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Cars
Legt man die Maßstäbe
des modernen Actionkinos an, kommt „Ben Hur“ vergleichsweise schwer in die Hufe. „Cars“ macht dagegen keine
großen Umschweife und fängt gleich mit einem spektakulären Wagenrennen
an. Ein peitschenschwingender Charlton Heston hat dort aber ebenso ausgedient
wie ein Paul Newman, der im Formel-1-Drama „Indianapolis“ noch selbst am Steuer
saß. Computeranimation macht´s möglich: Die Karossen im neuen
Pixar-Blockbuster sind ihre eigenen Herren, sie sind nicht nur mit Automatikgetriebe
ausgestattet, sie denken, fühlen und sprechen zusammenhängende Sätze.
Ehrgeizig sind sie auch. Das Rennen um den „Piston Cup“ scheint sich auf ein
Duell zwischen den beiden Favoriten zuzuspitzen, als der übermütige
Newcomer Lightning McQueen unvermittelt in Führung geht: Ein knallroter
Flitzer mit unwiderstehlichem Lächeln und einem Ego, das aus allen Schweißnähten
platzt. Dann explodieren ihm die Reifen, felgenfunkensprühend erreicht
Lightning immerhin zeitgleich mit den Altstars die Ziellinie. Der Dreikampf
geht unentschieden aus. Also muss das Turnier in einer anderen Arena fortgesetzt
werden. Doch Lightning geht auf dem Weg zum nächsten Austragungsort verloren.
Das Bermuda-Dreieck für Landstraßen-untüchtige Rennautos heißt
Radiator Springs, ein Provinznest an der legendären Route 66, deren Anlieger
abseits der neuen Schnellstraße ein munteres Schattendasein fristen. Wenn
der von seiner Erfolgsspur abgekommene Lightning unter Realitätsschock
das halbe Dorf verwüstet, ist das schon die zweite Actionsequenz innerhalb
kurzer Zeit.
CGI-Veteran John Lasseter, der
auch schon bei „Toy Story“ Regie führte, lässt seinen Zuschauern aus
guten Gründen keine Bedenkzeit, wie eine Welt funktionieren soll, die nur
von Autos und Lastwagen, daneben auch Zügen und Hubschraubern bevölkert
wird. In klassischen Trickfilmen wurden, neben Tieren, nur selten auch Gegenstände
„disneyisiert“ – etwa ein Türknauf, Teegeschirr und Spielkarten in „Alice
im Wunderland“. Die rechnergestützten Spielfilme seit 1995 haben hierin
bisher keinen Unterschied gemacht, sodass man „Cars“ getrost als revolutionäre
Tat in der Trickfilmgeschichte bezeichnen kann. Lasseter und sein Team hatten
mit einem schwerwiegenden Handycap zu kämpfen: Autos sind zwar Inbegriff
der Mobilität, aber in sich kaum beweglich. Konsequent legten die Animatoren
den Schwerpunkt auf die Mimik ihrer Figuren und experimentierten lange mit der
Augenhöhe der virtuellen Blechgesellen. „Hat man die Augen auf der Windschutzscheibe,
dann wirken die Autos menschlicher,“ bemerkte Produktionsdesigner Bob Pauley. Das Bewegungsarsenal
dieser lackierten „Gesichter auf Rädern“ bleibt notgedrungen aufs Vorwärts-
und Rückwärtsfahren und das Gestikulieren mit den Reifen beschränkt,
aber irgendwie weckt diese Reduktion Beschützerinstinkte. Man beginnt den
kinderlosen Nachbarn zu verstehen, der zweimal wöchentlich seinen Wagen
wäscht.
Lightning McQueens Läuterung
vom rücksichtslosen Raser zum umsichtigen Auto wie du und ich verdankt
sich der Gemeinde von Radiator Springs. Die tritt zunächst eher feindselig
auf, weil Lightning die komplette Dorfstraße ruiniert hat. Doc Hudson,
Bürgermeister, Dorfarzt und Richter in Personalunion, verdonnert den Unglückswagen
zur Straßenreparatur. Vor eine asphaltspeiende Höllenmaschine namens
Bessie gespannt, muss Lightning seine Strafe abbüßen.
Einige Stunden Zwangsarbeit und
einen missglückten Fluchtversuch später (Wär´ man nur als
Fünf-Liter-Auto zur Welt gekommen), sieht Lightning die Wüstenei und
ihre Bewohner bereits in anderem Licht. Er begreift die sandigen Kurven eines
natürlichen Trainingsplatzes als Herausforderung und beginnt auch der staubigen
Gegend angenehme Seiten abzugewinnen. Dies um so mehr, als das schnittige
Porschefräulein Sally ihn zur romantischen Spritztour in die Berge mitnimmt.
Wo Felsen wie Limousinen, Radschächte oder Stoßstangen geformt sind,
Wolkenstreifen wie Reifenspuren den Himmel überziehen und winzige VW-Käfer
herumschwirren, mutiert die Natur zum weltumspannenden Autosalon. Sozusagen
im Kofferraum befördert der Film einen Naturbegriff, der die Technologie
mit einschließt. Das ist im Kino nichts Neues, wenn man an die futuristischen
Verschmelzungen von Flora, Fauna und Maschinerie in George Lucas´ „Star Wars“-Serie denkt. Und doch
manifestiert sich in „Cars“ eine neue Selbstverständlichkeit in der Engführung
von natürlicher und technischer Evolution. Diese affirmative, fortschrittsgläubige
Haltung des Films erzeugt ein gewisses Unbehagen, wenn man sich den deutlich
ansteigenden Spritverbrauch in den USA und das unterentwickelte Umweltbewusstsein
der amerikanischen Gesellschaft vor Augen führt.
Die vordergründigen Konflikte
spielen sich in „Cars“ jedoch auf der rein „menschlichen“ Ebene ab. Radiator
Springs wird zum Schauplatz eines Generationenproblems. Wo die liebenswert-vergessliche
Ford-Model-T-Oma Lizzie durchs Bild tuckert, deutet sich allerdings schon an,
dass die Versöhnung der Alten mit den Jungen nur eine Frage der Zeit ist.
Denn selbst hinter der harten Schale des grummeligen Doc verbirgt sich ein vom
Leben zwar angekratzter, aber nicht verbitterter Ex-Rennwagen und zweifacher
Piston-Cup-Sieger, der seinem jungen „Konkurrenten“ schließlich die Karrierebahn
freimacht. Paul Newman hat als Doc Hudsons raue Sychronstimme dann doch seinen
gebührenden Auftritt. Friedrich Schönfelder überzeugt als deutsches
Pendant ebenso wie Daniel Brühl sich als flinkes Mundwerk von Lightning
McQueen mit dem US-Sprecher Owen Wilson messen kann.
Seinen Erfolg an den amerikanischen
Kinokassen verdankt „Cars“ nicht zuletzt den skurrilen Nebenfiguren. Hook, ein
angerosteter Abschleppwagen mit Überbiss, wird für Lightning das,
was Goofy für Micky war. Luigi und Guido, das italienische Duo aus dem
Autosalon „Casa della Tires“ sorgt für weitere Lachnummern: Wenn Provinzei
Guido zum Showdown in Los Angeles endlich Lightnings Boxenstopp managen darf,
fragt man sich schon, wie der kleine blaue Gabelstapler ohne jede Feinmotorik
den ultraschnellen Reifenwechsel bewerkstelligt. Aber wir haben der Disney-Company
ja auch schon fliegende Elefanten, sprechende Mäuse und tanzende Teekannen
abgenommen. Warum nicht auch Autos, die sich gegenseitig reparieren?
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
im: film-dienst 18/2006
Cars
USA
2005 - Regie: John Lasseter - Darsteller: (Stimmen) Daniel Brühl, Bettina
Zimmermann, Rick Kavanian, Christian Tramitz, Oliver Kalkofe, Mario Barth, Nadja
Tiller - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ohne Altersbeschränkung
- Länge: 116 min. - Start: 7.9.2006
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