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Code unbekannt
Filmsprache schwere Sprache
Michael Haneke scheint der Typ zu sein, der als Junge Frösche gequält hat,
um etwas über den Tod zu erfahren. In seinen Filmen läßt er das Grauen in
die Welt der Normalbürger einbrechen, von dem diese täglich in der Zeitung
lesen, in den Nachrichten hören. Wie werden sie in einer Extremsituation
reagieren? Vollkommen hilflos. In langen, starren Einstellungen kann man
ihnen dabei zusehen. Das ist kaum noch ein soziologischer Blick, mehr schon
ein zoologischer.
In seinem letzten Film "Funny Games" ließ er eine Familie zwei Kinostunden
lang zappeln in der Gewalt zweier Sadisten und schließlich sterben. Die
Sadisten waren fleischgewordene Medienmonster. Bei Haneke läßt sich fast
alles auch reflexiv aufs Medium lesen. In "Funny Games" wird der Zuschauer
terrorisiert. Er muß sich fragen, warum hier die Gewalt so anders aussieht,
als er es aus dem Kino gewohnt ist - und er ist doch einiges gewöhnt.
Das Gute an dieser Vorgehensweise ist, daß Filme dabei herauskommen, die
den Zuschauer zu einer Reaktion zwingen. Das Schlechte ist der unangenehme
Beigeschmack daran. Der Regisseur benutzt auch hier seine mediale Macht,
aber indem er sie thematisiert, ist er bereits auf der Seite der Guten. Der
"anspruchsvolle" Zuschauer weiß sich bereits in einem "anspruchsvollen"
Film. Seine Lektionen lernt er in deutlich pädagogischer Weise.
"Code: Unbekannt" ist ein Episodenfilm. Das ist erst einmal eine Form der
Erzählung, die unterschiedliche Sichtweisen zuläßt und verschiedene Aspekte
einer Geschichte, eines Themas darstellen will. Aber auch eine Form, die
sich auf das Fragmentarische einläßt, die keine Totalität will (es sei
denn, sie würde, wie etwa in "Magnolia", am Ende alle Stränge
zusammenbringen). Der Titel ist programmatisch, der Film buchstabiert es
aus: die Verständigung funktioniert nicht, der Code ist nicht bekannt.
Aber nicht nur die Verständigung zwischen zwei Menschen funktioniert
nicht, wie es etwa beim einzigen Liebespaar des Films vorgeführt wird. Die
Verhältnisse und Mißverhältnisse dieser Welt sind nicht zu verstehen und
nicht begreiflich zu machen. Nicht anderen und auch nicht sich selbst.
Nicht im Film und nicht in echt. Der Bauernsohn kann dem Vater nicht
erklären, warum er den Hof nicht übernehmen will. Die Bettlerin, die ihrer
Enkelin in Rumänien als Mitgift ein Haus finanziert, verzichtet auf die
Frage, wie so etwas möglich sei. Zurecht kommt sie damit nicht, aber sie
hat keine andere Wahl. Sie hat ihrer Familie nicht erzählt, daß sie betteln
geht, zu groß ist die Scham. Der Kriegsberichterstatter, der den blutigen
Krieg auf dem Balkan fotografiert, findet keine Antwort, als er zuhause
gefragt wird, warum er das eigentlich tut. Er war ja da und versteht selber
nicht, was er erlebt und gesehen hat. Er weiß nur, daß das Leben "hier
kompliziert, dort aber einfach ist." Den Spruch kennen wir schon, aber wie
lautet eine bessere Erklärung für den Krieg?
Auf der Suche nach einer Sprache für seinen Kriegsbericht verfällt er auf
die Idee, anonyme Gesichter in der Metro zu fotografieren und zu diesen
Bildern seine Geschichte zu erzählen. Das ist nicht mehr die Strategie der
Medien, sondern der Kunst. Indem sie auf eine vermeintlich eindeutige
Sprache verzichtet und, anders als die Medien, eine solche auch nicht
behauptet, bietet sie erst Platz für so etwas wie Wahrheit.
Und das ist auch Hanekes Strategie. Er ist mit "Code: Unbekannt" einen
Schritt zurückgetreten, aus der Position des medialen Fädenziehers in die
des beobachtenden Erzählers. Er legt dabei mehr Vertrauen in den Zuschauer
und dessen Umgang mit dem Medium und verzichtet weitgehend darauf, dessen
Funktionsweise und Tücken zu erklären. Zwar bricht er die Totalität der
Bilder manchmal rabiat durch Film-im-Film-Verwirrungen, aber ansonsten
arbeitet er fast nur mit Plansequenzen, die alltägliche Szenen zeigen. Es
reicht eben schon, in der U-Bahn von zwei Halbstarken angemacht zu werden,
damit das Vertrauen in die Welt zusammenbricht.
Dirk Schneider
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.
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