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The
Cemetery Club
Nicht
ohne Klappstuhl
Preußische Ordnung: „The Cemetery Club“
porträtiert eine Gruppe von Rentnern in Jerusalem
Als frühe Karrierefrau wäre die pensionierte
Juristin Lena Bar perfekt besetzt. Damals, im Nachkriegspolen, hat sie ihre
Kinder fortgegeben in ein Heim, um selbst ein Studium beginnen zu können.
Auch später hat sie sich vordringlich um Beruf und Weiterbildung gekümmert.
Jetzt verbietet sie ihrer Schwägerin wegen Bildungsmängeln das Wort
und versucht, bei den wöchentlichen Gruppentreffen der „Mount-Herzl-Akademie“,
Rederecht und Deutungsmacht zu okkupieren. Auch das Dokumentarfilmprojekt ihrer
Großnichte Tali begleitet sie mit hartnäckiger Besserwisserei. Allein
der Titel schon! „The Cemetery Club“ soll der Film heißen? Völlig
unmöglich. Und inkorrekt dazu, schließlich sei das Areal hoch über
der Stadt, wo der Rentner-Debattier-Club sich trifft, offensichtlich ein Erholungspark
und der Friedhof beginne erst nebenan hinter dem Zaun.
Tali Shemesh hat sich – nicht nur in der Titelfrage
– durchgesetzt. Doch es ist die besondere Qualität ihres Films, dass sie
die Spuren der ausgetragenen Konflikte nicht aus dem Endprodukt getilgt hat.
So ist es mehr als ein humoristischer Gag, wenn sie den erbittert geführten
Namensstreit dem Film als eigenständige Sequenz vorspannt: Es ist eine
Geste des Respekts an die widerständige Heldin – und ein spröder familiärer
Annäherungsversuch. Doch auch Schwägerin Minya, Talis Großmutter,
wird mit gebührender Aufmerksamkeit bedacht. Auch wenn kaum eine Begegnungen
zwischen den beiden Damen ohne Streit abgeht, sind die beiden Lodzer Kindheitsfreundinnen
und Auschwitzüberlebenden einander die Welt. Beide haben fast ihre ganze
Familie im Ghetto und im KZ verloren. Als sie sich nach dem Krieg durch einen
glücklichen Zufall wiederfanden, hat Lena Minyas Bruder Yisrael geheiratet.
Jetzt leben die beiden ungleichen Schwägerinnen in Jerusalem.
Lena und Minya sind die Stars von Tali Shemeshs familiärer
Recherche. Doch „The Cemetery Club“ ist auch ein faszinierendes Gruppenporträt.
Jahrelang begleitete die Filmemacherin eine Gruppe betagter Israelis, die sich
einmal in der Woche auf dem Mount Herzl in Jerusalem treffen, um dort beim Picknick
mit der Diskussion kultureller und philosophischer Themen die Einsamkeit zu
vertreiben. Dort oben liegen neben dem Urvater des Zionismus auch andere nationale
Größen begraben. Der Club selbst liegt im Durchschnittsalter weit
über sechzig und hat ein strenges Statut, das unter anderem das Mitbringen
von Klappstühlen vorschreibt. Und eine Vorsitzende, die die Debatte – ganz
preußisch – mit einer Trillerpfeife unterbricht, wenn es mal wieder allzu
heftig wird. Das kommt öfter vor, denn in der „Akademie“ landet man von
einem trockenen Referat über Kant schnell bei Hitler und der Hamas und
die Positionen gehen weit auseinander. Ordnung muss trotzdem sein, schließlich
sind viele der Clubmitglieder Jekkes, Israelis mit deutschem Migrationshintergrund.
„The Cemetery Club“, der letztes Jahr beim Dokumentarfilmfestival
in Leipzig die Goldene Taube gewann, ist ein kluger, leiser und anrührender
Dokumentarfilm, der von großen Dingen erzählt, indem er sich den
kleinen hingibt. Antworten gibt er nicht. Drei der Akademisten sind im Lauf
der Dreharbeiten gestorben. Die Überlebenden treffen sich jetzt in einem
Jerusalemer Altersheim. Selbstverständlich wurde das Vereinsstatut entsprechend
geändert.
Silvia Hallensleben
Dieser Text ist zuerst erschienen
im: Tagesspiegel
The
Cemetery Club
Israel
2006 - Originaltitel: Moadon beit hakvarot - Regie: Tali Shemesh - Darsteller:
(Mitwirkende) Minya, Lena - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 90 min. - Start:
29.3.2007
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