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Blutmond

 

Die Wurzel des Bösen

 

Ein spezieller Film ist Michael Manns Manhunter (1986), keine Frage, und als offiziell erste Verfilmung des inzwischen weltbekannten Serienmörders Dr. Hannibal Lecktor (nach den Romanen von Thomas Harris) weitgehend unbeachtet, nicht nur von den Zuschauern, die wenige Jahre später in Scharen das kannibalische Morden und psychologische Katz-und-Maus-Spiel aus Jonathan Demmes The Silence of Lambs (1993) begeistert zur Kenntnis nahmen und den intelligenten Psychopathen – inzwischen war aus Dr. Lecktor, Dr. Lecter geworden – in der Gestalt von Anthony Hopkins zur massenmordenden Kultfigur und filmischen Legende hievten, sondern darüber hinaus auch von den filmkritischen Organen, seien es Rezensenten oder Filmakademien, die Manns eigenwilliges Werk mit Missachtung straften. Manns Manhunter ist anders, soviel sei gewiss, keineswegs leichtfertig vergleichbar mit dem Oscar-prämierten Film von Demme, der unerwartet die Karriere des gealterten Anthony Hopkins revitalisierte oder überhaupt in den Starstatus erhob und zudem seither als Prototyp, Nonplusultra und geistiges Nachschlagewerk des modernen Serienmörder-Films mit psychologischem Einschlag gilt.

 

Was Demmes Film so beliebt machte und macht, mag nicht unbedingt in einem Satz zu erklären sein, umso schwieriger wird es jedoch auszumachen, was Manns Thriller, der heute in der Filmwelt als Geheimtipp gilt, derart untergehen ließ. Denn trotz seiner bebilderten Exzentrik, Manns elegischem Hang zu visueller Epik, Mehrdeutigkeit und unterkühlter Symbolik ist Manhunter ein tiefgreifendes Spiel mit Identifikation und Identität, ein rundum intelligenter Thriller. Gewöhnungsbedürftig ist und bleibt der visuelle Anspruch des Regie-Virtuosen an seine eigene Produktion und der damit verbundene Zwang des Rezipienten dieses manchmal langweilende, manchmal begeisternd intensive, dann wiederum inkonsistente Wechselspiel von Farben und Räumen, Strukturen und Figuren, Dialogen und Monologen, jeweils durch variable Schnittfolgen unterbrochen, als Teil der Handlung, nicht als deren Hindernis zu sehen. Gehalten im „filmischen Look“ der 80er Jahre spürt Manhunter nicht nur optisch, sondern auch akustisch den modischen Trends seines Entstehungsjahrzehnts nach und unterlegt den Film mit einer symbiotischen Form aus psychedelischen Klängen, seien es synthetisierte Pop-Laute oder epochal angehauchte Choräle.

 

Tief verwurzelt in damals aktuellen Strömungen bebildert der Film im Zentrum seiner Handlung den FBI-Agenten Will Graham (William L. Petersen), der seiner aktiven Zeit bei der Bundesbehörde traumatische Erlebnisse und eine eminent in Mitleidenschaft gezogene Psyche verdankt. Graham lebt zurückgezogen, ganz im Schoße seiner Familie, hat das unwirsche Leben als Ermittler in psychotischen Serienmordsfällen und die Gesellschaft verstörter Soziopathen gegen das Idyll einer Urlaubsszenerie eingetauscht, deren primär ersichtlichen Charakter der Film als paradiesisches Refugium visualisiert. Abgeschieden von großstädtischer Depression, fernab von mörderischem Trubel und stickiger Hektik. Doch eine neue Serie brutaler Ritualmorde ruft den Ermittlungsleiter Jack Crawford (Dennis Farina) auf den Plan, der auf Grahams Ehrgeiz und Erfahrung baut, als er den Rekonvaleszenten ein letztes Mal bittet, jene exzessive Serie von Mordfällen, die sich jeweils an Vollmond ereignen und ein und demselben Täter – wegen der Bissspuren an den weiblichen Opfer wird er verächtlich zur „Zahnfee“ (Tom Noonan) deklariert – zugerechnet werden. Graham beugt sich dem Wunsch seines Vorgesetzten, er werde nur diesen Fall bearbeiten, keine Schlagzeilen, keine neuen Psychosen, danach sollen ausschließlich seine Frau Molly (Kim Greist) und sein Sohn Kevin (David Seaman) die Hingabe von Will Graham spüren.

 

Doch bis dahin stürzt sich der „Profiler“ in den Fall, analysiert den Tatort bis ins kleinste Detail und beginnt mit einer riskanten Reise durch die Psyche des Gesuchten – in Grahams Art zu arbeiten liegt Professionalität, mehr noch als das: Leidenschaft. Indem Graham ein Stück von sich selbst aufgibt, versucht er dem Charakter des Mörders näher zu kommen, sein Wesen zu durchleuchten, die physiologischen und psychologischen Wünsche dieses außergewöhnlichen Psychopathen zu verstehen, nicht um eben diesen zu heilen – nein - sondern nur um die nächsten Opfer, die ganze Gesellschaft vor ihm zu schützen. Ohne Hilfe scheint jedoch auch für Graham Aussichtslosigkeit das erste Motiv des Falls, denn wo soll er suchen, wenn sein Mörder Spuren verwischt, keine anderen Hinweise hinterlässt außer den massakrierten und misshandelten Opfern, deren blutbesudelter Tatort eine surreale Anziehungskraft besitzt, so sehr ist das Böse imstande Grahams Psyche und die des Zuschauers zu infiltrieren und infizieren. Doch dies ist nichts im Vergleich mit der Aura Dr. Hannibal Lecktors (Brian Cox). Er ist es, den Graham um Rat fragt, ihn, den Psychologen und inhaftierten Psychopathen, dessen geistiges Genie Graham in diesem Fall ein grobes Profil des Täters bringen soll, doch der FBI-Agent merkt nicht, wie sein ebenbürtiger Rivale den Spieß umdreht und den Ermittler vor das nächste traumatische Erlebnis stellt, eines, das er diesmal wohl nicht überleben wird.

 

Manhunter ist ein geschicktes Spiel mit Ängsten, in erster Linie der Angst vor Identifikation. Michael Mann beschreibt „das Böse“, diesen gesellschaftlichen und medizinischen Auswuchs der humanen Psyche als „krankhafte“ Form des Mensch-Seins. In der Figur der „Zahnfee“ alias Francis Dollarhyde spiegelt sich die Urangst der menschlichen Existenz vor archaischer Gewalt. Dollarhydes großer Wuchs, sein befremdlich deformiertes Äußeres, die breiten Hände, die vernarbte Lippe, all dies lässt den Charakter des Mörders ins Abartige oder Absonderliche tendieren. Tief in seiner erkrankten Seele liegt das gestörte Verhältnis zu gesellschaftlichen Normen verborgen, dort wird sich auch das fehlende moralische Denken manifestieren, welches die Beziehungsproblematik und missgebildete Verhältnis zu Frauen erklärt. Mann schafft hier Basen zur Identifikation mit einem offensichtlich gestörten Charakter, an seelischen Grenzen, die nicht jeder kennen, nur wenige erfahren wollen. Die Hauptfigur Will Graham bedient sich ebenjener Methode um den nächsten Schritt des Mörders vorherzusehen, um die Handschrift des Todes in seiner Vorgehensweise, in der psychischen Störung des Täters zu suchen. Dollarhyde steht in dieser Beziehung im krassen Gegensatz zu Lecktor, dessen charakterliche Eignung keinerlei Motive vermuten lässt. Er mordet, weil er morden will, nicht weil er über den Tod seines Opfers hinaus nach der Befriedigung seiner urmenschlichen, archaischen oder psychisch gestörten Bedürfnisse strebt. Vielleicht ist es das, was Lecktor zu einer derart faszinierenden Figur macht, diese letale Intelligenz, die einzig und allein dazu dient andere zu beherrschen, etwas aus Genuss zu tun, was mit allgemeingültigen gesellschaftlichen Normen nicht zu vereinbaren ist.

 

Der Film funktioniert als Thriller ebenso wie als psychologische Studie, jedoch lässt er, insbesondere was die Etablierung einer zentralen Figur betrifft, die Zügel aus der Hand. Fokussiert sich die Handlung zwar auf den ermittelnden Graham, so besitzt der Film mit Dr. Lecktor – gerade in der Darstellung von Brian Cox – eine vielfach interessantere Figur, die allerdings nur am Rand agiert. Manchmal scheint es, als verliere Mann sich selbst in stilistischen Kreationen, die auf die oder andere Weise zur Handlung zurückfinden und diese letztendlich auch definieren, mitunter ist diese Inszenierung aber nicht stringent und konzentriert genug, um tatsächlich ohne Pause zu fesseln. Der echte erste Auftritt von Dr. Hannibal Lecktor/Lecter ist hier, in Manhunter, zu sehen und darin macht das Böse beim besten Willen keine schlechte Figur.

 

Patrick Joseph

 

Diese Kritik ist zuerst erschienen bei: www.ciao.de

 

Blutmond

MANHUNTER

Roter Drache

Manhunter

USA - 1986 - 119 min. - Scope

FSK: ab 16; feiertagsfrei

Verleih: CineVox, VCL/Virgin (Video)

Erstaufführung: 29.1.1987/28.7.1987 Video/31.1.1992 PRO 7

Fd-Nummer: 26032

Produktionsfirma: De Laurentiis Corp.

Produktion: Richard Roth

Regie: Michael Mann

Buch: Michael Mann

Vorlage: nach einem Roman von Thomas Harris

Kamera: Dante Spinotti

Musik: The Reds, Michel Rubini

Schnitt: Dov Hoenig

Darsteller:

William Petersen (Will Graham)

Kim Greist (Molly Graham)

Joan Allen (Reba)

Brian Cox (Dr. Lektor)

Dennis Farina (Jack Crawford)

Tom Noonan (Francis Dollarhyde)

 

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