Bowling for Columbine
Dokumentarfilme
haben es nicht leicht im Kino – aus den unterschiedlichsten Gründen. Einer
der entscheidenden aber ist die Tatsache, daß sie höchst selten über
Typen verfügen wie Michael Moore, Regisseur, Autor und Hauptfigur von “Bowling
for Columbine”. Moore schafft etwas ganz Besonderes mit seinem Film, er unterhält
in gleichem Maße wie er aufklärt, er ist ebenso betroffen wie angriffslustig,
knallhart wie verständnisvoll.
Alles
begann Ende der 80er, als Moore auf die Idee kam, den Vorsitzenden von General
Motors mit den Auswirkungen der Massenentlassungen des Automobilkonzerns in
Moores Heimatstadt Flint, Michigan, zu konfrontieren. Ergebnis war “Roger &
Me”, eine ebenso dreiste wie amüsante Anklageschrift, der bis dato erfolgreichste
Dokumentarfilm der Kinogeschichte. Auch “Bowling for Columbine” ist eng mit
seiner Herkunft verknüpft. Ursprünglich allein als Ursachenforschung
zum Highschool-Massaker von Littleton gedacht, steht nun gleichermaßen
ein Vorfall aus Flint, Michigan, im Mittelpunkt; die Erschießung eines
sechsjährigen Mädchens durch einen gleichaltrigen Jungen sowie die
allumfassende Frage: Sind die Amerikaner verrückt nach Waffen – oder einfach
nur verrückt?
Mit
sprühendem Witz und beißender Ironie spürt Moore dieser Ungewißheit
nach, lockt Kollaborateure des Oklahoma-Attentäters Timothy McVeigh aus
ihrer Defensive, entlarvt die Waffenlobby der National Rifle Organisation und
stellt ihren greisen Vorsitzenden, den ehemaligen “Ben
Hur”
Charlton Heston auf unnachahmlich kaltschnäuzige Weise bloß. Bei
allem sichtlichen Spaß, den ihm sein Guerilla-Filmmaking bereitet, verliert
Moore jedoch nie sein grundlegendes Ziel aus den Augen: Wieso werden in den
USA jährlich rund 11.000 Menschen durch Schußwaffen ermordet, während
diese Zahl beispielsweise in Kanada, wo rund zehn Millionen Familien etwa sieben
Millionen Waffen besitzen, nicht einmal vierstellig ist?
Moores
Argumentation ist ebenso schlüssig wie parteiergreifend, seine Folgerungen
jedoch mehr als einleuchtend. Amerika ist nicht verrückt, zumindest nicht
mehr als andere Staaten auch. Amerika hat Angst, tiefsitzende, durchdringende
Angst. Und der 11. September hat Amerika noch um ein Vielfaches ängstlicher
gemacht, einer Panik nahe. Gottlob aber gibt es Typen wie Michael Moore, die
der Angst furchtlos ins Auge blicken. Wichtig für Amerika wie für
uns, richtungweisend für Dokumentarfilme im Kino.
Carsten
Happe
Dieser Text ist zuerst erschienen im: Schnitt
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Bowling for Columbine
USA/CAN/D 2002. R,B: Michael Moore. K: Brian Danitz, Michael McDonough. S:
Kurt Engfehr. M: Jeff Gibbs. P: Dog Eat Dog Films/Salter Street Films. D:
Michael Moore, Charlton Heston u.a. 122 Min. Prokino ab 21.11.02