zur
startseite
zum
archiv
Breakfast
on Pluto
Außenseitergeschichte
und Zeitporträt: der neue Film von Neil Jordan
The Company of Wolves, eine aparte Interpretation von
„Rotkäppchen“, markierte 1984 den Beginn von Neil Jordans Karriere. Seither
hat der 56-jährige Ire rund 20 Filme gedreht, Außenseitergeschichten
zumeist, die in ihrer Kombination von Noir-Elementen, Poesie und Gewalt unverkennbar
„Jordan“ sind, Thriller wie Mona Lisa oder auch Interview With the Vampire.
Von Neil Jordan erwartet man kein
„Feelgoodmovie“. Der Großteil seiner Filme, besonders die, die mit seiner
Heimat Irland zu tun haben, sind das genaue Gegenteil – man denke etwa an den
finsteren und bitteren Butcher
Boy. Breakfast on Pluto aber, nach einer Vorlage von
Patrick McCabe, bietet sich in fast aufdringlicher Weise als Stoff für
ein typisches Feelgoodmovie an: ein unorthodoxer Held, der den Konventionen
der Gesellschaft trotzt und aus der Enge der bedrückenden Heimat ausbricht,
um die große weite Welt zu erobern. Selbstbewusst schreitet Cillian Murphy
als Patrick „Kitten“ Braden in den ersten Szenen durch London, divenhaft geschminkt
und mit viel Hüftschwung. Vom nahen Gerüst johlen ihm die Bauarbeiter
zu. So sieht man gleich: Neil Jordan weiß sehr genau, was Feelgoodmovies
ausmacht und weshalb das Mainstreampublikum Außenseitergeschichten so
attraktiv findet, aber er ist nicht willens, die Triumphe seines Transvestiten-Helden
zu versüßen oder zu vergrößern, damit wir, das breite
Publikum, uns besser fühlen. Patricks Glück, und das sieht das aufmerksame
Auge bereits in dieser ersten Szene, ist klein, erzwungen, beschädigt.
Dafür aber gehört es ganz dieser Figur. Es ist, als ob Patrick selbst
die Regeln kennt, und so handelt Breakfast on Pluto davon, wie jemand das eigene Leben in ein Feelgoodmovie verwandelt.
„Kitten“ ist der selbst gewählte
Spitzname dieser Figur, und darin drückt sich so selbstverständlich ihre Anschmiegsamkeit und ihr
großes Bedürfnis nach Geborgenheit aus, dass er nie erklärt
werden muss. Der Vater ist unbekannt, die ledige Mutter davongelaufen, und so
wächst Patrick/Kitten in einer bigotten irischen Pflegefamilie auf. Von
der strengen Ziehmutter wird der Zehnjährige beim Tragen von Frauenkleidern
erwischt: „Ich werde dich darin durch die Straßen jagen!“ droht sie wutentbrannt.
„Versprochen?“ versetzt der kleine Junge kokett. Da pfeifen es die Spatzen aber
schon längst von den Dächern – Patrick wird ausbrechen müssen.
Jordan inszeniert die Vögel als Erzähler; der Film ist außerdem
unterteilt in 36 Episoden und zitiert auf diese Weise sowohl die Erzählhaltung
der Entwicklungsromane aus vorigen Jahrhunderten als auch deren Ironie. Tatsächlich
ist Patrick eine Art Simplizissimus, ein reiner Tor, der die Welt nicht versteht,
dessen Nichtverstehen aber die Geschichte vorantreibt und neue Perspektiven
eröffnet. Seine Mutter sei nach London gegangen, erfährt Patrick irgendwann,
und so ergreift er die erstbeste Gelegenheit, um dahin aufzubrechen. Die bietet
sich auf dem Rücksitz eines Motorradfahrers, der ihm einen „Lift“ offeriert.
Wo andere Gefahr wittern, muss Patrick seine Chancen suchen. Damit hat sich
ein Muster etabliert: Patricks Weg bestimmen Fremde, denen er sich meistens
grundlos anvertraut. Ob Motorradgang oder Hardrocker, Zauberkünstler oder
Polizisten, sie alle öffnen über kurz oder lang ihr Herz für
das „Kitten“ in Patrick, was nicht bedeutet, dass sie ihn nicht auch misshandeln
und verletzen. Doch der Film zeigt durch alle Bitternisse des realen Lebens
hindurch – Patrick nämlich bringt es streng genommen zu nichts, zu keinem
Star-Ruhm und noch nicht einmal zu einem regulären Job – den unwahrscheinlichen
Sieg einer unhaltbaren Lebenshaltung: Patrick weigert sich, die Welt ernst zu
nehmen.
So dahin geschrieben klingt das
harmlos, bei Neil Jordan aber grenzt es nahezu an Verrat: Denn was Patrick-Kitten
partout nicht ernst nehmen will, sind unter anderem die Anliegen der IRA. Auch
nicht, wenn deren Bomben sein Leben direkt bedrohen. Wo der gängige Transvestiten-Film
die Kunst der Selbst-Inszenierung feiert, die Freude am Oberflächlichen,
geht Jordan eine Stufe weiter, indem er die Lust an der Verkleidung, die Verweigerung
des Ernstes als radikale und absolut anti-ideologische Selbstbehauptungsstrategie
zeigt. Patrick identifiziert sich weder mit einem Vaterland noch einer Bewegung
oder einem Glauben, sondern nur mit sich selbst.
Der Film ist deshalb eine durchwachsene
Mischung aus guten und schlechten Gefühlen: einerseits sind da die Unerbittlichkeiten
der sozialen und politischen Hintergründe der sechziger und siebziger Jahre
in Großbritannien, die Jordan unaufwändig mit farblosen Kulissen
und öden Umgebungen illustriert. Andererseits ist da die Exzentrik der
Figuren, die wie in einer Nummernrevue Patricks Weg kreuzen. Vom zärtlich-verliebten
Hardrocksänger bis hin zum fürsorglichen Scotland-Yard-Agenten ergibt
sich daraus eine Art „guided tour“ durch den anglo-sächsischen Eigensinn.
Keiner dieser Männer lässt sich von dem androgynen jungen Mann in
Frauenkleidern irritieren, stellt der doch „nur“ in exaltierter Form aus, was
sie alle leben: ein Stück Individualismus.
Dass Breakfast on Pluto unterm Strich doch als wahres Feelgoodmovie erscheint, liegt nicht
zuletzt am wundervollen Soundtrack, der viele, lange nicht gehörte Songs
aus den fünfziger bis siebziger Jahren versammelt. Mit großer Sorgfalt
genau unterhalb der „Hippness“-Schwelle ausgesucht, ist fast jedes Lied eine
kleine nostalgische Wiederentdeckung und eine Hommage an den mittlerweile fast
vergessenen Nonkonformismus des Pop.
Barbara Schweizerhof
Neil Jordan erzählt unaufwändig
und mit Gefühl die Geschichte des irischen Transvestiten „Kitten“, der,
ein wahrer Simplizissimus, in der Metropole London sein Glück sucht. Beeindruckend
auch der wunderbare Soundtrack und der junge Schauspieler Cillian Murphy (Batman
Begins) als „Kitten“.
Dieser Text
ist zuerst erschienen in epd Film 6/2006
Zu „Breakfast on Pluto“ gibt’s
im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Breakfast
on Pluto
Irland/Großbritannien 2005. R: Neil Jordan. B:
Neil Jordan, Patrick McCabe (nach dem Roman von Patrick McCabe). P: Alan Moloney, Neil Jordan, Stephen Wooley. K: Declan
Quinn. Sch: Tony Lawson. M: Anna Jordan. T: Brendan Deasy. A: Tom Conroy, Michael
Higgins. Ko: Eimer Ni Mhaoldomhnaigh. Sp: Kevin Byrne, Tom Debenham.
Pg: Sony/Paghe/Parallel/Number 9. V: Sony. L: 135 Min. Da: Cillian Murphy (Patrick
„Kitten“ Braden), Liam Neeson (Vater Bernard), Stephen Rea (Bertie), Brendan
Gleeson (JohnJoe), Ruth Negga (Charlie), Eva Birthistle (Eily Bergin), Liam
Cunningham (Mosher), Gavin Friday (Billy Rock), Bryan Ferry (Mr. Silky String).
Dt. Start: 25.5.06
zur
startseite
zum
archiv