
dann könnte sogar der nun folgende Film gut sein...
Ist er aber leider - und damit kommen wir nun endlich zur Filmkritik -
nicht. Dabei hat Danny Boyle doch mit dem herrlichen Trainspotting
bereits bewiesen, daß er doch eigentlich gute Filme machen kann. Und der
unbekannte, aber ganz hervorragende Kameramann Darius Khondji (Se7en) ist
doch sonst auch ein Garant für atemberaubende Bilder. Aber was kommt
raus?
Der Reihe nach: DiCaprio in Thailand. Laut ist es und bunt und
farbig-lärmig. Viel Touristenpack. Das sind die Wunder des umtriebigen
Lebens im schwülen Südostasien. Leo zeigt seine ausdefinierten Muskeln.
Es fällt auf: Bilder manchmal schön (hübscher Dschungel), manchmal
langweilig. Musik gut surreal. Kommentar aus dem Off aufgeblasen und
pseudo-selbstreflexiv-philosophisch. Leo künstlich, unnuanciert und
hölzern. Und das bleibt den ganzen Film so. Der sterbende Robert Carlyle
übergibt ihm, storymäßig seltsam zusammenhangs- und antriebslos, mit einem grotesken Akzent und
ebensolchem Overacting, eine Karte von einem Traumstrand. Leo überzeugt
seine Hotelzimmernachbarn, zwei Franzosen mit einem schlimmen Akzent, den
Trip zu wagen. Warum geht er nicht allein? Natürlich hat er sich in das
Mädchen verliebt, von der attraktiv-breitgesichtigen Virginie Ledoyen
uninteressant-platt dargestellt, natürlich ist ihr von Guillaume Canet
halbwegs passabel porträtierter Freund sauer, natürlich kommen sie
trotzdem zusammen, natürlich ist das alles so vorhersehbar, so oft
gesehen und so sterbenslangweilig, daß man nur wegsehen kann. Sie
schwimmen also zur Insel (trotz der schönen Landschaft hier eher eintönig
gefilmt); Apocalypse Now im Hanffeld. Sie erreichen die
Aussteigerkolonie. Die ist (und bleibt) genauso, wie man sie erwartet:
(nur ganz leicht) hippiemäßig angehauchte, braungebrannte, muskulöse
Bacardi-Menschen, schön, jung, selbstversorgend, Ideale der freien Liebe
praktizierend, mit eigenen, dunklen Blutritualen... Sie fischen gern oder
betrachten ihren wirklich überwältigend schönen (aber so uninteressiert
gefilmten) Strand. Dem passionierten Cineasten geht an dieser Stelle auf,
daß natürlich nicht alles gut sein kann, sonst wäre der Film ja schon
nach einer halben Stunde zu Ende. Wo ist der Dr. Moreau oder der Lord of
the Flies dieser Insel?
Auftritt Sal (Tilda Swinton). Kühl, groß, herb, unnahbar und
emotionslos-steif gespielt. Sie ist der Boß. Warum? Halt so, und damit
die Zuschauer ein Feindbild haben. Ein sicheres Indiz dafür, daß sie böse
sein muß, ist ihre feine, leise, saubere, britische Aussprache des
Englischen. Für einen Amerikaner muß diese ungewohnt ziselierte
Verwendung ihres bei ihnen kaugummimäßig mundfaul benutzten Idioms
schrecklich beängstigend sein. Natürlich müssen Leo und die anderen Sal
schwören, niemandem etwas zu verraten, etc...
Leo lernt die anderen kennen (die einzig interessante Figur: der
Kricket-begeisterte Schwarze Kasey), Leo liebt Françoise (was für ein
origineller Name), Sal liebt Leo, Leo tötet einen Hai und lügt nachher
bei der Erzählung seiner Geschichte... Moment. Leo lügt? Der Held
der Geschichte, der Sympathieträger, der king of the world lügt? Eine
neue Facette der Geschichte scheint sich zu eröffnen, ein Held, der
keiner ist... Sehen wir weiter: Landausflug. Die Menschheit ist ein
degeneriertes Partyvolk. Leo gab die Karte weiter. Böser Leo.
Seitensprung mit Sal. Insulaner werden von Hai gebissen (gute Maske).
Böse Gemeinschaft legt Verwundete zum Sterben weit weg. Aussage:
Sündenfall. Menschen sind überall gleich. Aussteigen bringt eh nix. All
das vorgebracht mit der Sensibilität eines Preßlufthammers. Böser Leo muß
die Insel vor neuen Abenteurern schützen. Eifersuchtsdrama...
Leo hockt im Wald, ärgert schlecht und kindisch spielend die
einheimischen Bauern und wird verrückt. Warum? Wird man von dreiwöchiger
Isolation im Wald verrückt? Geht man zum Zelten in den Wald und kommt
verrückt wieder? Bin ich vom Camping beim Bund denn verrückt geworden
(die Beantwortung dieser Frage lassen wir hier mal außen vor...)? Obwohl
das Durchknallen des (Anti-)helden mal was erfrischend Anderes ist,
bleibt doch die Frage nach dem Grund. Man wird nicht einfach wegen einer
läppischen ménage à trois verrückt. Also fragt man sich unbeantwortet,
welche Dämonen um Gottes Willen den Leo dazu bringen, halbnackt durch den
Wald zu turnen, und warum Danny Boyle diesen neuen, interessanten Ansatz
so unverständlich verhunzt. Die Neuankömmlinge werden also erschossen,
die Bauern sind sauer. Showdown und neuerlicher Sündenfall (Stichwort:
über Leichen gehen). Wie erwartet endet die Idylle in der Katastrophe und dem Ende der Gemeinschaft.
Abspann.
Am Ende bleiben einige Fragen: wer hat Danny Boyle dazu gebracht, so
einen klischeehaft-vorhersehbaren, die durchaus vorhandenen
Überraschungen und die Schauspieler nicht ausreizenden Touristenfilm zu drehen? Wer hat Darius Khondji
die Lust am Filmen genommen? Warum hat man nicht einen begabten
Hauptdarsteller genommen? Und warum sind die fremdartigen Asiaten wieder
die Bösen? Ich weiß: die Welt bleibt halt doch so, wie sie ist.
Andreas C. Lazar
Dieser Text ist zuerst erschienen in:
The Beach (USA 2000)
Regie: Danny Boyle
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Tilda Swinton,
Virginie Ledoyen, Guillaume Canet, Paterson
Joseph, Robert Carlyle