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Bobby
Im Jahr 1968 war ganz schön was los: Der „Prager
Frühling“, das Massaker von My Lai, die Tet-Offensive, die Ermordung Martin
Luther Kings, das Attentat auf Rudi Dutschke, der Pariser Mai, das Attentat
auf Andy Warhol, der Einmarsch der Truppen des „Warschauer Pakts“ in die CSSR,
die blutigen Straßenschlachten am Rande der Democratic National Convention,
die „Schlacht am Tegeler Weg“ in Berlin. Dann auch das: In den frühen Morgenstunden
des 5. Juni 1968, kurz nach Mitternacht, unmittelbar nachdem er seine Kandidatur
für das Amt des US-Präsidenten verkündete, wurde ein Attentat
auf Robert „Bobby“ Kennedy verübt. Einen Tag später starb der jüngere
Bruder von John F. Das Attentat beendete, so wird oft erzählt, den optimistischen
amerikanischen Traum von Jugendlichkeit und Fortschrittlichkeit.
Im Spätherbst 1968 wurde Richard M. Nixon ins
Präsidentenamt gewählt; es begannen dunkle Jahre, die, glaubt man
dem Filmemacher und Schauspieler Emilio Estevez, bis heute andauern. In der
Manier eines Robert Altman schildert Estevez anhand von 22 Menschen unterschiedlicher
Hautfarbe und Klassen (race, class and gender) die Stunden vor dem Attentat im „Ambassador Hotel“
in Los Angeles, in dem Kennedys Wahlkampfteam sein Hauptquartier aufgeschlagen
hat. Die einzelnen Erzählstränge – die Eheprobleme und Affären
des Hotel-Managers Paul Ebbers, die subkulturellen Erfahrungen der jungen Kennedy-Volunteers
Jimmy und Cooper, die Versuche des jungen William Avary, sich durch die Heirat
mit der jungen Diane seiner Einberufung nach Vietnam zu entziehen, die verbalen
Schlachten zwischen dem Koch Miguel und dem farbigen Chefkoch Edward – sind
einerseits anekdotisch gehalten, um die impressionistische Offenheit der Form
zu bezeugen, müssen aber andererseits gleichwohl darauf zielen, pars pro
toto das intendierte Gesellschaftspanorama zu produzieren.
So präsentiert „Bobby“ eine Gesellschaft, die
einerseits von allgegenwärtiger Gewalt (JFK, Malcolm X, Martin Luther King,
Vietnam) paralysiert scheint, die andererseits aber deutliche Züge einer
Gesellschaft im Umbruch trägt. Zwar ist der Rassismus noch überall
spürbar, doch die Bürgerrechtsbewegung verallgemeinert sich in die
gesellschaftliche Mitte hinein. Zwar ist das Patriarchat noch allgegenwärtig,
doch die Forderungen der Frauen nach Selbstbestimmung werden lauter; zwar tragen
auch die jungen Männer noch Anzüge und auch die Haare nur etwas länger,
doch die erste Begegnung mit einem Hippie-Dealer und seinem neuen Zauberstoff
LSD liegt bereits im Rahmen des Möglichen.
Der Film gibt sich viel Mühe, die Fortschrittlichkeit
von 1968 historisch korrekt zu beschreiben und nicht überzubewerten. Die
sich ankündigende „Fundamental-Liberalisierung“ der Gesellschaft sollte
noch einige Jahre auf sich warten lassen. So zurückhaltend Estevez in dieser
Hinsicht gearbeitet hat, so sehr laboriert sein Film an etwas, was man früher
wohl als Besetzungscoup bezeichnet hätte. So wie die Katastrophenfilme,
die Hollywood in den Jahren nach der Ermordung Robert Kennedys produzierte (u.a.
„Flammendes Inferno“, fd 19 222), setzt auch „Bobby“ auf ein Allstar-Ensemble
bis in die kleinste Nebenrolle: Man begegnet William H. Macy, Christian Slater,
Anthony Hopkins, Harry Belafonte, Heather Graham, Demi Moore, Sharon Stone,
Ashton Kutcher, Martin Sheen, Helen Hunt, Lindsay Lohan und Elijah Wood – um
nur einige zu nennen. Doch durch den Einsatz der Stars wird die Beiläufigkeit
des Erzählens spannungsvoll hintertrieben, der Film wirkt so gleichzeitig
unter- und überdeterminiert.
Zugleich wird filmimmanent eine Lichtgestalt etabliert,
deren Präsenz im Film ein expliziter Kommentar der Gegenwart ist: Robert
Kennedy. Der Senator erscheint nur über dokumentarische Bilder – und als
Stimme. Er ist die Projektionsfläche eines anderen, besseren, gewaltloseren
Amerika. In seiner Person laufen die unterschiedlichen Hoffnungen und Träume
der anderen Figuren zusammen, weshalb die Handlungsfäden auch in jene Hotelküche
des „Ambassador“ münden, wo der Palästinenser Sirhan Sirhan schließlich
das Attentat verübt. Um diesen Mordanschlag ranken sich viele verschwörungstheoretische
Gerüchte, doch dafür interessiert sich Estevez nicht; auch nicht für
die Motive des Täters, der wie Kennedy eine physische Leerstelle bleibt.
„Bobby“ ist ein Film, an dem man vorzüglich
die Musilschen Kategorien des Wirklichkeitssinns und des Möglichkeitssinns
exemplifizieren könnte. Denn „Bobby“ verlängert die Hoffnungen und
Träume, die mit der Person Robert Kennedy verbunden wurden (und von denen
niemand weiß, inwieweit sie sich politisch realisiert hätten), in
die Gegenwart. Der Tod Kennedys wird zu einer zeitlichen Lücke der amerikanischen
Geschichte, vielleicht gerade weil er ermordet wurde. Nach dem Attentat verleiht
Estevez dem Sterbenden die Stimme zu einer langen Rede, die zweifelsfrei auf
die Bush-Administration gemünzt ist. Man kann das für politisch engagiert
oder auch für billig halten, wenn sich viele Hollywood-Stars 2006 einfinden,
um eine politische Führung zu kritisieren, deren Zeit unweigerlich abläuft.
Insofern kommt „Bobby“ wohl einige Jahre zu spät, um mehr zu sein als ein
filmisches Sich-selbst-auf-die-Schulter-Klopfen. Auch ästhetisch – in der
Kombination Filmstars mit zeitgenössischer Pop-Musik und mäanderndem
Erzählverfahren – scheint „Bobby“ jener Zeit verhaftet, in der er spielt.
Für das, was Estevez letztlich zu erzählen hat, brauchte Rainer Werner
Fassbinder am Schluss von „Die
Ehe der Maria Braun“ gerade einmal
vier Porträtfotos.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-dienst
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Bobby
- Sie alle hatten einen Traum
USA 2006 - Originaltitel: Bobby - Regie: Emilio Estevez - Darsteller: Anthony Hopkins, Sharon Stone, Elijah Wood, Demi Moore, Helen Hunt, William H. Macy, Martin Sheen, Laurence Fishburne - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 115 min. - Start: 8.3.2007
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