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Broken
Flowers
Alte
Lieben
Jim
Jarmusch schickt Bill Murray in "Broken Flowers" auf eine Reise in
die eigene Vergangenheit und inszeniert diesen Road-Trip wie einen Song
Irgendetwas
ist mit diesem Gesicht. Bill Murrays Leidensmiene hat eine eigenartige Musikalität.
Ob er in Lost
in Translation
süffisant den Crooner gibt, wenn er vor einer Horde feierwütiger japanischer
Teenager Roxy Musics More
than this
singt oder sich in Wes Andersons Die
Tiefseetaucher
für einen kurzen Augenblick auf Mark Mothersbaughs Techno-Muzak eingroovt,
die aus seinem vorsintflutlichen Unterwasserhelm tuckert: Murrays Stoik, eine
Mischung aus Melancholie und Altersweisheit, scheint wie geschaffen dafür,
von fremdartigen Klängen, die so gar nicht zu dieser leicht defensiven
Körperhaltung passen wollen, bespielt zu werden.
In
Jim Jarmuschs neuem Film Broken
Flowers
spielt Musik nun, neben Murray, eine besondere Rolle. In gewisser Hinsicht erinnert
Broken
Flowers
mit seinem getragenen Rhythmus und seinen wiederkehrenden Motiven, zwischen
die sich manchmal eine betretene Stille schiebt, selbst an ein musikalisches
Arrangement. Und Jarmusch hat sich für die wohl schönste Musik der
Welt entschieden: den Siebziger Jahre-Ethiopian Jazz von Mulatu Astatqé,
einem von lateinamerikanischer Slowmusic und amerikanischem Rhythm´n´Blues
beeinflussten Souljazz, der dem Film eine lose Struktur verleiht.
Nirgendwo
könnte Astatqés funkiger Afrojazz unpassender plaziert sein als
im dämmerigen Wohnzimmer-Ambiente von Don Johnston (Murray), einem in die
Jahre gekommenen Don Juan, der am Anfang von Broken
Flowers
die Abreise seiner letzten Flamme (Julie Delpy) mit einem Anflug von Lethargie
quittiert. Leblos sitzt er vor seinem Breitwandfernseher und starrt in die Röhre,
bis er irgendwann in einem Anfall innerer Erschöpfung vornüber in
einen tiefen Dämmerschlaf fällt. Don Johnston, wohl nicht nur von
endlosen Miami Vice-Witzen in die Resignation getrieben, ist eine von Murrays
bisher interessantesten Figuren, fast eine Ergänzung zu seinem Bob Harris
aus Lost
in Translation.
Im Neunziger-Jahre-Computerboom hat dieser Johnston es zu einem ansehnlichen
Vermögen gebracht. Nun genießt er, emotional verwahrlost, seine Frührente
in einer übergroßen Suburbia-Residenz.
Don
ist die respektvolle Sublimierung von Murrays bekanntem Rollentypus, den er
seit Und
täglich grüßt das Murmeltier
kultiviert hat. In Die
Tiefseetaucher
hatte Murray diesem dauerdepressiven Misanthropen seine bis dahin schönste
Form verliehen: eine tieftraurige Erhabenheit umgab Steve Zissou, in der manchmal
noch die schelmische Albernheit des jungen Murray (Ghostbusters,
Caddyshack)
die Oberhand gewann. Broken
Flowers
nun zeichnet ein bedingungsloser Reduktionismus aus. Jarmusch hat dafür
mit Murray einen ebenbürtigen Partner gefunden: einen grandiosen Minimalisten,
dessen große Kunst im Auslassen besteht. In einem Film voller Leerstellen
- emotionaler wie erzählerischer - ist Murray damit der perfekte Dreh-
und Angelpunkt. Wahrlich ein Fels in der Brandung: ungerührt, unbewegt,
ausgewaschen von den Wellenbewegungen der Zeit.
Dons
einziger Verbündeter ist sein äthiopischer Nachbar Winston, der ihm
manchmal eine Tasse Kaffee äthiopischer Röstung vorbeibringt. Winston
unterscheidet sich von Don nicht nur darin, dass er stolzer Familienvater ist,
sondern auch darin, dass er eine Passion hat: In seiner Freizeit schreibt er
Detektivgeschichten. Als Don eines Morgens einen unsignierten Brief einer Verflossenen
erhält, in dem sie ihm von der Existenz seines inzwischen 19-jährigen
Sohnes erzählt, ist Winstons Spürsinn geweckt. Don dagegen macht erstmal
ein Nickerchen. Nur widerwillig lässt er sich von Winston, ausgestattet
mit den aktuellen Adressen aller relevanten Ex-Freundinnen, Flugtickets, Mapquest-Straßenplänen
und einem Mixtape mit der Musik Astatqés, auf eine Reise in die Vergangenheit
schicken.
Diese
Reise führt Don durch ein gesichtsloses Amerika zwischen gepflegten Vorstadtgärten,
staubigen Ausfallstraßen und öden Flughafenparkplätzen; die
Leere, die sich dabei auftut, hat jedoch nichts mit der Landschaft zu tun. Zudem
liefert Astatqés Ethopian Jazz einen interessanten Verfremdungseffekt
im ur-amerikanischem Genre des Roadmovies. Sein flirrender Groove verleiht Broken
Flowers
eine traumwandlerische Unschärfe, durch die sich Murray wie ein Gespenst
bewegt. Jarmuschs Faible für absurde Details ist zu ausgeprägt, als
dass seine Filme sich je in der Formelhaftigkeit eines Genres verlieren könnten.
Schon Dead
Man
und Ghost
Dog
waren lakonische Reflexionen einer trivialisierten Americana zwischen Wildem
Westen und Hip Hop-›Cool‹. Broken
Flowers
nimmt nur äußerlich die Form eines Road Movies an. Innerlich steht
die Welt still.
Die
unangekündigten Besuche bei seinen einstigen Geliebten (gespielt von Sharon
Stone, Frances Conroy, Jessica Lange und Tilda Swinton) liefern ein bedrückendes
Panorama geplatzter Lebensträume. Irgendwann fragt sich Don zu Recht nach
dem Sinn dieser Reise. Mit jeder weiteren Station scheint sich Dons Mission
mehr zu wandeln, von der Suche nach seinem verlorenen Sohn zur Rekapitulation
eines ganzen Lebens. Die Erinnerungen an die Vergangenheit reißen alte
Wunden auf. Mit Sharon Stone, die alleine mit ihrer Tochter Lolita (!) lebt,
seit ihr Mann bei einem Auto-Rennen ums Leben kam, verbringt er eine verwirrende
Nacht - um der alten Zeiten Willen. Frances Conroy scheint ihre gescheiterte
Beziehung mit Don nie überwunden zu haben und fristet ein deprimierendes
Neureichen-Hausfrauenleben. Jessica Lange kommuniziert besser mit Tieren als
mit ihren Mitmenschen. Und Tilda Swinton, als heruntergekommene Späthippie-Rockerbraut,
versucht erst gar keine versöhnlichen Worte zu finden. Ein paar Biker zeigen
Don den Weg nach Hause. Sein letzter Besuch schließlich ist ein Requiem;
am Grab einer weiteren Ex-Freundin aus der 20 Jahre zurückliegenden Periode
kommt er langsam zur Besinnung. Es ist fast der berührendste Moment des
Films. Im strömenden Regen zeigt Don zum ersten Mal eine emotionale Regung.
Formal
ist Broken
Flowers
Jarmuschs bislang konventionellster Film. Eine Charakterstudie, die ganz auf
die Stärke ihres Schauspieler-Ensembles setzt. Dass Jarmusch sich um dramatische
Gepflogenheiten jedoch nicht schert, lässt den Film seltsam verhalten erscheinen.
Pathos und Rührseligkeiten wären sowieso das Letzte, was man von Jarmusch
erwartet. Bei aller Sehnsucht, die seine Figuren umtreibt, kultiviert er stets
eine lakonische Haltung gegenüber den Annehmlichkeiten eines bürgerlichen
Lebens. Am Ende bleibt sich Broken
Flowers
selbst ein wenig fremd.
Andreas
Busche
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Freitag
Broken
Flowers
USA
2005 - Regie: Jim Jarmusch - Darsteller: Bill Murray, Jeffrey Wright, Heather
Alicia Simms, Sharon Stone, Alexis Dziena, Frances Conroy, Jessica Lange, Chloë
Sevigny, Tilda Swinton, Julie Delpy - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge:
106 min. - Start: 8.9.2005
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