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Camilo
- Der lange Weg ...
Bin ich ein guter
Mensch?
Peter Lilienthal lässt in seiner neuen Dokumentation
die Gelegenheit aus, einen flammenden Antikriegsappell herauszuposaunen und
zeigt stattdessen ein gesellschaftliches Paradox, das sich in einer Situation
wie dem Irakkrieg plötzlich offenbart: Das im besten Fall angespannte Verhältnis
zwischen einer demokratischen Gesellschaft und dem Militär mit seinen notwendigerweise
undemokratischen Strukturen kippt in dem Moment, da die Soldaten nicht mehr
sicher sind, für die richtige Sache zu töten und zu sterben – und
dann zersetzen sich die beide Systeme gegenseitig. Mit solchen und ähnlichen
Gedankengängen beweist Lilienthal eine Reife und Durchdachtheit, die im
politischen Dokumentarfilm selten geworden ist. Wie wunderbar, einen Filmemacher
zu sehen, der selbstbewusst und souverän genug ist, auch Widersprüche
zuzulassen.
Aus den Materialmassen schält er zwei Aspekte
heraus, die bei der Betrachtung dieses inzwischen fünf Jahre andauernden
Krieges tatsächlich noch unerzählt sind. Zum Einen ist da der Migrationshintergrund
seiner Protagonisten: In Zeiten, da nicht nur Immigranten, sondern zunehmend
auch Rekruten aus lateinamerikanischen Staaten in den USA für diesen Krieg
ausgebildet werden und ihn auch stellvertretend ausfechten, ist dies ein Thema
von hoher politischer Sprengkraft. Doch auch hier behält Lilienthal eine
ruhige Hand und erzählt sensibel die Hintergründe der Vätergeneration,
die noch von Bürgerkriegen und illegalen Grenzüberschreitungen geprägt
sind und von dem nicht eingelösten Versprechen eines besseren Lebens in
(Nord- [die fz-Redaktion])Amerika.
Der zweite Aspekt, den Lilienthal zeigt, sind die
gegenläufigen Kurven medialer und persönlicher Aufarbeitung: Zwei
der Protagonisten gehörten zu den ersten Angehörigen und Kriegsaktiven,
die ihren Widerstand öffentlich machten. Dies hatte eine Medienkampagne
zufolge, die beider Leben veränderte: Der eine spürte dem Tod seines
Sohnes mit einem Kamerateam nach, der andere wurde als Kriegsverweigerer schweren
Anfeindungen ausgesetzt. Damals suchten sie die Gegengesellschaft im Privaten,
in Selbsthilfegruppen und an Schulen. Inzwischen ist die Gegengesellschaft Mehrheit,
und was den einstigen Vorreitern bleibt, ist das Private, das ihnen damals verwehrt
wurde: Sie kehren zurück an die Schulen und zur Hilfe für Gleichgesinnte.
Dort aber warten einige neue, zweifelnde Fragen: Habe ich meinen persönlichen
Verlust für die Öffentlichkeit instrumentalisiert? Habe ich wirklich
aufgrund meines Gewissens verweigert? Eine Antwort erhalten sie nicht, aber
die Fragen allein zeigen, dass Lilienthals Helden nicht als Poster-Ikonen taugen,
gottseidank, sondern nachdenkliche, fühlende Menschen sind. Die öffentliche
Aufarbeitung haben sie hinter sich, die private beginnt gerade erst.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen
im: schnitt
#50.
Camilo
- Der lange Weg zum Ungehorsam
Deutschland
/ Belgien 2007 - Originaltitel: Camilo - The Long Road to Disobedience - Regie:
Peter Lilienthal - Darsteller: (Mitwirkende) Camilo Mejía, Fernando Suárez
del Solar, Maritza Castillo - FSK: ab 12 - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 85
min. - Start: 24.4.2008
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