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Beste
Zeit
Oh wie schön
ist Oberbayern
"Beste Zeit" von Marcus H. Rosenmüller
ist der seltene Fall eines Heimatfilmes, der sich jede Sehnsucht nach Ferne
und Aufbruch verbietet. Und jeden Konflikt auch
Von "Daheim sterben die Leut'" über
"Die
Siebtelbauern" bis "Hierankl"
- auf der Kinoleinwand wird, was wir "Heimat" nennen, immer wieder
genüsslich zerlegt. Der Topos von der verpassten Adoleszenz in verstaubten
Dörfern, von menschlichen Abgründen hinterm Jägerzaun ist mittlerweile
wohl in allen Varianten durchgespielt worden. Doch selbst die bittersten Polemiken
gegen die sprichwörtliche Engstirnigkeit des Provinziellen sind im Grunde
nichts als verkappte Trauerarbeit: Heimat ist, was man einmal hatte und was
verloren gegangen ist. So gesehen singt noch der Anti-Heimatfilm ein Loblieb
der Herkunft, der Übersichtlichkeit und der verlässlichen Bande.
Seit einiger Zeit nun erzählt das Kino vermehrt
Geschichten, in denen "Heimat" einen, freilich utopischen, positiven
Fluchtpunkt des Geschehens darstellt: Jemand, der einst fortgezogen ist, kommt
mehr oder minder freiwillig zurück, sieht sich mit denselben Problemen
konfrontiert wie eh und je und beschließt, den real verzweiflungswürdigen
Zuständen ein tapferes Trotzdem entgegenzusetzen. In ostdeutschen Arbeitslosen-Komödien
wie "Schröders wunderbare Welt" oder "Könige
der Nutzholzgewinnung" geben
die verlorenen Söhne ihrem Leben und ihrem einstigen Zuhause eine neue
Chance, indem sie feststellen, dass alles gut wird, wenn sich alles ändert.
Außer in Bayern. Dort hat Marcus H. Rosenmüller
bislang zwei Filme gemacht, die sich nicht scheuten, im kraftvollen Dialekt
ihre Herkunft stolz vor sich herzutragen. Zuerst in der charmant-schrulligen,
schwarzen Komödie "Wer
früher stirbt, ist länger tot",
danach im eher plumpen "Schwere Jungs", einer Art „Wunder
von Bern“ auf der Bobbahn. Wer seine
Filme kennt, weiß: Rosenmüller findet, in Bayern ist die Welt noch
in Ordnung. Das darf er auch.
Doch spätestens nach dem ersten Drittel seines
neuesten Films "Beste Zeit" beginnt man, unruhig zu werden: War da
irgendwo ein dramatischer Konflikt, den man durch Unachtsamkeit verpasst hat?
Oder wird die Handlung weiter weichgespült und ironiefrei bis zum Ende
vor sich hin plätschern? Eine Jugend in Oberbayern: Da gibt es eine, die
aufbrechen will, es aber nicht übers Herz bringt. Warum nicht? Weil sie
sich in einen Strohkopf verschossen hat, der eine Uniform trägt. Weil ihre
beste Freundin nicht mitkommen kann. Weil ein Jahr in Übersee wie eine
Ewigkeit erscheint, wenn man erst siebzehn ist. Ach du lieber Himmel.
In "Beste Zeit" ist das Leben im Freistaat
so idyllisch, wie es sich nicht einmal Edmund Stoiber wünschen würde:
Telefone haben noch Wählscheiben. Mobiltelefone sind weit und breit keine
zu sehen. Nicht von der Stelle zu können, ist das eine, nicht von der Stelle
zu wollen, etwas anderes. So verfehlt der Film, was er sich am dringlichsten
wünscht: ein positives Bild von "zu Hause" darzustellen. Weil
ihm ein echter Konflikt in seinem Inneren abgeht und ein Außen, eine Verlockung,
die Sehnsucht nach einem anderen Leben, nirgendwo Gestalt gewinnt, schon gar
nicht in seinen wenig überzeugend gezeichneten Charakteren, findet er weder
Bilder noch Worte noch Gesten für das, was er verteidigen will. Höchstens
erschöpfte Chiffren. Kondensstreifen am Himmel stehen für "Fernweh",
ein VW-Bus für "Unabhängigkeit", Sektkorken auf dem Balkon
für "Spaß haben". Wird sein Rotwein ausgetrunken, grantelt
der Vater, und die Mutter schaut besorgt weg, wenn aus Tochters Jackentasche
trotz Rauchverbot mal eine Packung Zigaretten purzelt. Am Horizont, wenn er
denn ins Bild gerät, geht verlässlich die Sonne über dunstigen
Feldern auf oder nieder. Dann schieben sich wilde Blumen in den Vordergrund.
Und ewig wogt das Maisfeld.
Dietmar Kammerer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Beste
Zeit
Deutschland 2007 - Regie: Marcus H. Rosenmüller - Darsteller: Anna Maria Sturm, Rosalie Thomass, Ferdinand Schmidt-Modrow, Florian Brückner, Volker Bruch, Stefan Murr, Andreas Giebel, Johanna Bittenbinder - FSK: ab 6 - Länge: 95 min. - Start: 26.7.2007
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