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The
Black Dahlia
Hollywoods Hässlichkeit
Eine grausam verstümmelte Leiche, Ermittlungen,
die ins Leere laufen, eine inzestuös degenerierte High Society: Mit "The
Black Dahlia" hat Brian De Palma einen Roman von James Ellroy verfilmt
Gemessen an den Gepflogenheiten
in Hollywood ist eine Zusammenarbeit von Brian De Palma und James Ellroy ein
Pakt, der mit Blut besiegelt sein müsste. Zwei notorische Zwangscharaktere
mit einem Faible für elaborierte, psychologisch vertrackte Gewaltszenarios.
Nicht umsonst zählt De Palmas Adaption von "The Black Dahlia",
dem ersten Roman in Ellroys "LA Quartett", zu den meistantizipierten
Filmen dieses Kinojahres. Das Skript, seit annähernd zwanzig Jahren optioniert, hat
im Grunde nur darauf gewartet, von De Palma verfilmt zu werden.
Der Fall der "Schwarzen Dahlie" war in
den Nachkriegsjahren ähnlich tief in das kollektive Bewusstsein von Los
Angeles gesickert wie die Morde Jack the Rippers im spätviktorianischen
London. Im Januar 1947 wurde die grausam verstümmelte Leiche von Elizabeth
"Betty" Short auf einem Feld in Los Angeles entdeckt. Erst einige
Monate zuvor war die 22-Jährige nach Kalifornien gekommen, um einen Job
als Schauspielerin zu finden. Sie endete als einer der bizarrsten Mordfälle
in der Geschichte des Los Angeles Police Department (LAPD). Der Täter teilte
das Mädchen sauber in zwei Hälften, zapfte das Blut aus dem Torso
ab und schlitzte ihre Mundwinkel zu einem grotesken Grinsen auf. Der Fall wurde
nie aufgeklärt.
Die Wirkung, die der Fall der "Schwarzen Dahlie",
wie Betty Short in der Boulevardpresse genannt wurde, auf das kulturelle Selbstverständnis
von Los Angeles hatte, erklärt sich unter anderem damit, dass der Mord
an dem Mädchen durch die Brutalität und die vergeblichen Ermittlungen
dem künstlichen Gebilde Tinseltown einerseits eine morbide Aura des Mysteriösen
verschaffte (ein Thema, das andere Noir-Filme wie "Chinatown" oder "Mulholland Falls" immer wieder
aufgriffen), andererseits einen düsteren Schatten über die Strahlkraft
der Glitzermetropole warf. Betty Short war, zu guter Letzt, auch ein Opfer Hollywoods
geworden. Eines von vielen zwar, das aufgrund unglücklicher Umstände
aber zu trauriger Berühmtheit gelangte. In dieser Hinsicht ist David Lynchs
"Mulholland
Drive" vielleicht der beste
Film über Hollywood - was den Ort wie den Mythos angeht.
Ellroy gewann der wahren Geschichte noch eine persönliche
Note ab. Seine obsessive Beschäftigung mit dem Fall der "Schwarzen
Dahlie" rührte vom Tod seiner eigenen Mutter her, die 1958 - Ellroy
war gerade zehn - bestialisch ermordet wurde. Auch ihr Mörder wurde nie
gefasst. Derart pathologisch und traumatisch aufgeladen, hätte De Palmas
Verfilmung das Zeug zu einem Meisterwerk des Film Noir gehabt. Die sexualpathologische
Grundstimmung der Vorlage erinnert stark an die frühen, auf ihre genial
verquaste Art auch besten Filme De Palmas ("Carrie", "Schwarzer Engel", "Dressed to Kill"), an die der Regisseur mit "Femme Fatale" (2002) wieder Anschluss fand. De Palma, ein
kleiner Vulgär-Hitchcockianer, liebt das Spiel mit Täuschungen und
psychischen Defekten.
Doch in "The Black Dahlia" scheint er sich
eher für eine ganz bestimmte soziale Topographie von Los Angeles zu interessieren,
deren Submilieus erst über den Umweg der inneren Dramaturgie ihre krankhaften
Verstrickungen offenlegen: die inzestuös-degenerierte High Society, deren
vererbten Wahnsinn De Palma anlässlich eines unvergesslichen Dinners für
die Ewigkeit festhält (Fiona Shaws hysterische Fratze erinnert dabei nicht
zufällig an das Todeslächeln der Dahlie), ein mondäner Lesben-Nachtclub
oder der Sumpf der frühen kalifornischen Porno-Industrie, die die zerplatzten
Träume der kleinen Hollywood-Starlets auffängt.
De Palmas Helden leben in der Illusion, in diesem
Sündenpfuhl eine Außenseiterrolle einzunehmen. Stattdessen stecken
sie mittendrin. Unversehens werden Officer Dwight "Bucky" Bleichert
(Josh Hartnett) und Sgt. Leland "Lee" Blanchard (Aaron Eckhart) in
die Mordermittlungen im Fall "Schwarze Dahlie" verwickelt. Bucky und
Lee sind die Aushängeschilder des LAPD, hart, aber herzlich; "Feuer"
und "Eis" hat die Presse sie getauft. Zwei Prolos mit dem Traum vom
großen Glück. Lee hat sich dieses Glück bereits verwirklicht.
Er lebt mit seinem Mädchen Kay (Scarlett Johansson) in einem modernistischen
Apartment, das deutlich über seiner Einkommensklasse liegt. Dort will Bucky
erst noch hin. Madeleine Linscott (Hilary Swank), die der toten Betty wie aus
dem Gesicht geschnitten ist, gibt ihm einen kleinen Vorgeschmack auf die Welt
der Reichen und Verkommenen, in die er niemals aufgenommen wird.
Aber De Palmas Anspruch, einen großen Film
zu machen, verträgt sich nicht mit den Abgründigkeiten der Geschichte.
In einem winzigen Detail schließlich steckt das ganze Potenzial von "The
Black Dahlia", das leider verschlossen bleibt: die Probeaufnahmen Bettys,
die Bucky und Lee sich wieder und wieder ansehen. In diesen kurzen Sequenzen
steckt ein tiefes, beunruhigendes Geheimnis, dem der Rest des Films nie gerecht
wird. Wie eine Spektralerscheinung kommt Betty, von Mia Kirshner mit einer bestürzenden
Verwundbarkeit gespielt, aus der Vergangenheit zurück - ohne dass sie Aufschluss
über ihre Ermordung geben könnte. Aber ihr Spiel mit der Kamera, ihre
Selbstinszenierung, die fließenden Wechsel zwischen Person und Figur erzählen
von Sehnsüchten und Begehren, die geradewegs in die Vernichtung führen
mussten. Was hätte Betty über Hollywood zu erzählen gehabt.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
The
Black Dahlia
Deutschland / USA 2006 - Regie: Brian De Palma - Darsteller: Josh Hartnett, Scarlett Johansson, Aaron Eckhart, Hilary Swank, Mia Kirshner, Mike Starr, Fiona Shaw, Patrick Fischler, James Otis, Troy Evans, John Kavanagh - Prädikat: wertvoll - Länge: 121 min. - Start: 5.10.2006
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