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Color
Of Night
Richard
Rushs wechselvolle Karriere beschreibt eine merkwürdige Gratwanderung zwischen
Trash und Kunst, Mainstream und stilistischem Eigensinn. Nach ersten Erfahrungen
als Werbe- und Industriefilmer hat er mit TOO SOON TO LOVE (1960), in schwarzweiß
und für 50.000 Dollar gedreht, die Hoffnung auf so etwas wie eine amerikanische
Variation einer „Neuen Welle" genährt. Seine schnellen und billigen
Rockerfilme aus den späten sechziger Jahren verliehen ihm einen mittleren
Kultstatus; krude Handlung, sarkastischer Witz, die Verwendung von Musik als
handlungsführendes Element verbanden sich mit ungewöhnlichen Einfällen
von Regie und Kamera (die damals Laszlo Kovacs führte). FREEBIE AND THE
BEAN (Die
Superschnüffler,
1974) mit Alan Arkin und James Caan war so ziemlich die hinterhältigste
Verbindung von Komik und Gewalt (und Quentin Tarantino soll nur ja nicht behaupten,
er kenne die Filme von Richard Rush nicht). Mit THE STUNTMAN (Der lange Tod
des Stuntman Cameron, 1979), einem Projekt, um das er von der Produktion bis
zum Vertrieb heftig kämpfen mußte, gelangte Rush in den Status eines
kommenden Regie-Stars. Das intelligent konstruierte Spiel mit den Möglichkeiten
des Kinos, Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen zu lassen, Action und Selbstreflexion
zu verbinden, schien Hollywoods Krise zugleich zu dokumentieren und über
sie hinauszuweisen. Aber dann kam erst einmal lange Zeit so gut wie nichts;
Drehbücher (darunter Roger Spottiswoodes AIR AMERICA), ein paar verkorkste
Projekte, neue Anläufe. COLOR OF NIGHT ist so etwas wie ein Come Back-Versuch,
das ist in der Regel etwas anstrengend.
Der
Film gehört dem Genre des „erotischen Thrillers" an, was bedeutet,
daß es zum einen um eine mehr oder minder raffiniert organisierte Verknüpfung
von Sexualität und Gewalt geht, und zum anderen, daß der Film ein
paar Szenen enthält, um die es um jeden Preis ein bißchen Skandal
geben muß. Das Subtile und das Triviale sind demnach in Filmen dieses
Genres recht eng beieinander, und Richard Rush hat bei der Inszenierung seiner
„Skandal-Szenen", jedenfalls für amerikanische Verhältnisse,
gleich so gründlich hingelangt, daß COLOR OF NIGHT zuerst einmal
ein Fall für die Yellow Press und dann für die Zensur wurde. So etwas
macht immer ein wenig blind, und auch wenn wir hartgesottenen Europäer
nun eine vermeintliche „Director's Cut"-Version zu sehen bekommen, muß
doch erst einmal der „Skandal" beiseite geräumt werden. Also: so arg
kommt's ganz und gar nicht, und anders als in anderen Filmen des Genres machen
die erotischen Szenen in COLOR OF NIGHT durchaus Sinn für die Konstruktion
des Thrills.
Der
New Yorker Psychologe Dr. Bill Capa hat ein traumatisierendes Erlebnis. Vor
seinen Augen stürzt sich eine Patientin aus dem Fenster. Er sieht hinunter
auf die Leiche, auf das Blut, das für ihn zu verblassen beginnt: Capa kann
die Farbe Rot nicht mehr wahrnehmen. Er besucht seinen alten Freund und Kollegen
Bob Moore in Los Angeles und nimmt noch am Abend seiner Ankunft eher widerwillig
an der Sitzung seiner „Montagsgruppe" teil, in der sich in der Tat ein
paar Modellfälle seelischer Pein versammelt haben, der zwangsneurotische
Anwalt, der manisch Dinge und Personen zählt, die kleptomane Witwe, der
verzweifelte Ex-Cop, der über die Ermordung von Frau und Kind nicht hinwegkommt,
der stotternde, rnißbrauchte Junge mit einem Drogen- und einem „Geschlechtsidentitätsproblem",
der sadomasochistische Maler, der vom Geld des Vaters lebt. Moore gesteht Capa,
daß er Morddrohungen erhalte und glaube, einer aus der Gruppe wolle ihm
ans Leben. Und als er dann kurz darauf tatsächlich erstochen wird, kommt
jeder von ihnen als Täter in Frage.
Capa
übernimmt die Montagsgruppe, zum einen, weil ein bulliger Polizist ihn
dazu drängt, zum anderen, weil die Gruppe ihm die Möglichkeit bietet,
sich zu rehabilitieren. Außerdem sieht er sich selbst einer Reihe von
Mordanschlägen ausgesetzt, eine Klapperschlange im Briefkasten, ein Anschlag
auf der Straße. Das gibt Action. Zur gleichen Zeit hat er sich heftig
in die schöne Rose verliebt, die ihm freilich auch das eine oder andere
Rätsel aufgibt. Das gibt den Sex.
Die
Geschichte funktioniert auf der ersten Ebene wie ein schönes, altmodisches
Whodunit mit einem Psychologen als Detektiv in eigener Sache, der sich seiner
Profession entsprechend, eher um Motive als um Indizien kümmert. Deshalb
erfüllt der Film auch die erste Regel dieses Genres, nämlich daß
bei genauem Hinsehen die Zuschauer eine durchaus faire Chance haben, die Lösung
zumindest im Grundzug zu erahnen, bevor sie der Film, nebst diversen, mehr oder
minder nachvollziehbaren Erklärungen selbst preisgibt.
Aber
Richard Rush wollte natürlich mehr als in Whodunit im Psycho-Milieu, er
interessiert sich vor allem für die Lebens- und Wahrnehmungskrise eines
Mannes, der sich, wie wir am Anfang sehen, den Krankheiten der Seele und der
Soziopathie nicht ohne Selbstgefälligkeit widmet. Dr. Capa ist wahrscheinlich
wirklich kein besonders guter Psychologe, aber immerhin meint er, seine Grenzen
zu kennen. Wir versuchen mit den Augen eines in seiner Sicherheit gestörten,
gleichwohl unbeirrbar analytischen Menschen zu sehen. Freilich gelingt Rush,
ganz anders als im STUNTMAN, die Verschmelzung von Story- und Kameraperspektive,
der Wahrnehmung im Film und der Wahrnehmung des Films, auf die auch hier alles
hinauswill, nicht sonderlich. Die Wahrnehmungskrise des Helden überträgt
sich nur selten auf unseren Blick. Das Rot, das vor unseren Augen verschwunden
ist im Blick auf die Leiche und das aus einem üblen Grau wieder ersteht
im Angesicht des ermordeten Malers, taucht zwischendurch beinahe leitmotivisch
als falscher clue
wieder auf. Es ist die Farbe, die Capa nicht nur in der Erinnerung an den Selbstmord,
sondern vielleicht tiefer, wie ein anderer Freund argwöhnt, als Farbe des
Gefühls verdrängt. Aber auf diese emotionale Farbenblindheit müssen
uns eher indirekte Hinweise immer wieder aufmerksam machen, etwa ein spöttischer
Blick auf seine verschiedenfarbigen Socken.
Immer
wieder gibt es brillante Kamerabewegungen und atemberaubende Anschlüsse,
die ersten Szenen des Films sind wahrhaft bedrohlich inszeniert; immer wieder
zeigt Richard Rush sein Können. Die Standardsituationen des Thrillers,
einschließlich der bizarren Ästhetik des Mordes, sind in einer Welt
der Fenster und Spiegel angelegt, in der noch das Polizeipräsidium wie
ein exotisches Gewächshaus erscheint, in der schlechte Kunst zu wuchern
scheint, und das Dekor von einem umfassenderen Wahnsinn spricht. In dieser Welt
kann die Person nicht eindeutig bleiben.
Daß
jedoch Whodunit, Psychothriller und Bildphantasie nicht zu einer neuen Einheit
kommen, mag vielleicht ein wenig die Produktionsgeschichte des Films widerspiegeln.
Rush hat sich in ein Drehbuch verbissen, das nicht das seine war, er hat es
immer wieder bearbeitet, einem langen Transformationsprozeß unterzogen,
und ist dabei doch irgendwo in der falschen Mitte steckengeblieben. So ist ein
Film entstanden, dem man immer wieder ansieht, was aus ihm hätte werden
können, eine Offenbarung der erotischen Psycho-Logik der Bilder, und der
dann doch immer wieder in Salzstangenpsychologie und Genre-Stereotypen steckenbleibt.
Den besten Satz hat Bruce Willis schon ziemlich am Anfang gesagt: „Halt' dich
an die Klischees, und du wirst selten enttäuscht." So ist es, einerseits.
Georg
Seeßlen
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd film
3/95
COLOR
OF NIGHT
USA
1994. R: Richard Rush. B:
Matthew Chapman, Billy Ray. P:
Buzz Feitshans, David Matalon. K:
Dietrich Lohmann. Sch:
Jack Hofstra. M: Dominic Frontiere. T:
David Kelson. A:
James L. Shoppe, Gary A. Lee, Jack Morrisey. Ko: Jacki Arthur. Pg: Hollywood
Pictures/Cinergi. V: Scotia. L: 121 Min. St: 23.2.1995. D: Bruce Willis (Capa),
Jane March (Rose), Ruben Blades (Martinez), Lesley Ann Warren (Sondra), Scott
Bakula (Bob Moore), Brad Dourif (Clark), Lance Henriksen (Buck), Kevin J. 0'Connor
(Casey).
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