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Kain no matsuei - Cain's Descendant
Gott ist nicht tot. Nicht unbedingt.
Aber wenn es einen Gott gibt, sieht er denn, was in Yako passiert? Die Stadt
ist ein Gewirr von Kraftwerken, Fabriken und Baracken. Schlote spucken ihren
Qualm unablässig himmelwärts zur blickdichten Wolkendecke, darunter
duckt sich ein schmutziges Industrienest, das so überhaupt nicht zum modernen
Image Japans passen will. „Kain no matsuei" eröffnet uns die schmierig-lieblose
Welt der Billiglohnsklaverei, zeigt einen Ort ohne Wärme, wenn man die
Reibungswärme nicht dazuzählt, die beim flüchtigen Sex entsteht.
Wenig vertrauenswürdig erscheinen auch die kindisch bunten Gruppenspiele
im Kreis einer evangelikalen Glaubensgemeinschaft: Ringelpiez mit Anfassen,
Gottesdienste im Stil von Tupperpartys. Alles so käuflich hier.
Keine Heimat, nirgends, für
den jungen, frisch entlassenen Straftäter Munakata. Er hat das Gefängnis
mit der öden Fabrikwüste eingetauscht, zieht in ein besseres Rattenloch
und lötet nun tagsüber Platinen in einer schäbigen Werkstatt
mit dem überzogenen Namen „International Electronics Industry". Munakata
stellt bald fest, dass die vermeintlich dort gefertigte Unterhaltungselektronik
tödliche Waffentechnik birgt, die sich unerkannt durch jede Zollkontrolle
schmuggeln lässt. Munakatas Chef und der scheinheilige Pastor Matsumura
stecken unter einer Decke. Letzterer weiht Munakata in das Geheimnis von TV-Fernbedienungen
ein, mit denen man nicht Fernsehgeräte an- und ausknipst, sondern Menschenleben
auslöscht. Der junge Arbeiter wird zum Sprengstoffbesorgen abkommandiert:
Eine längst angesetzte Schraube der Gewalt dreht sich weiter. Fast alle
sind schuldverstrickt. Nicht nur Munakata selbst, der als Fünfzehnjähriger
seine Mutter erstochen hat. Den Fluch wird er nicht los.
Der Regisseur Oku Shutaro scheint
Michael Hanekes „Bennys Video" gesehen zu haben, dessen Titelfigur ein Mädchen mit
einem Bolzenschussgerät „einfach so" umbringt: Reflexhaft tötet
Munakata ein Kleinkind, das sein Bruder sein könnte, per Scharfschuss-Fernbedienung.
Vielleicht heißt der Film deshalb „Kains Niedergang". Auch von Filmen
wie „Eraserhead" von David Lynch oder „Tetsuo - The Iron Man" seines
Landsmanns Shinya Tsukamoto ist Shutaro inspiriert. Dort wie hier sind die surrealen
Motive in eine trostlos-realistische Umgebung eingebettet. Doch an die Dringlichkeit
und ätzende Schärfe der Phantasmagorien bei den genannten Experimentalfilmklassikern
reicht Shutaros Spielfilm nicht heran. Alptraumhaft - und das in einem ästhetisch
fragwürdigen Sinn - wirkt eher das arg verworrene Drehbuch, das Shutaro
selbst schrieb, inklusive eines Erzählerkommentars, der die Filmbilder
inhaltlich überfrachtet. Zudem sind zwei Hauptrollen fehlbesetzt: Tomorowo
Taguchi wirkt als Pastor und Patriarch Matsumura, der sich als Gottes Stellvertreter
auf Erden geriert, eindeutig zu harmlos. Kazushi Watanabe kommt in der Rolle
des Antihelden Munakata als unbeschriebenes Blatt daher, sein Gesicht spiegelt
kaum Schuldgefühl, Wut oder Verzweiflung wider. Den biblischen Ursünder
Kain nimmt man ihm nicht ab. Im Prinzip kann es Darstellern ja gelingen, die
Ungeheuerlichkeiten einer Geschichte so zu unterspielen, das die Gesamtwirkung
gesteigert wird. Und auch lakonisch erzählte Gewalt kann, wenn das Handwerkszeug
stimmt, rasiermesserscharf ins Auge schneiden. „Kain no matsuei" freilich
ist ein Film der lähmenden Kunstanstrengung. Ein prätentiöser
Unterton herrscht vor, der unangenehm an die jüngeren Erzeugnisse eines
David Lynch erinnert (und insofern weniger an dessen bildgewaltigen Erstling
„Eraserhead").
Und doch finden sich Augenblicke
von verstörender Poesie. Die meiste Sorgfalt angedeihen lässt Shutaro
den Szenen, die in Munakatas schäbiger Kammer spielen: An der Tür
klopft mehrmals Yukari, die minderjährige Tochter des Pastors (verträumt:
Sachie Yo). Sie ist fast die Einzige, die den Seelenpanzer des Ex-Sträflings
zu durchdringen vermag. Einmal bringt sie ihm einen Geburtstagskuchen und zündet
die Kerzen darauf an. Das digitale Filmbild wird hier förmlich von kaltem
Kerzenglanz verstrahlt. Kurz zuvor hat Yukari Munakata von einem Atomkraftwerk
erzählt, das heimlich in der Stadt errichtet wurde. Sind das nun Kerzen
auf dem Kuchen? Unheilbringende Brennstäbe? Wohl kaum stehen sie für
Gottes ewiges Licht. Gott oder Buddha kommen nur im Geschwätz der Leute
von Yako vor.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: film-Dienst
Kain no matsuei - Cain's Descendant
Japan 2006 - Originaltitel: Kain no matsuei - Regie: Oku Shutaro - Darsteller: Kazushi Watanabe, Tomorowo Taguchi, Syungiku Uchida, Arata Furuta, Sachie Yo, Kentaro Kishi, Takao Handa, Kazushige Komatsu - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 90 min. - Start: 10.4.2008
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