zur
startseite
zum
archiv
Beau
Travail
Der
Fremdenlegionär
Die
schöne Armee
In
ihrem Film "Beau Travail" beleuchtet Claire Denis die Schönheit
des nutzlos gewordenen soldatischen Körpers. In ihrer militärisch-erotischen
Versuchsanordnung wird Sexualität zum Skript - jenseits jeder faschistoiden
Gewaltverherrlichung
Selten
habe ich einen Film gesehen, der so präzise und auf den Punkt so unterschiedliche
Musik eingesetzt hat. Das kulturell-künstlerische Wissen, was zum Beispiel
ein Euro-Disco-Track wie Coronas "Rhythm Of The Night" bedeutet, die
Breite der Bedeutungsmöglichkeiten und auch deren absolute Grenzen ermessen
zu können, ist eine Fähigkeit, die Leute, die mit Benjamin-Britten-Opern
ebenso gut umgehen können, selten aufbringen.
"Beau
Travail", Claire Denis Film über ein Camp von französischen Fremdenlegionären,
bezieht sich nämlich weitgehend auf Hermann Melvilles "Billy Budd"
- einen Schlüsseltext aller Queer Studies ebenso wie Grundlage einer Britten-Oper.
Doch die Einrahmung des Films in zwei sehr unterschiedliche, aber sehr bekannte
Disco-Stücke scheint zunächst eine ganz andere Welt zu eröffnen
als die homosoziale Gemeinschaft der Fremdenlegionäre, die man die meiste
Zeit sieht. So ist das Leben der wartenden Prostituierten, die am Anfang zu
Tarkans "Seramik" tanzen, ebenso Teil von "Beau Travail",
sie tauchen immer wieder im Hintergrund auf und sind auch in ihrer Abwesenheit
präsent.
Ästhetik
als Gesetz
Die
Regisseurin Claire Denis unternimmt keine Versuche, auf nahe liegende Weise
Empathie herzustellen. Das Leben ihrer Legionäre in der Geröllwüste
von Dschibuti ist zunächst eher kurios als tragisch oder heroisch. Sie
scheinen einen Haushalt am Ende der Welt zu führen. Aber auch dieses Ende
wird durch keine dramatische Zäsur markiert, sondern durch ein freundliches,
unaufgeregtes Meer, das die Künstlerin in einem schönen Türkis
gehalten hat. Die Erzählerstimme des von Denis Lavant gespielten Adjutanten
Galoup erinnert entfernt an jene Erzähler im Film noir, die aus der Todeszelle
oder angeschossen in Erwartung der Polizei einen Rückblick geben. Doch
bleibt von diesem Stilmittel vor allem nur eine Funktion, nämlich uns wissen
zu lassen, dass eigentlich alles vorbei ist. Genau das verursacht dann auch
eine ganz besondere Empathie, eben eine ganz andere.
Die
Schönheit der männlichen Körper wird von Claire Denis eingebunden
in Routinen: essen, trainieren, marschieren, putzen etc. Die "weibliche"
Routine des Wäschewaschens geht über in die "männliche"
des Waffendienstes. Zusammengehalten werden beide von unterschiedlichen Graden
und Genres von Balletthaftigkeit. Die Kolonie dieser Legionäre ist eine
Siedlung von Aliens, und wir sind im Prinzip bereit, ihnen alle möglichen
sozialen Regeln zuzutrauen. Die eindrucksvollen Freiübungen zu Benjamin-Britten-Musik
sorgen aber für den Eindruck, dass diese Welt hier eher von ästhetischen
Skripts als von moralisch-psychologischen zusammengehalten wird.
Motor
der erzählten Rückblende, die allerdings auch immer wieder verlassen
wird, ist Galoups Gefühl, eine fundamentale Ungerechtigkeit erfahren zu
haben, eine Verletzung, die so fundamental ist, dass sie über die individuelle
Schädigung hinaus seine ganze Welt und deren Werte unterminiert. Doch im
Lichte der Darstellung des Legionärslebens im Film erscheint diese gebrochene
Gerechtigkeit vor allem auch als eine ästhetische Kategorie.
Viel
stärker als das Gefühl, moralische Grundsätze - des Soldatenlebens,
jeder kollektiven Lebensführung - seien durch ästhetische - des Balletts,
der männlichen Schönheit, der Pflicht, "schön" miteinander
umzugehen - einfach nur ersetzt, wird hier allerdings der Eindruck, dass die
ästhetischen Regeln, die Umgangsformen der immer tendenziell tanzenden
Truppe einen Modus des Ernstnehmens bestimmen, der eine viel fundamentalere
Verpflichtung einschließt, als eine "nur" moralische sein könnte:
nicht begründbar und absolut erschütternd.
Nun
erscheinen ästhetische Vereinbarungen über menschliche Verhältnisse
viel eher als Natur als andere: Die prekäre Verbindung von Kunst- und Naturschönen
markiert dabei die Körperschönheit. In "Beau Travail" erleben
wir den Übergang von einer militärischen Ordnung in eine andere Ordnung,
wo die Schönheit der Männerkörper wichtiger wird als ihre Kraft.
Gewalt
& Tanz
Das
Aussetzen oder Brechen von solchen Naturgesetzen eines Zusammenlebens wird entsprechend
als die fundamentalere Ungerechtigkeit empfunden. Und genauso empfindet Galoup
seinen erzwungenen Abschied von der Legion, obwohl sein Vergehen - der Versuch,
einen schönen Soldaten (Grégoire Colin), auf den er eifersüchtig
ist, durch einen Gewaltmarsch durch die Salzwüste zu Tode zu schinden -
auch und gerade eine Reaktion auf jenen Übergang von einer soldatischen
in eine Welt der Oper darstellt.
Wie
bei einer Theateraufführung sind die Anderen und Nichteinschließbaren
ständig am Rand zu finden, nicht nur die Frauen, sondern auch die Einheimischen
allgemein, die angestammten Bewohner dieses Planeten zwischen Wüste und
milder Küste. Als milde interessierte Zaungäste schauen sie immer
mal wieder nach, was so los ist - anders als bei anderen berühmten Männerisolierfilmen
wie John Carpenters "Das Ding aus einer anderen Welt" und anders auch
als in Fassbinders "Querelle", wo der Nebel von Brest alles undurchdringlich
macht.
"Beau
Travail“ war bereits beim Filmfestival von Venedig und im Forum der Berlinale
zu sehen. Die Diskussion, die in diesem Zusammenhang darüber geführt
wurde, inwieweit der Film etwas verherrliche - Militär, Gewalt, männliche
Tätergemeinschaften, sich ebenfalls als Ballett des Todes stylende Skinheads
-, sollte zunächst zur Kenntnis nehmen, dass diese logische Operation gar
nicht so ohne weiteres auf diesen Film übertragbar ist: X verherrlicht
Y, eine bestimmte Darstellung verherrlicht einen bestimmten Gegenstand. Das
setzt voraus, dass es den Gegenstand schon gibt und ihm durch die Darstellung
eine neue, günstigere Bewertung zuwächst. Dieser Gegenstand wird hier
aber erst durch diesen Film hervorgebracht, unabhängig davon, dass es eine
echte Legion wirklich da draußen gibt.
Bei
Denis erscheint das Legionärsleben als eine relativ künstliche Versuchsanordnung,
die aber durch ihre Platzierung in der konkreten kolonialen Umgebung von Dschibuti
auch nicht unpolitisch oder ganz abstrakt ist. Es handelt sich nicht um einen
klar bekannten Referenten aus der politischen Außenwelt - eher werden
verschiedene Teile der Innenwelt ausgeschnitten und an einen anderen Ort transportiert.
Dass
Zwangsgemeinschaften ein erotisches Skript hervorbringen, das auch und gerade
für die nicht von diesem Zwang Betroffenen attraktiv ist, ist nicht neu.
Die Suspension des Politischen durch das Erotische und vor allem auch des politischen
Ekels durch eine erotische Attraktion, wie sie Genet beschrieben oder etwa Tom
of Finland gezeichnet hat, braucht allerdings ein stabiles Politisches, immer
schon moralisch bewertet, um funktionieren zu können. Auch und gerade dann,
wenn etwas erotisch begehrt wird, was die Begehrenden politisch abscheulich
finden.
Genau
diese moralische "Entschärfung" gibt es bei Denis allerdings
nicht: Es geht ihr in "Beau Travail" nicht um die Erotik des Bösen
oder des Zwangs und der Zwangsgemeinschaft.
Manga,
Militär, S/M
Es
geht ihr vielmehr darum, was von genau dieser Erotik bleibt, wenn das als schicksalhaft
Empfundene des Zwangs und der Zwangsgemeinschaft sich nunmehr nur noch ästhetisch
begründen lässt. Für die Legionäre dieses Films gibt es
sozusagen kein Frankreich und keine autoritären Charaktere mehr: Sie machen
trotzdem weiter.
Ich
weiß nicht, ob junge Männer, die über einen martialischen Style
eine rassistische Weltanschauung entwickeln, sich mit "Beau Travail"
in Verbindung bringen lassen. Natürlich folgen auch diese einem oft stark
ästhetisierten Skript, aber die Erfahrung lehrt doch eigentlich, dass der
Durchbruch zur Gewalt, der inhaltlich-psychologische "Glaube" an rassistische
und faschistische Inhalte, gerade mit einer Ablehnung der ästhetischen
Ebene erkauft wird, ja der Ablehnung von Ebenenvielfalt und Relativität.
Natürlich
ist die dabei unbewusst entwickelte und verleugnete ästhetische Dimension
solcher Jugendbrutalität auch ästhetisch genießbar und wegen
ihrer Leugnung womöglich besonders attraktiv.
Näher
liegend sind aber Phänomene zeitgenössischer Sexualitäten, wie
wir sie von Fans der Manga-Kultur bis zu aktuellen S/M-Versionen kennen, wo
die Erotik des Zwangs als dezidiert selbst gewählte und gestaltete Lebensform
erscheint. Ja, wo die Lust auf dem Scheinparadox beruht, sich aus freien Stücken
einem Zwang auszusetzen. In Wahrheit ist Zwang dabei nur die drastischste Form
des Skripthaften, zu dem aber jede Erotik strebt. Die Lust, diesem Skript zu
folgen, besteht aber gerade darin, dass man sich ihm freiwillig unterwirft,
nicht aus Zwang. Die Komplizenhaftigkeit, die darin bestehen mag, zwangsbedingte
Formen zu beleihen, kann unter gewissen Umständen zu einer inhaltlichen
Identifikation führen. Trotzdem ist doch die prinzipielle Differenz zwischen
der erotischen Systematik und der politischen Vernunft festzuhalten: Der einen
die Regeln der anderen vorzuhalten, funktioniert nicht, auch wenn Politik natürlich
eine erotische Seite hat und vice versa.
Die
besondere Versuchsanordnung in "Beau Travail" legt diese Bedingungen
offen, ohne sie zu benennen. Sie rollt den "Komplex Querelle" unter
heutigen, postsexualrevolutionären Bedingungen auf, ohne ihn auf dem modischen
Altar der 68er-Verdammung und zeitgenössischen Sexpanik zu opfern. Sie
erzählt von Kolonialismus ohne Kolonien und von unausgesprochenem Begehren
in einer Zeit ohne sexuelle Schweigepflicht.
Und
schließlich zeigt Claire Denis, dass die Skripthaftigkeit der Sexualität
nichts damit zu tun hat, dass man das Skript schon kennt oder kennen muss.
Gerade
die Rückblende auf eine Geschichte von Gewalt und Begehren, an der schon
alles klar sein müsste, lässt diese erst recht in tausend Stücke
zerbrechen.
Diedrich
Diederichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz
Zu diesem Film gibts im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Der Fremdenlegionär
Beau Travail.
Regie:
Claire Denis. Mit
Denis Lavant, Michel Subor, Grégoire Colin u. a., Frankreich 1999, 90
Min.
zur
startseite
zum
archiv