The Big Lebowski
Wer
beim Bowling übertritt, macht seinen Wurf ungültig. Was für ein
Satz. Überboten in seinem buchhalterischen Pathos wird er aber noch durch
John Goodman, der zur Gewährleistung dieser Regel soeben seine automatische
Pistole gezogen hat und sie mit der beängstigend fadenscheinigen Beherrschheit
eines Durchdrehers auf den Kopf eines unbekannten Langhaarträgers richtet,
den er zu allem Überfluß auch noch mit "Smokey" anredet.
"Smokey, this is not Vietnam! This is bowling, there are
rules!"
Wir
befinden uns im neuen Film von Joel und Ethan Coen. John Goodman spielt Walter
Sobchak, einen cholerischen Vietnamveteran-Psychopathen, der auf seine Art zu
der irrwitzigen Vielfalt gehört, mit der The
Big Lebowski
eher an Hudsucker
und Arizona
Jr.
als an ihr letztes Werk Fargo
anknüpft. Walter ist der Freund vom Dude (Jeff Bridges), einem abgehalfterten
Alt-Hippie, der sein Leben mit einer alltäglichen Melange aus Bowling,
dem Cocktail "White Russian", Marihuana und Walgesängen ruhiggestellt
hat. Zu sagen, es ginge in The
Big Lebowski
um den Dude, wäre eine halbe Lüge. Gleichwohl ist er die Hauptfigur
und wird durch Sam Elliots sonore Western-Stimme entsprechend eingeführt
- während wir den Dude höchstselbst bei der Milchprobe im Supermarkt
beobachten dürfen: "Sometimes, there is a man. Well, he is the man. The man in the right place at the right time.
And, ahem, that's the Dude. That's the Dude in L.A."
Andererseits
aber spielt der Film selbst gleichsam seine eigene Hauptrolle. Denn wie schon
Hudsucker
gehört The
Big Lebowski
zu den Produktionen, die man - wenn es so etwas gibt - als Perlen des postklassischen
Kinos bezeichnen könnte. Zwischen Hollywood und Independent, sehr smart,
tricky und mit einer exzessiven Genre- und Medienreflexivität betreiben
die Filme der Coens das Spiel mit der Erwartungshaltung ihres Publikums. The
Big Lebowski
steht voll in dieser Tradition und könnte zugleich als Bebilderung der
Definition durchgehen, die Drehli Robnik zum postklassischen Kino abgegeben
hatte: "Es verleugnet nicht mehr den Mangel an Bild-Tiefe, sondern akzeptiert
das Bild als Fläche, auf der Ebenen übereinandergeschichtet werden."
Der in den Coen-Filmen dazugehörige, systematisierte Bruch der Publikumserwartung
geht dabei stets mit der Negation des authentischen Bildes einher.
Kein
Wunder, daß nach dem stringenten, fast spartanischen Fargo
nun The
Big Lebowski
folgen muß. Wieder eine Entführungsgeschichte, diesmal jedoch in
ihrer lakonisch-verkifften Absurdität voll von Nebensträngen, undurchsichtigen
Randfiguren und konsequenzlosen Verwirrungen. Also die Sorte Kino, der jede
Inhaltsbeschreibung einigermaßen hilflos gegenübersteht.
Der
Dude (Jeff Bridges) jedenfalls ist nicht "The Big Lebowski", teilt
aber mit dem Multimillionär (David Huddleston) Vor- und Nachnamen. Das
führt natürlich zu Mißverständnissen, und so pinkelt eines
Tages ein Geldeintreiber fälschlicherweise auf den Teppich des trägsten
Menschen von L.A., der von sich in der dritten Person als Dude redet. Eine leichte
Unruhe hält daraufhin Einzug in das stumpfe Abhängen; vor allem, als
die Frau des Millionärs entführt und der Dude als Kurier bei der Lösegeldübergabe
engagiert wird.
Nachdem
der durchgeknallte Walter die heikle Transaktion verbockt hat, geraten die Dinge
außer Kontrolle bzw. eben nicht. Denn nach einer kurzen Echauffage des
Dudes kehrt man erstmal zum täglichen Bowling-Einerlei zurück, während
sich ansonsten so ziemlich alles zu einem ordentlichen Chaos zusammenzubrauen
beginnt: Big Lebowski will sein Geld zurück, der dubiose Pornoproduzent
Treehorn (!), gespielt von Ben Gazzara, hat irgendwie seine Finger im Spiel,
die Millionärs-Tochter und Avantgarde-Künstlerin Maude - "Meine
Kunst ist vaginal" - Lebowski (Julianne Moore) will Dude-Sperma, ein Trio
deutscher Nihilisten, die als "Kraftwerk"-Epigonenkombo "Autobahn"
Ende der Siebziger ihre erste Techno-LP mit dem Titel "Nagelbett"
herausgebracht haben, bedrohen den Dude wahlweise mit Frettchen oder Säbeln
und als aggressiv heißblütige Bowling-Herausforderung wartet John
Turturro alias Jesus Quintana, zu dessen Kegel-Feier ("Nobody fucks with
Jesus!") die Gypsi-Kings "Hotel California" geben.
Das
Schönste dabei ist, wie perfekt dieses absurde Konglomerat funktioniert.
Und Funktionieren bedeutet hier, im vollen Bewußtsein film- und genre-historischer
Konventionen mit denselben Schindluder zu treiben. Mit überfordernd vielen
Bezügen von Chandler über Russ Meyer, Dali und Hitchcock bis zu Mike
Tyson und den Coens selbst schafft ein allen Coen-Filmen eigener Humor die absurdesten
Verbindungen und Überleitungen ins Nichts. Walter, der permanent auf die
Einhaltung von "rules" plädiert, um im nächsten Augenblick
in cholerischen Wahnsinn zu verfallen, zeigt am deutlichsten, was Regeln in
The
Big Lebowski
bedeuten.
Ähnlich
dem titelgebenden Suizid aus Hudsucker
- der grosse Sprung
vollführt The
Big Lebowski
damit den Sprung hinter die Oberfläche, hinter die Bilder, um auch dort
nichts als Bilder vorzufinden. Wie schon in Hudsucker
führt der Versuch "dahinter" zu kommen nur zu einer Variation
der gleichen Bilder und Referenzen. "Dahinter" ist davor bzw. mittendrin.
Wer
hier also psychoanalytisch mit dem Imaginären und der symbolischen Ordnung
argumentieren möchte, findet sich auf dankbarem Boden wieder. Ehrensache,
daß der Film solche Interpretationen liniengetreu mit einigen Veralberungen
der Kastrationsangst begrüßt. Gleichzeitig aber zeigt The
Big Lebowski,
wie nah sich das grundlegende Prinzip des postklassischen Kinos samt Zitatenschatz
und Selbstreflexivität an dem Abgrund bewegt, hinter dem nur noch der todsichere
Rekurs auf feste Größen liegt. Neben dem selbstbewußten Humor
hängt letztlich eine Menge an dem Umgang mit Geschichte und also auch mit
den erzählten Geschichten, ob sich die Filme der Coens auch weiterhin von
ärgerlichen Erfolgen wie Forrest
Gump
unterscheiden. Hier kommt es u.a. auf die Frage an, ob und wie aus der notwendigen
Dekonstruktion "des authentischen Bildes" und "der authentischen
Geschichte" so etwas wie die Behauptung einer Utopie entsteht. Fargo
hatte zuletzt vorgeführt, in welche Richtung eine solche Bewegung verlaufen
könnte.
Jan
Distelmeyer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd film 3/98
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.