zur
startseite
zum
archiv
Blue
Steel
BLUE STEEL ist ein Polizistinnenfilm. Es geht also
nicht um einen Polizisten, der „zufällig" eine Frau ist, wie andere
Polizisten schwarz, alkoholkrank oder glatzköpfig sind. Es geht auch nicht
um eine Frau, die sich hinter einer Uniform neutralisieren will und erst nach
Dienstschluß den Menschen wieder zum Vorschein bringt, wenn sie mit dem
netten Kollegen, der ihr gerade das Leben gerettet hat, über ihre Probleme
spricht. Es geht vielmehr um einen Menschen, der als Frau Polizist ist. Sie
liebt die Schußwaffe, die Uniformknöpfe, Leder und Stahl, den Drill,
die Gewalt, das kalte Blau einer zenturionischen Macht nicht wie ein Mann, sondern
wie eine Frau. Mit dieser Ungeheuerlichkeit beginnt Kathryn Bigelows Film, in
dem Jamie Lee Curtis eine junge Polizistin spielt: Während sie sich langsam
und rituell in die Uniform kleidet und die Kamera hautnah an ihrem Körper
wie an ihren stählernen Insignien bleibt, beginnt schon eine Geschichte
über Sexualität und Gewalt.
Die Polizistin Megan Turner beantwortet zweimal die
lästige Frage, warum sie Polizistin geworden ist, mit einem nur vielleicht
ironisch gemeinten Hinweis auf Geschmack an der Gewalt; sie liebe es zum Beispiel,
Leute gegen die Wand zu knallen oder zu erschießen. Ihr schwarzer Kollege
erklärt seinerseits, warum er ein „Man in Blue" geworden ist, weil
nämlich „nobody fucks with a cop". Das ist äußerst zweideutig
und erklärt auch schon die Unlösbarkeit des Konflikts von Macht und
Liebe. Einer ist ganz besonders schockiert von der Berufswahl der Heldin, das
ist ihr Vater. Er hat, was sich in der ersten Begegnung andeutet, und in der
zweiten bestätigt, die Mutter erschlagen, und auch er ist eine Erklärung
dafür, warum aus einer Frau eine Polizistin wird. Megans Freundin Tracy
versucht sie bei einem Gartenfest mit einem „netten jungen Mann" bekanntzumachen,
der aber schnell das Weite sucht, als er erfährt, daß sie Polizistin
ist. Wie sie ihn, beinahe im Polizeigriff, davonführt, ist ein Witz, ihr
Kuß zum Abschied ein anderer.
Schon bei ihrem ersten Einsatz wird es ernst: ein
Supermarkt wird überfallen. Turner erschießt, wie sie es gelernt
hat, den Räuber, als der auf sie anlegt. Die Pistole wirbelt durch die
Luft. Sie landet vor einem Mann, der sich wie die anderen auf Geheiß des
Räubers auf den Boden niedergeworfen hat. Es ist ein erfolgreicher Banker,
der die Waffe an sich nimmt. Da sie nun nicht mehr gefunden wird, glaubt man
Turner ihre Darstellung der Notwehr nicht und wirft ihr Überreaktion vor.
Sie wird vom Dienst suspendiert.
In Eugene, dem Bankmann in der feinen Umgebung, beginnt
Lust an der Waffe zu wuchern. Er wird zum Mörder ohne Grund. In strömendem
Regen treffen Megan und Eugene aufeinander, verabreden sich, fliegen mit dem
Hubschrauber über die Stadt, und Megan ist fasziniert und verliebt. Aber
aus dem Kuß wird keine Liebe, sondern ein Spiel mit der Waffe, und schließlich
gibt sich Eugene als der gesuchte Massenmörder zu erkennen. Mehrmals versucht
Megan, den Mörder mit den Mitteln des Polizeiapparates zur Strecke zu bringen.
Vergeblich. Der Anwalt bringt ihn wieder in Freiheit. Das Morden geht weiter,
konzentriert sich immer mehr um Megan. Vor ihren Augen erschießt Eugene
ihre Freundin Tracy. Und auch Nick, der Polizist, der zu ihr gehalten hat, fällt
dem Mörder beinahe zum Opfer, der im Badezimmer lauert, während Nick
und Megan sich lieben. Es gibt ein Showdown, für das Megan Turner, nach
Art des Marshalls, ihre blauen und stählernen Insignien wieder angelegt
hat, und sie muß den Mann, in den sie verliebt gewesen ist, und der beinahe
unsterblich scheint, sich immer wieder aus dem Schmutz der Straße erhebt,
in Stücke schießen.
BLUE STEEL ist auch ein Horrorfilm, eine der „Hochzeitsphantasien"
des Genres, in denen sich die Furcht vor der Liebe eine mythische Gestalt gibt.
Megan muß sich von der abgespaltenen, bösen Sexualität des Mannes
befreien, der sich ganz und gar in das Anhängsel einer Waffe verwandelt
und Stimmen hört, die sein Handeln bestimmen. Die zornige Wucht des Films,
der an Bezügen und Konnotationen überreich ist, und in dem es doch
nicht eine einzige Szene gibt, die nicht die Handlung auf das unausweichliche
Ende hin vorantreibt, rührt daher, daß es nicht der gute Mann ist,
der die Frau vor der bösen Phantasie der Männersexualität und
Männermacht bewahrt - durch das „Liebesopfer" etwa, das wir aus den
genregemäßen Hochzeitsphantasien kennen, oder durch die „Entlarvung"
des Ungeheuers. Obwohl er es will, kann Nick Megan nicht retten. Das muß
sie ganz allein tun. Wie das geschieht, mag nicht die Erfüllung der Träume
einer mitteleuropäischen Frauenbeauftragten sein. Bedeutet weibliche Gleichberechtigung
eine Forderung nach weniger Gewalt in der Welt oder eine weibliche Form der
Gewalt? BLUE STEEL gibt keine Antwort, nur ein Beispiel.
Wie schon in dem bizarren Vampirfilm NEAR DARK zeigt
Kathryn Bigelow auch hier eine geradezu sensationelle Begabung für Bildkompositionen,
die vor lauter Klarheit zerspringen müßten, wären sie nicht
so sehr durch ihre Grundfarben bestimmt. Wie in NEAR DARK das Ton-in-Ton des
„Beinahe-Schwarz" mit Elementen des Lichts kombiniert war, das wie den
Figuren den Bildern selbst Schmerzen zu bereiten schien, so geht es hier um
eine Auseinandersetzung zwischen den Zuständen blau und braun. Selbst die
Augenfarben von Jamie Lee Curtis und Ron Silver korrespondieren noch mit diesen
Zuständen, ganz zu schweigen von Kleidung, Accessoires und Dekors. Während
sich blau (die Ordnung, die Technik, das Gesetz, die Rationalität) an braun
infiziert (dem Chaos, dem Leben, der Anarchie, dem Wahnsinn) und umgekehrt,
baut sich eine dialektische Spannung auf, die sich im Rot des Blutes löst,
das in beiden Zuständen ist. Und auch die Gewalt hat etwas von dieser Dialektik:
die Gewalt der Polizistin ist die Antwort auf die Gewalt der Männer; es
ist der Versuch, auf eine irrationale Gewalt mit einer vernünftigen und
kontrollierten Gewalt zu reagieren; daraus freilich entsteht eine noch viel
wahnwitzigere männliche Gewalt, die die weibliche in sich aufgehoben hat.
Der Massenmörder nämlich ist, mehr tödlich als sterblich, in
die gewalttätige Frau verliebt und versucht sich ihr in immer grausameren
Gewaltakten zu nähern.
BLUE STEEL ist nicht nur eine Liebesgeschichte, in
der man, statt sich zu berühren, aufeinander schießt, sondern auch
eine soziale Metapher. Wie in den schwarzen viktorianischen Phantasien kommen
die Mächtigen aus den Schlössern und Türmen nur als Lustmörder
zurück auf die Wirklichkeit der nächtlichen Straßen.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 5/90
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Blue
Steel
BLUE
STEEL
zur
startseite
zum
archiv