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The
Bubble
„Explosiv bedeutet auch cool“, erklärt Noam nach der ersten
gemeinsamen Nacht seinem neuen Liebhaber Ashraf. Ashraf ist Palästinenser
und lebt in Nablus; die Lifestyle-Codes der hippen Tel Aviver Szene der Twentysomethings
beherrscht er (noch) nicht. Er weiß beispielsweise nicht, wer Tim Buckley
war – und er hätte bestimmt auch Schwierigkeiten zu sagen, wer ihm als
15-Jähriger als schwule Identifikationsfigur gedient hat. Für Noam
und seine Freunde ist das ungleich einfacher: George Michael, Jason Orange,
Morrissey oder River Phoenix stünden zur Auswahl, je nach Bedürfnis.
Noam arbeitet in einem angesagten Plattenladen, wo er Teenagern, die nach Britney-Spears-Platten
fragen, schon mal eine Abfuhr erteilt. Seine Wohngemeinschaft teilt er mit Lulu,
der Verkäuferin in einem Seifenladen, und Yali, dem Besitzer eines Szene-Cafés.
In der Freizeit veranstaltet man am Strand illegale „Raves against Occupation“,
besucht Clubs, in denen man live Cover-Versionen von Billie Holidays „The Man
I Love“ zu hören bekommt oder eine Avantgarde-Theateraufführung über
schwule Liebesutopien in Auschwitz. Die lebensfrohe Clique weiß: „Tel
Aviv ist okay, nur drum herum ist alles Scheiße!“ Denn auch wenn sie es
gerne hätten: Tel Aviv ist nicht London oder Hamburg. Man braucht nur den
Fernseher anzuschalten, um Bilder der neuesten Eskalationen in der West Bank
präsentiert zu bekommen. Manchmal bringt auch ein Selbstmordattentäter
in den Straßen Tel Avivs seine Mission zuende.
Noams Clique versucht offensiv,
die Politik auf Distanz zu halten und eine eskapistische Lifestyle-Utopie zu
leben. Er selbst sollte es eigentlich besser wissen, denn er hat gerade einen
Monat Militärdienst an einer der Straßensperren an der Grenze zur
West Bank hinter sich. Dabei erlebte er zu Genüge, wie die ängstliche
Nervosität der Soldaten zur Schikane gegenüber den palästinensischen
Grenzgängern führte. Andererseits lässt der Film von Regisseur
Eytan Fox („Yossi & Jagger“, fd 36 263) und Drehbuchautor Gal Uchovsky keinen Zweifel daran,
dass es gute Gründe gibt, Anschläge und Hinterhalte militanter Palästinenser
wie Ashrafs Schwager Jihad zu fürchten. „The Bubble“ erzählt von der
komplexen Verschränkung politischer und kultureller Konflikte, beschreibt
lustvoll und unterhaltsam die Tel Aviver Szene und macht dabei reichlich Gebrauch
von eindeutigen Signalen eines internationalistischen Bewusstseins.
Der Film hat brillante, tempo-
und anspielungsreiche Dialoge und einen Soundtrack, der mit Bright Eyes, Bebel
Gilberto oder Keren Ann alles hat, was gut und angesagt ist. Doch den weltflüchtigen
Träumen von einer möglichst auch noch sexuell libertinären Rav-o-lution
an den Stränden Israels steht der bornierte Machismo derjenigen gegenüber,
die dummerweise im Besitz der Waffen sind. Die Liebesgeschichte zwischen dem
Israeli Noam und dem Palästinenser Ashraf muss Utopie bleiben; der Film
selbst wagt den Blick über die Grenze, wo Homosexualität noch nicht
als „chic“ gilt.
Über weite Strecken teilt
der Film die optimistische Perspektive seiner Protagonisten und setzt ganz subtil
die skeptischen Kontrapunkte. Lieber als von Selbstmordattentätern erzählt
er von Liebesgeschichten mit kleinen Hindernissen, aber stets bleiben dunklere
Tonlagen unüberhörbar. Als die Freunde einmal auf den Straßen
Tel Avivs Flyer für ihre „Rave Against Occupation“ verteilen, kommt es
rasch zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Passanten, die sich im Kriegszustand
befindlich begreifen – und dies durchaus begründet. Am Schluss von „The
Bubble“ gibt es nämlich nur ein neues Liebespaar, aber drei Tote und einen
Querschnittsgelähmten. Die forcierte Rückwendung Ashrafs in die konventionelle
männliche Rolle ist vielleicht psychologisch etwas unterbelichtet – ist
es Trauer um die tote Schwester? Ist es Scham vor der eigenen Homosexualität?
Ist es Resignation? Der Traum vom Paradies der Liebenden, dem der Epilog gilt,
bleibt jedenfalls schal. Insofern verströmt „The Bubble“ Rat- und Hoffnungslosigkeit
im Gewand der Lebensfreude. Ob das als Kritik oder Bestätigung der Protagonisten
zu werten ist, bleibt dem Zuschauer überlassen. Vielleicht ist es einfach
nur eine realistische Haltung.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst eschienen
in: film-dienst
The
Bubble
Israel 2006 - Originaltitel: Ha-Buah - Regie: Eytan Fox - Darsteller: Ohad Knoller, Alon Friedmann, Daniela Wircer, Yousef "Joe" Sweid, Zion Baruch, Zohar Liba, Oded Leopold, Ruba Blal, Shredy Jabarin, Lior Ashkenazi - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 114 min. - Start: 6.9.2007
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