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Big
Fish
Großer
Fisch im kleinen Teich
Was
windschief ist, soll gerade werden: Tim Burtons neuer Kinofilm "Big Fish"
erzählt eine Vater-Sohn-Geschichte. Die lebt zwar von der Fabulierfreude
und dem schwarzen Humor seiner Hauptfigur. Doch am Ende meldet sich das Realitätsprinzip
mit Nachdruck zu Wort: "Du erzählst Lügen, Dad!"
Edward
Bloom hat immer viel Wasser gebraucht. Doch war er nicht immer der schwere alte
Mann, der seltsam ausgetrocknet nach dem Glas auf seinem Nachtisch greift und
nun im Bett den Tod erwartet. Sein Sohn William hat den Platz am Bett mit dem
Vater getauscht. Von dort hat Edward ihm einst fantastische Geschichten über
sein Leben erzählt; allesamt erlogen, wie William beklagt. Nun will der
Sohn den Mann hinter den Erzählungen entdecken: "Zeig mir, wer du
bist - nur einmal!"
Diesen
Satz hat Billy Cudrup in der Rolle des William auch für uns gesagt. Denn
Tim Burtons "Big Fish" ist von der ersten Minute an auch ein Film
über die Macht des Kinos und über die Schönheit der Filmerzählungen,
die hier der von Albert Finney gespielte Edward Bloom liefert und in denen Ewan
McGregor als der junge Edward der Star ist. Dieser Edward Bloom trifft Riesen
und Hexen. Er durchmisst Zauberwälder und freundet sich mit Werwölfen
an. Wir begegnen all dem als Publikum - so wie Edwards Sohn William. Zeig mir,
wer du bist: Hinter den märchenhaften Geschichten soll der Autor erkennbar
werden, und dieser Wunsch ist uns nicht fremd.
Auch
wir versuchen immer wieder, in von vielfältigen Bedingungen geformten Kinogeschichten
die Stimme dahinter auszumachen. Es muss die eine geben. So liegt es nahe, Burtons
Film über einen Erzähler abseitiger Fantasien mit Hang zum schwarzen
Humor als einen Film über Tim Burton selbst zu verstehen. So viele Bezüge
tauchen auf zwischen den Bloomschen Lebenserinnerungen und früheren Werken
wie "Beetlejuice", "Edward mit den Scherenhänden" oder
"Sleepy Hollow". Es kann doch kein Zufall sein, dass dieser neue Film
von einem Vater-Sohn-Verhältnis handelt. Ist Tim Burton nicht selbst im
letzten Jahr Vater geworden? Oft wurde im Vorfeld von "Big Fish" darüber
berichtet, dass Burtons eigener Vater nur ein Jahr vor den Dreharbeiten verstorben
war. "Big Fish", so hieß es, habe Tim Burton "sehr geholfen,
diese Beziehung aufzuarbeiten".
Ist
diese Perspektive erst einmal gewählt, ist es leicht, in "Big Fish"
den ultimativen Tim-Burton-Film zu sehen. Er beginnt mit einer Krise des Erzählens:
Drei Jahre nach ihrer Trennung im Streit besucht William Bloom erstmals wieder
seinen Vater. Seine Mutter Sandra (Jessica Lange) hat es sich so gewünscht.
Begleitet von seiner schwangeren Frau Josephine (Marion Cotillard), will er
sich mit dem Sterbenden versöhnen und doch noch herauszufinden, wer Edward
Bloom wirklich ist. Überworfen haben sich William und Edward, weil der
Sohn die ewigen Wiederholungen der opulenten Vatermärchen und die Sinnsprüche
des raumgreifenden Selbstdarstellers nicht mehr ertragen konnte. "Ich sag,
wie's war!" - "Du erzählst Lügen, Dad."
Das
wunderbare Versprechen von "Big Fish lautet": Darauf kommt es nicht
an. Edward Bloom - das Kino - ist die Summe seiner Geschichten. Und der Vater
nutzt den Besuch, sie seinem Sohn, Josephine und uns noch einmal zu erzählen:
wie er geboren wurde und sogleich unternehmungslustig aus seiner Mutter heraus
und über den Hospitalflur flutschte. Wie er bald der örtlichen Hexe
(Helena Bonham Carter) begegnete, die unartige Kinder und verlaufene Hunde fraß
und in deren Glasauge er seinen fernen Tod sah. Wie er täglich etliche
Zentimeter zu wachsen begann und - eben ein großer Fisch in einem zu kleinen
Teich - darob drei Jahre lang in eine hydraulische Stauchungsmaschine gespannt
wurde. Wie er dem vier Meter großen Riesen Carl begegnete und beide die
für sie zu kleine Stadt hinter sich ließen. Wie er das Zauberdorf
Spectre entdeckte und diese doch zu perfekte Welt wieder verließ, um drei
Jahre im Zirkus zu arbeiten. Und wie er sich in seine zukünftige Frau Sandra
verliebte und die Welt um ihn herum dabei wirklich für Momente stehen blieb.
Der
Wunsch des Sohnes kann nie in Erfüllung gehen: Mehr als diese und weitere
Geschichten wird er von seinem Vater nicht hören. Dafür aber versucht
"Big Fish", zwischen beiden zu vermitteln. Genau dadurch, dass sich
der Streit zwischen Sohn und Vater nicht weiterentwickeln darf, wendet sich
das Blatt. Denn William wird den Märchen nachforschen und diese dabei nur
wenig entkräften. Im Gegenteil kommen Fakten und Fiktion bald merkwürdig
süßlich zur Deckung; am Ende begegnen wir Edwards skurrilen Märchengestalten
wieder, wenn diese nun auch ein wenig kleiner, ein wenig "normaler"
wirken. Daddy hatte fast Recht. Kein Disput wird bleiben, gegen den das Fantastische
ein Gegengift, einen anderen Fluchtpunkt bilden könnte. Nein, die "Freaks",
zu denen Edward Bloom zuallererst selbst gehört, behaupten nicht ihre deviante
Existenz, sondern werden als verständliche Übertreibungen von einer
Erwachsenenrealität umarmt, die nun nichts Verstörendes mehr haben
soll. Nur so kann das Ende alle miteinander versöhnen und der große
Fisch seinen Zeitlupensprung vor der untergehenden Abendsonne vollführen.
Damit
aber steht "Big Fish", die vermeintliche Quintessenz des Tim-Burton-Kosmos,
eher schon quer zu Filmen wie "Batman" und vor allem "Edward
mit den Scherenhänden". Hier behielt das fantastische Andere seine
Präsenz, ohne als Metapher abgefedert oder als Fantasie psychologisch erklärt
und gleichsam entschuldigt zu werden. Die gespaltene Fledermaus sollte unverstanden
allein bleiben; Edward Scissorhands verletzte die bürgerliche Welt, wurde
verstoßen und ließ es fortan aus seinem Schloss schneien.
"Big
Fish" hält wenig von Dissidenz. Und selbst für Edward Scissorhand
scheint Burton nun mit Edward Blooms Verkaufsschlager "Handi-Matic"
- einer künstlichen Hand - nachträglich die Lösung und das Ende
der Differenz bereitzuhalten. Dabei machten gerade die Scherenhände die
einzigartige Schönheit dieser Geschichte aus. So verformt sich "Big
Fish" dank der ordentlichen Versöhnungspolitik genau so, wie es am
Ende dem wunderbar windschiefen Haus der Hexe widerfährt: Carl, der Riese,
wird es geraderücken.
Jan
Distelmeyer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in der taz
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Big
Fish - Der Zauber, der ein Leben zur Legende macht
USA
2003 - Originaltitel: Big Fish - Regie: Tim Burton - Darsteller: Ewan McGregor,
Albert Finney, Billy Crudup, Jessica Lange, Helena Bonham Carter, Alison Lohman,
Robert Guillaume, Marion Cotillard, Steve Buscemi - FSK: ab 6 - Länge:
125 min. - Start: 8.4.2004
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