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Catch
22
Sehr früh fasst der Bomberpilot Yossarian
das Titel gebende Dilemma zusammen: »Damit ich das richtig verstehe: Um
nicht mehr fliegen zu müssen, muss man mich für verrückt erklären.
Aber ich muss auch verrückt sein, um noch mal in dieses Flugzeug zu steigen.
Und wenn ich darum bitte, dass man mich für verrückt erklärt,
damit ich nicht mehr fliegen muss, dann heißt das, dass ich nicht verrückt
sein kann und auf jeden Fall fliegen muss...« Es ist ein Catch, ein Haken,
ein Trick 17 mit Selbstüberlistung, und dieser Film strotzt nur so von
solch herrlichen Paradoxien.
Joseph Hellers gleichnamiger Roman aus
dem Jahr 1961 prägte eine ganze Generation, wurde aber auch lange Zeit
als bloßes Manifest gegen den Wahnsinn des Krieges verstanden – dabei
ist er ein genauso gnadenloser Schlag gegen den Unsinn der Hierarchie, die Idiotie
der täglichen Arbeitsroutine und den Irrwitz zwischenmenschlicher Beziehungen.
Ganz nebenbei ist es auch das exquisiteste Hirnverdreherbuch aller Zeiten geworden,
bei dem man teuflisch aufpassen muss, über all die Zeit- und Logiksprünge
nicht selbst den Verstand zu verlieren.
Letztere Qualität hat Mike Nichols
nun leider gar nicht in seinen ansonsten hinreißenden Film hinüberretten
können, dazu fehlte es der Branche 1970 einfach noch an filmischen Ausdrucksmöglichkeiten
und dem eher komödiantisch orientierten Drehbuchautoren Buck Henry an Erzählzeit,
um das 550 Seiten starke und ständig chronologisch gebrochene Figurengeflecht
in einem 90minütigen Film noch mal neu zu spinnen. Statt dessen veranstaltet
Nichols eine geschickt inszenierte, furios gespielte und höchst vergnügliche
Hatz durch die Hauptstationen dieses Passionsweges eines gesunden Mannes in
einer Welt voller Geisteskranker: Yossarians Mitmenschen »trainieren«
das Abgeschossenwerden, erleiden letale Badeunfälle durch tieffliegende
Propellermaschinen oder werden nicht mehr mit Nahrung versorgt, weil sie angeblich
in einer abgestürzten Maschine waren und jetzt offiziell tot sind. Wer
würde in einer solchen Welt anders reagieren als Yossarian, der sich schon
mal weigert, Kleidung zu tragen, oder als der tragikomisch benannte Major Major,
der seine persönliche Lösung in einer Besuchspolitik findet, die per
definitionem nur dann Menschen in sein Büro lässt, wenn er nicht anwesend
ist. Die Welt ist aus den Fugen, aber außer Yossarian scheint das keinen
so richtig zu stören.
Trotz der bewusst düsteren Ausleuchtung
und einer typisch rohen Inszenierung aus den frühen 1970ern ist hier immer
noch alles ein wenig heller und lustiger als im defätistischen, hoffnungslosen
Buch: Die italienischen Huren sind eher gleichgültig als kaltblütig;
die internationalen Geschäftemachereien des Leutnant Milo sind eher absurder
Zirkus als bitteres Memento auf das kapitalistische Kriegsgewinnlertum; die
Eskapaden um den totgesagten Arzt eher drollige Randnotiz als lebensbedrohliche
Bürokratiemühle.
Nichols, schon immer Humanist und (man
erinnere sich an die Die
Reifeprüfung)
eher subtiler Satiriker, hat aus den gut drei Dutzend hochgradig typisierten
Figuren des Buches nur eine Handvoll herausgepickt, ihnen dafür aber eine
überraschende Wärme und Menschlichkeit verliehen. Wenn Yossarians
Kameraden seine Ausbrüche (»Die versuchen, mich umzubringen!«) kopfschüttelnd abwinken, dann nicht, weil
sie ignorante Spinner sind, sondern weil ihnen ihre freundliche Naivität
einen weniger dogmatischen Zugang zur Realität ermöglicht (»Na
und? Die versuchen, uns alle umzubringen.«).
Wobei diese Änderungen nur die Stimmung erwärmen, nicht aber das düstere
Ergebnis beeinflussen (denn Yossarian hat so oder so recht mit seinem Einwand,
dass das für seine Situation nicht den geringsten Unterschied macht). Den
gleichen winzigen Funken mehr Hoffnung hat Nichols dem Roman auch am Ende abgerungen:
Wo Heller damit endet, daß Yossarian in Richtung Strand losläuft,
erreicht er bei Nichols sogar das Wasser. Seine Chancen auf ein Happy End mögen
weiterhin lächerlich gering sein, aber immerhin hat er jetzt den Mut zum
Wahnsinn, den er braucht, um in dieser Welt zu bestehen.
Daniel Bickermann
Dieser Text ist zuerst erschienen im: schnitt
Catch
22
USA
1970. R: Mike Nichols. B:
Buck Henry. K: David Watkin. S: Sam O’Steen. M: June Edgerton. P:
121
Min.
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