The Cell
Die Lämmer schweigen nicht mehr. Sie schreien lauthals, ihr
Kreischen ist ohrenbetäubend. Carl Stargher kann ihr Getöse nicht
unterdrücken, geschweige denn bekämpfen. Er ist ein Getriebener, ein
Verfolgter, eigentlich eine arme Seele. Carl Stargher ist aber auch:
ein brutaler Folterer seiner weiblichen Opfer, ein Serienkiller,
geisteskrank, kaum noch Mensch. Ihn zu fassen ist nicht schwer; in
der realen Welt hat er seinen Verfolgern von der Polizei, vom FBI,
nichts entgegenzusetzen. Sein letztes Opfer jedoch hält er versteckt,
es wird langsam und qualvoll sterben, wenn er ihren Aufenthaltsort
nicht verrät. Nur noch eine Reise in seinen kranken Verstand kann das
Mädchen retten. Willkommen in "The Cell".
Erneut ein Serienkiller-Film also. Kaum ein anderes Genre wurde in
den letzten Jahren derart inflationär bedient, über Henry, Hannibal
Lecter oder Patrick Bateman wurde die Schraube immer weiter
angezogen, Tabus gesprengt, Extreme ausgelotet. Alles schien gesagt
und vor allem gezeigt. Doch nun: "The Cell". Psychotherapeutin
betritt den Geist eines Killers. Mehr nicht. Aber es reicht, denn sie
erfährt Unglaubliches, Unbeschreibliches. Vielleicht so: Peter
Greenaway und David Fincher drehen ein Video für Nine Inch Nails mit
Hieronymus Bosch und Jeff Koons als Production Designer.
Regiedebütant Tarsem Singh, gefeierter Werbe- und
Videoclip-Regisseur - unter anderem von R.E.M.s "Losing My Religion"
- entfesselt in "The Cell" einen Bildersturm, der, bisweilen zwar
recht selbstgefällig und vor religiöser Symbolik berstend,
seinesgleichen sucht. Die alptraumhafte Atmosphäre der Phantasien
Starghers überträgt sich mühelos auf den gesamten Film; bereits von
der ersten Minute an ziehen einem die surrealen Visionen den Boden
unter den Füßen weg. Ebenso bleibt die Realität innerhalb des Films
seltsam entrückt, ein Verdienst der hervorragenden Arbeit des
Ausstatters Tom Foden und der Kostümdesigner April Napier und Eiko
Ishioka. Vincent D´Onofrio schließlich liefert ein weiteres Mal eine
seiner furchteinflößend atemberaubenden Darstellungen von
Borderline-Charakteren ab. Auch Jennifer Lopez erfüllt die zunächst
eindimensionale Figur der Therapeutin Catherine Deane mit
beachtlicher Präsenz. Schlußendlich geht alles seinen erlösenden und
gerechten Gang, doch happy ist das Ende nicht - zuviel hat man
gesehen.
Carsten Happe
Dieser Text ist zuerst erschienen im:
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.
The Cell
USA 2000. R: Tarsem Singh. B: Mark
Protosevich. K: Paul Laufer. S: Paul
Rubell, Robert Duffy. M: Howard Shore.
P: Caro-McLeod/Radical Media. D:
Jennifer Lopez, Vince Vaughn, Vincent
D´Onofrio, Marianne Jean-Baptiste, Jake
Weber, Dylan Baker, James Gammon u.a.
107 Min. Kinowelt ab 23.11.00