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Bierbichler
Der große
Spalter
Oskar Maria Graf, ein stämmiges Mannsbild, das
selbst durch New York noch mit Lederhosen und Gamsbarthut stolzierte, reagierte
ganz und gar unerwartet auf Autoritäten. Als ein erfolgloser Kunstmaler
und aufstrebender Politiker namens Hitler bei Kaffee und Kuchen den vermeintlichen
bayerischen Volksautor für seine Ziele begeistern wollte, hörte Graf
den Mann an, ließ dann die Rechnung liegen und tat den berühmten
Ausspruch: »Ja, glauben Sie vielleicht, ich hör' mir Ihren Quatsch
kostenlos an?!« 1933 schrieb er dann unter dem Titel »Verbrennt
mich« aus dem österreichischen Exil einen Protestbrief, in dem er
sich beschwerte, daß seine Werke bei der ersten Bücherverbrennung
an der Münchner Uni nicht mit im Feuer landeten – er sollte seinen Willen
bekommen. Sechzig Jahre CSU-Herrschaft mögen es überdeckt haben, aber
die wildesten deutschen Anarchisten kamen schon immer aus Bayern.
Vielleicht, weil es in München immer wieder
so einfach ist, ordentlich Skandal zu machen, wie Sepp Bierbichler nachdenklich
bemerkt. 1985 fiel er auf offener Theaterbühne in Achternbuschs »Gustl«-Monolog
aus seiner Rolle und erklärte, er würde übrigens den letzten
Terroristen dem ersten von der CSU vorziehen. Da war dann mal wieder was los
in der Landeshauptstadt. In seiner Hassliebe mit Achternbusch haben sich sowieso
zwei wahnsinnige Originale getroffen, die den Freistaat ordentlich aufmischten.
Beide konnten mit den affektierten Theaterspinnern nichts anfangen, beide kamen
aus zutiefst bäuerlichem Hintergrund und wohnten gemeinsam in Ambach am
Starnberger See, wo man die Einwohner unterteilt in »die vom Bauernhof«
(arm und stehengeblieben), »die am See« (nicht ganz so arm) und
»die vom Bahnhof« (nicht ganz so stehengeblieben). Ihre Filme und
Theaterstücke, in denen ausgiebig der bayerische Sex diskutiert wurde und
holde Mädchen auf der Alm schon mal erschrocken ausriefen: »Hilfe,
die Ordnungsmacht will mich schon wieder ficken!«, ließen Bierbichlers
Vater schlicht in Tränen ausbrechen und lösten bei den Ambacher Anwohnern
Reaktionen aus, die Achternbusch so paraphrasiert: »Jetzt gema nauf und
bringma se um.« Dass so einer später bei Kulturberserkern wie Herzog
und Schlingensief landet, ist eigentlich nur logisch.
Die Dokumentarfilmerin Regina Schilling hat bei ihrem
Schauspielerporträt Glück, auf eine solche Goldgrube an Skurrilitäten
und Anekdoten zu stoßen, ansonsten liefe ihr Film Gefahr, in der Harmlosigkeit
steckenzubleiben. So erst kürzlich geschehen bei Norbert Wiedmers Bruno Ganz – Behind Me:
Auch dort überließ man dem Protagonisten streckenweise die Kamera,
auch dort konnte man einer vielseitigen Film- und Bühnenkarriere nicht
gerecht werden. Schilling bleibt inszenatorisch noch nüchterner als Wiedmer,
der Film besteht ausschließlich aus Talking Heads und Archivaufnahmen;
dafür ist ihr Protagonist, durchaus überraschend für das eigentlich
so verschlossene Schauspielgenie Bierbichler, zugänglicher als der ständig
ausweichende, ungreifbare Bruno Ganz. Auch wenn Bierbichler manche Frage einfach
fortwischt (wie jene nach dem Bruch mit Achternbusch) und sich nur mit Widerwillen
in die Vergangenheit begibt, gelingen Schilling doch Aufnahmen von großer
Intimität, gerade in Bierbichlers ländlicher Umgebung. Wenn dieser
»Findlingsfelsen« (Zitat Herzog) im Wald Holz hackt, mit kräftigen
Schlägen Keile in die Stämme treibt und sie anschließend mit
großen Äxten spaltet, steht ein Ausdruck beinahe kindlicher Zufriedenheit
in seinem sonst so schweren, groben Gesicht.
Sicher finden sich auch düstere Momente im Film,
wie die Erinnerung an den kürzlichen Tod der Schwester und den darauf folgenden
Abschied vom Theaterleben. Aber Bierbichler, daran lässt der Film keinen
Zweifel, ist zu sehr Schalk und Spinner, um wirklich zu resignieren. Die den
Film abschließende Frage nach seinem größten Kunstwerk ruft
eine stolze Erinnerung wach, von einer verrichteten Notdurft auf dem zugefrorenen See und einem daraus
resultierenden Riss im Eis, der »bis nach Bernried reichte«. Nach
einigem Nachdenken bemerkt der Schauspieler: »Aber ob das ein Kunstwerk
war, weiß ich nicht.« Das Mantra, das sich Bierbichler vor seinem Regiedebüt in
Berlin vorsagt, gilt in seiner Fröhlichkeit für den ganzen Film und
für alle bayerischen Anarchisten: »Wahrscheinlich wird's nur peinlich.
Macht aber nix.«
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen
im:
Bierbichler
Deutschland
2007 - Regie: Regina Schilling - Darsteller: (Mitwirkende) Josef Bierbichler,
Werner Herzog, Herbert Achternbusch, Luisa Francia - Länge: 90 min. - Start:
13.3.2008
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