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Carnival
of Souls
"Carnival
of Souls" entwirft einen Zwischenraum. Er erzählt die Geschichte einer
letzten Reise, eines Widerstrebens gegen den Tod, die verzweifelte Geschichte
eines Festhaltens am Leben, des Vordringens des Endes. Ein Film, der mit dem
Anfang und dem Ende eine Schleife setzt und um diesen Nullpunkt herum im Niemandsraum
und in der Niemandszeit spielt. Ein Film, der sich und seine Heldin dem Nichts
ausliefert, einer Nicht-Zeit, die eine gedoppelte Zeit ist, einem Nicht-Raum,
der gedoppelter Raum ist, dazwischen nichts als Modulationen, die an der Stelle
dessen sich befinden, was andernorts eine Entwicklung wäre, hier aber nichts
anderes ist als Krankheit zum Tode.
"Carnival
of Souls" ist, so absurd das angesichts eines No-Budget-Movies klingt,
ein perfekter Film. Er erreicht größtmögliche Effekte mit den
einfachsten Mitteln, ohne dass diese je nur Mittel zu diesen Effekten wären.
Der Mehrwert, der den Bildern das Entsetzen einjagt, ist ein Effekt des Verzichts
auf die unmittelbare Verrechnung von Mitteln in Effekte. Kein Bild zielt nur
auf den Schrecken, den es hat. Der Schock verliert sich in der Unerbittlichkeit,
die in den Bildern steckt von Anfang an. Es wird keinen Ausweg gegeben haben:
das sagt, beinahe, schon die erste Einstellung. Es wird keinen Ausweg gegeben
haben: das sagt, buchstäblich, jede Einstellung. Der Schrecken der Geschichte,
die dieser Film erzählt: sie ist immer schon vorüber. Ein dem Tode
bereits verfallenes Leben, oder: das Leben als vom Tod schon gezeichnetes. Insofern:
ein existenzialistischer Film. Die Orgel spielt dazu.
"Carnival
of Souls" besteht zur Hälfte, mindestens, aus seiner Tonspur. Orgelmusik,
Stille, Modulation der Orgelmusik vom Sakralen ins Weltliche, das das Todesverfallene
ist. Lebensmusik, Todesmusik. Schritte, nichts als Schritte. Ich kenne kein
schöneres, kein traurigeres Bild der Einsamkeit, der totalen Verlassenheit
mitten im Leben (natürlich: im vermeintlichen Leben). Und die Rückkehr,
zweimal, wenn die Heldin sich, verzweifelt, an den Baum klammert, Vogelstimmen,
die Sonne. Ich kenne keinen anderen Film, der von jenseits des Grabes gefilmt
ist, dessen Perspektive keine andere ist als die einer Toten. Ein jenseitiger
Film, der aus dieser Perspektive, dieser Entleerung, die noch in den schönsten
Einstellungskompositionen steckt, sogar einen merkwürdigen Trost bezieht.
Denn nicht zuletzt erzählt "Carnival of Souls", denkbar fern
vom Christentum, auch die Geschichte einer Heimkehr. Der Untote, der nach der
Untoten ruft, ist unheimlich vielleicht nicht als Wiederkehr des Vertrauten,
sondern als Memento, insistent, aber beinahe sanft, das sich als das Vertrauteste
präsentiert. Er ruft zum Tanz und erst, als die Heldin ihm gefolgt ist,
setzt der Fluss der Zeit wieder ein, wechselt die Perspektive zurück auf
die Seite der Lebenden. Der Film kehrt zurück zu seinem Ausgangspunkt,
zum Fluss des Todes, über den eine Brücke führt. Wir sind zurück
in unserem Raum, in unserer Zeit.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Carnival
of Souls (USA 1962)
Regie:Herk
Harvey
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